Patriot-Raketen: Was sie für die Ukraine erreichen können - und was nicht
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Die Flugabwehrraketengruppen 21 in Sanitz und 24 in Bad Sülze (Mecklenburg-Vorpommern) verfügen über das Waffensystem Patriot (Archivbild).
© Quelle: Bernd Wüstneck/dpa
Washington. Patriot-Raketen spielen eine wichtige Rolle in westlichen Verteidigungssystemen, die USA und ihre Verbündeten haben sie in mehreren Weltregionen als Abwehrschild stationiert, sei es in Europa, Nahost oder im Pazifik. Jetzt deutet sich an, dass die USA bereit sind, auch die Ukraine mit einer Patriot-Raketenbatterie zu versorgen - etwas, worum sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seit Monaten bemüht.
US-Regierungsbeamte haben die Vereinbarung bestätigt, und eine offizielle Bekanntgabe wird in Kürze erwartet. Aber Experten warnen vor überzogenen Erwartungen an das System, sagen, dass dessen Effektivität begrenzt sei und es vielleicht nicht die bahnbrechende Wende im Krieg gegen die russischen Angreifer bringen wird, die sich manche versprechen.
Ein Einblick in das System, was es bewirken kann und was nicht.
Das ist das Patriot-System
Patriot ist ein Boden-Luft-Lenkwaffensystem, das erstmals in den 1980ern zum Einsatz kam und Flugzeuge, Marschflugkörper und ballistische Raketen kürzerer Reichweite ins Visier nehmen kann. Jede Patriot-Batterie besteht aus einem Startsystem, das auf einem Lastwagen montiert ist und über acht Abschussgeräte mit jeweils bis zu vier Abfangraketen verfügt, einem Bodenradar, einer Kontrollstation und einem Generator. Das US-Heer hat nach eigenen Angaben derzeit 16 Patriot-Bataillone, und laut einem Bericht des Internationalen Instituts für Strategische Studien aus dem Jahr 2018 betreiben sie 50 Batterien, die insgesamt mehr als 1200 Abfangraketen umfassen.
Die US-Batterien sind zumeist in verschiedenen Teilen der Welt stationiert. Zusätzlich werden Patriots auch von den Niederlanden, Deutschland, Japan, Israel, Saudi-Arabien, Kuwait, Taiwan, Griechenland, Spanien, Südkorea, Katar, Rumänien, Schweden, Polen, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten betrieben oder wurden von diesen Ländern gekauft.
Das Patriot-System sei eines der verbreitetsten, zuverlässigsten und bewährten Raketensysteme zur Luftverteidigung, die es gibt, sagt Tom Karako, Topexperte für Raketenabwehr im Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS). Es könne etwa helfen, die Ukraine gegen vom Iran gelieferte ballistische Raketen zu schützen.
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© Quelle: Reuters
Die Kosten
Im Laufe der Jahre ist das System samt seinen Raketen immer wieder modifiziert worden. Die gegenwärtige Patriot-Abfangrakete kostet laut einem CSIS-Bericht vom Juli jeweils etwa 4 Millionen Dollar per Schuss und jedes Abschussgerät ungefähr 10 Millionen Dollar. Angesichts dieser Preise ist es nicht kosteneffektiv oder optimal, das System zum Abschuss der bei weitem kleineren und weitaus billigeren iranischen Drohnen einzusetzen, die Russland gekauft hat und in der Ukraine einsetzt.
Kritik
Das Bedienen und der Unterhalt einer Patriot-Batterie kann bis zu 90 Soldaten oder Soldatinnen erfordern. Das System ist komplex, und monatelang waren die USA abgeneigt, die Ukraine damit zu versorgen, weil es für die Biden-Regierung außer Frage steht, amerikanische Kräfte zum Betrieb zu entsenden. Es gab auch generell die Sorge, dass eine Stationierung Russland provozieren und das Risiko bestehen würde, dass eine abgefeuerte Rakete versehentlich russisches Territorium trifft - was den Konflikt weiter eskalieren könnte. Regierungsbeamten zufolge veranlassten die dringenden Bitten aus Kiew und die verheerenden Zerstörungen der zivilen Infrastruktur im Land die USA schließlich, ihre Bedenken bei Seite zu schieben.
Aber US-Soldaten werden ukrainischen Kräften beibringen müssen, wie man das System bedient und unterhält. Patriot-Bataillonen zugeordnete US-Heeressoldaten selbst durchlaufen ein ausführliches Training, um in der Lage zu sein, das System zu betreiben. Die USA haben ukrainische Soldaten im Umgang mit anderen komplexen Waffen ausgebildet, so etwa dem Mehrfachraketenwerfer Himars. In manchen Fällen konnte das Training verkürzt werden. Wie lange es im Fall Patriot dauern und wo es stattfinden wird, ist bislang unklar.
Das können die Patriot-Raketen
Die Patriot-Raketen sind gut einsetzbar gegen manche russische Angriffe und weniger gut gegen andere. Ein früherer hochrangiger Militärvertreter, der sich mit dem System auskennt, sagt, dass es wirksam gegen ballistische Kurzstreckenraketen sein und eine starke Botschaft der US-Unterstützung aussenden werde. Aber eine einzelne Batterie wird nach seiner Ansicht den Kriegsverlauf nicht ändern.
Die Gewährsperson, die angesichts der noch fehlenden offiziellen Bekanntgabe des Patriot-Deals anonym bleiben wollte, wies darauf hin, dass eine Patriot-Batterie ein lange Schussreichweite habe, aber nur ein begrenztes Gebiet abdecken könne. Das heißt, Patriots können eine kleine Militärbasis wirksam schützen, aber eine große Stadt wie Kiew nicht vollständig abschirmen - lediglich einen Teil.
Zwar verfügt das System auch über ein wirksames Radar, mit einer besseren Zielerfassung als das S-300-System aus der Sowjetära, das die Ukrainer benutzt haben, aber es hat seine Grenzen, wie auch Karako sagt. Aber Patriots Fähigkeit, einige ballistische Raketen und Flugzeuge ins Visier zu nehmen, könnte potenziell Kiew auch schützen, sollte Russlands Präsident Wladimir Putin tatsächlich seine wiederholte indirekte Drohung mit dem Einsatz einer taktischen Atomwaffe wahr machen.
Der Kontext ist entscheidend
Allerdings würde das davon abhängen, wie diese Waffe abgefeuert wird, erläutert Karako. Wäre es eine Freifallbombe, die von einem Flugzeug abgeworfen werden soll, könnte Patriot dieses Flugzeug ins Visier nehmen. Wäre es eine Cruise Missile oder eine ballistische Rakete kurzer bis mittlerer Reichweite, könnte es diese möglicherweise ebenfalls abfangen.
Der Patriot-Hersteller Raytheon spricht von 150 Fällen seit 2015, in denen das System Raketen abwehrte. Aber die Patriot-Erfolgsrate ist wiederholt angezweifelt worden. So konnte etwa die Untersuchungsbehörde des US-Kongresses 1992 eigenen Angaben zufolge keine Beweise dafür finden, dass Patriot im Golfkrieg zu 70 Prozent wirksam gegen Scud-Raketen war, wie es in Berichten geheißen hatte.
RND/AP