Pekings Frauenproblem: der Nationale Männerkongress
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Viele ältere Herren, kaum Frauen: Der Nationale Volkskongress, der dieser Tage zusammenkommt, ist ein Sinnbild für die oberen Sphären der chinesischen Politik und Wirtschaft.
© Quelle: Ding Haitao/XinHua/dpa
Peking. Wenn Chinas 3000 Abgeordnete dieser Tage beim Nationalen Volkskongress tagen, dann wirken die Videoaufnahmen der Massenveranstaltung wie aus der Zeit gefallen: Fast ausschließlich ältere Herren in dunklen Anzügen und Krawatte sitzen dicht gedrängt in der Großen Halle des Volkes. Wer in den Sitzreihen vereinzelte Frauen entdecken möchte, muss schon mit der Lupe suchen.
Chinas politische Führung ist seit jeher in Männerhand. Weder gab es in der Volksrepublik jemals eine Präsidentin, noch hat es seit Staatsgründung 1949 eine Politikerin in den Ständigen Ausschuss des Politbüros geschafft. Auch eine Hierarchieebene darunter, beim 25-köpfigen Politbüro, lässt sich derzeit nur eine einzige Frau finden. Das vielleicht Deprimierendste: Verglichen mit dem letzten Zentralkomitee ist die Anzahl an weiblichen Mitgliedern noch einmal deutlich zurückgegangen.
Der Kontrast zu den Nachbarländern in der Region könnte nicht stärker sein: Myanmar, Südkorea, Thailand und Singapur hatten alle bereits weibliche Staatschefs. Auch Taiwan und Hongkong werden derzeit von einer Frau regiert. Für Festlandchina scheint dieses Szenario hingegen fast undenkbar.
Bei der Gleichberechtigung der Frauen schreitet China zurück
Anlässlich des Internationalen Frauentages, der auch in China gefeiert wird, fällt das Resümee für das Reich der Mitte durchwachsen aus. Staatsgründer Mao Tse-tung versprach den Chinesinnen einst in einem viel zitierten Ausspruch „die Hälfte des Himmels“; und tatsächlich hat der Übervater der Kommunistischen Partei die Emanzipation der weiblichen Bevölkerung durchaus vorangetrieben. Noch vor 30 Jahren hatte China mit drei Viertel eine der höchsten Beschäftigungsraten der Frauen. Auch die in Peking abgehaltene 4. UN-Weltfrauenkonferenz 1995 gilt ein Vierteljahrhundert später als Meilenstein für die globale Gleichstellung der Geschlechter.
Doch seither ist China in den meisten Statistiken wieder zurückgefallen. Beim Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums liegt das Land nur mehr auf dem 106. Platz. Vom rasanten Wirtschaftsaufschwung seit den 80ern haben die Frauen weitaus weniger profitiert. Auch die Geschlechterrollen sind wieder traditioneller geworden: Laut der jüngsten Repräsentativumfrage des Gesamt-Chinesischen Frauenbunds von 2010 stimmten über 61 Prozent aller Männer und knapp 55 Prozent aller Frauen der Aussage zu, dass die männliche Domäne in der Öffentlichkeit liegt, die der Frauen hingegen im Heim.
An der Basis ist das Bild ein anderes
Dabei ist die Partizipation weiblicher Parteikader auf der unteren Ebene vergleichsweise hoch. Vier von zehn Mitgliedern der Nachbarschaftskomitees, die in Wohnanlagen als Bindeglied zwischen Kommunistischer Partei und der Bevölkerung fungieren, sind Frauen. Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich, wenn man auf Chinas Staatsunternehmen blickt. Dort sind ein knappes viertel Prozent aller Angestellten weiblich, jedoch in den Führungsetagen nur mehr 5 Prozent.
Die Gründe für die omnipräsente Glasdecke, die Frauen am Aufstieg hindert, sind vielfältig. Doch immer wieder beklagen junge Chinesinnen patriarchale Hierarchien, in denen nur aufsteigt, wer über gute Kontakte und ein reichhaltiges Netzwerk verfügt. Geknüpft werden die Beziehungen jedoch vor allem bei alkoholgeschwängerten Abendessen, bei denen sich viele Frauen unwillkommen fühlen. Zudem werden beruflich ambitionierte Chinesinnen nicht selten mit Skepsis betrachtet: Eine Frau mit Macht sei wie eine „Henne, die im Morgengrauen kräht“, heißt es in einem gängigen Sprichwort, das den angeblichen Zusammenbruch der traditionellen Familienwerte durch den Feminismus zum Ausdruck bringt.
Doch ausgerechnet während des Lockdowns in Wuhan vom letzten Frühjahr wurden die gesellschaftlichen Leistungen von Frauen mit besonderer Aufmerksamkeit in den Staatsmedien porträtiert. Denn zwei Drittel der 42.000 Mediziner und Helfer, die die abgeschlossene Stadt während des Viruskampfs am Laufen hielten, waren weiblich: Sie haben Masken verteilt, Essenslieferungen an die abgesperrten Häuser transportiert und Fiebermessungen durchgeführt. Der absolute Großteil der „Helden“, die die Regierung in ihrer Propaganda als Poster an Busstationen oder in Fernsehspots zelebrieren ließ, waren dementsprechend Frauen.
Kaum Spielraum für Veränderung
Doch ob dies einen nachhaltigen, gesellschaftlichen Wandel angestoßen hat, bleibt mehr als fraglich. Zumindest auf der Graswurzelebene haben chinesische Frauen wenig Spielraum, ihre Agenda voranzutreiben. Denn feministische Bewegungen werden von der Staatsführung vor allem als potenzielle Gefahr für die soziale Stabilität betrachtet. 2015 wurden etwa fünf Aktivistinnen aufgrund ihrer Kampagne gegen sexuelle Belästigung im öffentlichen Nahverkehr vorübergehend verhaftet.
Und als im letzten Jahr eine Drehbuchschreiberin in #MeToo-Manier gegen einen mächtigen Fernsehmoderator wegen sexueller Übergriffe geklagt hat, löste das zwar auf sozialen Netzwerken unter jungen Frauen eine beeindruckende Solidaritätswelle aus. Die Mehrheit der Bevölkerung bekam von alldem jedoch gar nichts mit, denn die herkömmlichen Medien durften nicht über den Fall berichten.