PKK-Chef Öcalan klagt gegen Griechenland
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Eine Flagge der verbotenen PKK mit einem Porträt des zu lebenslanger Haft verurteilten PKK-Chefs Abdullah Öcalan.
© Quelle: Imago/Zuma Press
Athen. Es war kein gewöhnlicher Businessjet, der in der Nacht zum 16. Februar 1999 am Atatürk-Flughafen in Istanbul zur Landung ansetzte. An Bord waren mehrere Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT und ihr Gefangener, Abdullah Öcalan, Chef der als Terrororganisation verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Wenige Stunden zuvor hatten die Geheimdienstler den „Staatsfeind Nummer 1″ in der kenianischen Hauptstadt Nairobi entführt. „Die Bestie ist gefasst“, meldeten türkische Zeitungen am nächsten Morgen. Da war Öcalan bereits unterwegs zur Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer. Dort sitzt der inzwischen 73-Jährige noch heute.
Die Verschleppung des PKK-Chefs war der Höhepunkt eines Politthrillers, der jetzt die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) beschäftigt. Öcalans Anwälte haben den EGMR angerufen, weil die griechische Regierung ihrem Mandaten seinerzeit keine Aufnahme gewährte. Damit habe Griechenland gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, argumentieren die Anwälte. Der EGMR ließ jetzt die Klage zu.
Die Geschichte beginnt im September 1998. Öcalan befindet sich im Exil in Syrien, wohin er 1979, ein Jahr nach der Gründung der PKK, geflohen war, um seiner Verhaftung in der Türkei zu entgehen. Den Syrern ist der PKK-Chef willkommen, sie liegen ohnehin mit Ankara im Streit, weil die Türkei immer mehr Wasser aus dem Euphrat abzapft. Aus Damaskus steuert Öcalan den bewaffneten Kampf der PKK für einen eigenen Kurdenstaat. Doch im Herbst 1998 kündigen die Syrer Öcalan das Gastrecht auf – unter massivem Druck der Türkei, die Damaskus sogar mit Krieg droht. Die Trainingscamps der PKK in Syrien werden geschlossen, Öcalan wird am 9. September abgeschoben.
Öcalan findet kein aufnahmebereites Land
Drei Tage später taucht er in Rom auf und wird festgenommen – aufgrund eines deutschen Haftbefehls von 1984. Damals hatte der PKK-Chef in Rüsselsheim einen Dissidenten ermorden lassen. Aber Deutschland verzichtet auf die Auslieferung, man fürchtet Proteste militanter Kurden. Auch die Italiener wollen die heiße Kartoffel Öcalan nicht behalten und schieben ihn ab. Über vier Monate irrt der PKK-Chef auf der Suche nach einer Zuflucht durch Europa, Nordafrika und den Nahen Osten. Aber kein Land will ihn.
Ende Januar 1999 schleusen griechische PKK-Sympathisanten Öcalan als „russischen Minister“ durch die VIP-Lounge am Athener Flughafen nach Griechenland ein. Doch Premierminister Kostas Simitis will keine Verwicklungen mit Ankara riskieren. Er versucht, für Öcalan Aufnahme in der Schweiz, Italien oder den Niederlanden zu finden – vergeblich. Dann verfällt Außenminister Theodoros Pangalos auf die abenteuerliche Idee, Öcalan in Kenia zu verstecken. Giorgos Kostoulas, damals griechischer Botschafter in Nairobi, bekommt ein Telegramm aus Athen, mit dem ihm das Außenministerium die Ankunft eines „Safarigastes“ ankündigt, den er für einige Tage in seiner Residenz beherbergen soll. „Sorgen Sie für Löwen und Tiger“, lautet die Weisung der anfangs noch zu Scherzen aufgelegten Athener Ministerialbeamten. Als Botschafter Kostoulas den Gast am 2. Februar am Flughafen abholt, fällt er aus allen Wolken: Er erkennt Öcalan sofort.
Versuche der griechischen Regierung, für Öcalan Aufnahme auf den Seychellen oder in Südafrika zu finden, scheitern. Inzwischen hat der amerikanische Geheimdienst CIA anhand abgehörter Telefonate den PKK-Chef in Nairobi lokalisiert. Die Amerikaner informieren die Kenianer und den Nato-Verbündeten Türkei. Am 11. Februar landet der Privatjet mit den türkischen Agenten auf dem Jomo Kenyatta-Flughafen. Die kenianischen Behörden bieten den griechischen Diplomaten an, Öcalan in ein Land seiner Wahl auszufliegen. Erleichtert stimmt Botschafter Kostoulas zu. Die Kenianer holen Öcalan mit einem Toyota Landcruiser ab. Am Flughafen warten bereits die türkischen Agenten. Sie überwältigen Öcalan und fesseln ihn. Wenige Minuten später startet der Privatjet Richtung Istanbul.
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Ende Juni 1999 verurteilte ein Gericht Öcalan wegen Hochvorrats zum Tode. Die Vollstreckung blieb aber ausgesetzt. Nach der Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei im Jahr 2004 wurde der PKK-Chef zu lebenslanger Haft begnadigt.
Öcalans Anwälte argumentieren, Griechenland habe es versäumt, einen Asylantrag ihres Mandanten zu prüfen und damit die völkerrechtswidrige Entführung mitverschuldet. Nachdem die Anwälte mit dieser Klage bereits 2008 und 2017 vor griechischen Gerichten scheiterten, haben sie nun als höchste Instanz den EGMR in Straßburg angerufen. Jetzt haben die Verfahrensbeteiligten zwölf Wochen Zeit, dem Gericht ihren Standpunkt mitzuteilen. Mit einem Urteil wird im nächsten Jahr gerechnet.