„Europa, wir entschuldigen uns für die PiS“: Hunderttausende protestieren gegen Polens Regierung
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/KBPGC2Y4KNHILNQC2RD4XQW6VY.jpg)
Hunderttausende gehen gegen die Regierungspartei PiS auf die Straße.
© Quelle: IMAGO/Aleksander Kalka
Warschau. In Polen sind am Sonntag Hunderttausende Menschen gegen die Politik der nationalkonservativen Regierungspartei PiS auf die Straße gegangen. Dichtgedrängt zogen die Teilnehmer des Protestmarsches durch das Zentrum von Warschau. Die Stadtregierung von Warschau, wo die Opposition den Bürgermeister stellt, schätzte die Zahl der Teilnehmer des dortigen Protestmarschs auf eine halbe Million. Das Nachrichtenportal Onet meldete mindestens 300 000 Teilnehmer am Höhepunkt des Marsches. Busse voller Demonstranten waren aus verschiedenen Landesteilen in die Hauptstadt geströmt, um ein Zeichen gegen den aus ihrer Sicht zunehmend autokratischen Kurs der polnischen Regierung zu setzen.
„Europa, wir entschuldigen uns für die PiS“
Die Demonstranten trugen Plakate mit der Aufschrift „Europa, wir entschuldigen uns für die PiS“, „Abrakadabra – weg ist das PiS-Makaber“ und „PiS ins Pissoir“. An der Demonstration nahm auch der Friedensnobelpreisträger und einstige Chef der Gewerkschaft Solidarnosc, Lech Walesa, teil.
Oppositionsführer Donald Tusk, der zu den Protesten aufgerufen hatte, erhielt auf der Bühne Unterstützung vom ehemaligen Präsidenten Lech Walesa. Die Menge bejubelte die beiden erbitterten Gegner der PiS von Parteiführer Jaroslaw Kaczynski und skandierte „Demokratie“ und „Verfassung“. Mit Blick auf die Wahl im Herbst sagte Tusk: „Ich verspreche euch einen Sieg“. Danach würden Fehler wieder gut gemacht und es werde eine Aussöhnung der Polen geben, sagte Tusk.
Das EU- und Nato-Land Polen hat sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs als verlässlicher Partner und standfester Unterstützer der Ukraine erwiesen. Doch im Inneren sehen viele autoritäre Tendenzen bei der PiS-Regierung. Die Sorge um den Fortbestand der Demokratie wächst.
4. Juni ist in Polen ein wichtiges Datum
Der 4. Juni ist in Polen ein wichtiges Datum: 1989 fanden an diesem Tag die ersten teilweise freien Wahlen statt – ein Triumph der Demokratiebewegung und der Gewerkschaft Solidarnosc, der zugleich das Ende der kommunistischen Herrschaft einleitete.
„Wir sind heute hier, damit ganz Polen, ganz Europa, die ganze Welt sehen kann, wie stark wir sind, wie viele von uns bereit sind, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen, so wie vor 30 und vor 40 Jahren“, sagte Tusk vor den Demonstranten.
Protest richtet sich auch gegen ein neues Gesetz
Der Protest richtet auch gegen ein neues Gesetz, das die Einsetzung einer Untersuchungskommission zur russischen Einflussnahme vorsieht. Kritiker werfen der PiS vor, sie wolle mit diesem Gesetz wenige Monate vor der Parlamentswahl Oppositionspolitiker wegen angeblicher Russlandfreundlichkeit an den Pranger stellen. Die Kommission soll prüfen, ob Amtsträger in den Jahren 2007 bis 2022 unter dem Einfluss Russlands Entscheidungen getroffen haben, die Polens Sicherheit gefährden.
Angesichts der heftigen Kritik an der geplanten Kommission schlug Präsident Andrzej Duda, der die Gesetzvorlage bereits unterzeichnet hat, noch Änderungen vor. Allerdings wird das Gesetz in dieser Woche in Kraft treten, ohne dass es Garantien gibt, dass die Kommission auch wirklich geschwächt wird.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/6FSDWLIHPNHDBBEACS634AXZOI.png)
Der Krisen-Radar
RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im neuen wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage – immer mittwochs.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
„Lex Tusk“ – einem auf Tusk gemünzten Gesetz
Polnische Medien sprechen von einer „Lex Tusk“ – einem auf Tusk gemünzten Gesetz. Der Danziger war von 2007 bis 2014 polnischer Regierungschef und gilt als schärfster politischer Gegner von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski. Die PiS-Regierung wirft ihm vor, er habe unvorteilhafte Gasverträge mit Russland abgeschlossen.
Die 26-jährige Barbara Dec und ihre Großmutter verließen ihren Heimatort Zielona Gora am Sonntag um 4.30 Uhr morgens und fuhren in einem von Tusks Bürgerplattform organisierten Bus sieben Stunden lang nach Warschau, um zu protestieren. Unmittelbar nach dem Marsch wollten sie die ebenso lange Heimreise antreten. Dec hielt ein Plakat hoch, auf dem stand: „Ich habe Angst, in Polen Kinder zu haben“. Sie verwies auf das Abtreibungsverbot, selbst bei Föten, die nicht überlebensfähig seien. Manche Frauen seien deshalb gestorben, sagte sie.
Der Marsch fand am 34. Jahrestag der ersten teilweise freien Wahlen in Polen statt, ein demokratischer Meilenstein für das Land.
RND/dpa/AP