Straftaten in Deutschland steigen auf mehr als 5,6 Millionen – Faeser sieht „sicheres Land“
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2022 in Berlin.
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
Berlin. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der in Deutschland registrierten Straftaten deutlich gestiegen. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik, die am Donnerstag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgestellt wurde, wuchs die Zahl um mehr als 11 Prozent an.
Nachdem die Zahl der Straftaten in den fünf Jahren zuvor jeweils niedriger gewesen war als im Vorjahr, stieg sie im Jahr 2022 um 11,5 Prozent auf bundesweit rund 5,63 Millionen Fälle an. Die Aufklärungsquote sank im gleichen Zeitraum um 1,4 Prozentpunkte auf 57,3 Prozent.
„Wir sind ein starker Rechtsstaat, ein sicheres Land“, betonte Faeser bei der Vorstellung der Statistik in Berlin. Vor zehn Jahren seien die Fallzahlen noch deutlich höher gewesen, so die Innenministerin. Damals seien rund sechs Millionen Straftaten registriert worden. Dass nach dem Ende der Corona-Maßnahmen die Zahlen anstiegen „kommt nicht überraschend“, sagte Faeser. „Wir sehen, in welchen Bereichen wir handeln müssen.“
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Sexualisierte Gewalt gegen Kinder
Da wäre einmal die sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Hier habe es ein Plus von 8 Prozent gegeben. „Diese Entwicklung müssen wir stoppen“, erklärte die SPD-Politikern. Kinder zu schützen habe für sie „höchste Priorität“. Dabei setze sie vor allem auf internationale Zusammenarbeit mit den USA, aber auch in der EU. Dort verhandele man aktuell „unter Hochdruck“ eine Verordnung zum Schutz von Kindern im öffentlichen Raum. „Solange die furchtbaren Missbrauchsbilder verfügbar sind, wird die Würde von Opfern immer wieder verletzt“, machte die Innenministerin deutlich.
Gewalt gegen Frauen
Als weiteren Aspekt nannte die die Gewalt gegen Frauen. Man sehe steigende Fallzahlen bei Vergewaltigungen, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen auf Frauen. Dies zeige, „wie groß der Handlungsbedarf ist“, so Faeser. „Mir ist wichtig, dass Gewalt von Männern gegen Frauen kein Tabuthema ist, sondern strafrechtlich verfolgt wird.“ Frauen würden sich besonders nachts in der Öffentlichkeit und in manchen Verkehrsmitteln nicht sicher fühlen. Deshalb soll es mehr Präsenz von Sicherheitskräften in öffentlichen Verkehrsmitteln geben. Zudem kündigte Faeser „mehr Videoüberwachung an Orten, an denen Straftaten begangen werden“, an. Mehr als Hundert Millionen Euro wollen Bund und Deutsche Bahn in neue Kameras an Bahnhöfen investieren. „Es darf keinerlei Verharmlosung von Gewalt gegenüber Frauen geben“, unterstrich die Bundesinnenministerin. Sie wolle dies auch auf der Innenministerkonferenz (IMK) thematisieren.
Dem pflichtete Berlins Innensenatorin und IMK-Vorsitzende, Iris Spranger (SPD), bei. „92,4 Prozent der Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind weiblich“, sagte Spranger auf der gemeinsamen Pressekonferenz. Man werde kaum ein Deliktfeld in der Polizeilichen Kriminalstatistik finden, in dem Männer als Opfer ähnlich stark repräsentiert sind.
Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte
Nicht zuletzt machte Faeser auf die Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte aufmerksam. Dabei habe es einen Anstieg um 7 Prozent gegeben, was eine „Verrohung“ zeige, die in der Gesellschaft existiere, so Faeser. Dennoch: „Hier geht es nicht um Zahlen, hier geht es um Menschen“, sagte die SPD-Politikerin. „Menschen, die tagtäglich für unsere Sicherheit im Einsatz sind.“ IMK-Vorsitzende Spranger machte das Ausmaß der Gewalt gegen Rettungskräfte anhand eines Beispiels deutlich: Binnen der Stunde, die die Pressekonferenz am Donnerstag andauern sollte, würden 13 Rettungs- und Einsatzkräfte Opfer einer Straftat gegen körperliche Unversehrtheit.
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD, rechts) stellt gemeinsam mit BKA-Präsident Holger Münch und Iris Spranger (SPD), Vorsitzende der Innenministerkonferenz und Innensenatorin Berlins, die Polizeiliche Kriminalstatistik 2022 vor.
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
Jugendkriminalität
Es sei ein klarer Einfluss des Endes der Corona-Maßnahmen auf das Kriminalitätsgeschehen zu bemerken, sagte der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch. Deshalb sei es sinnvoll, die Zahlen der Kriminalitätsstatistik mit dem Vor-Corona-Jahr 2019 zu vergleichen. Dabei habe es einen Anstieg von 3,5 Prozent gegeben, der nochmals um ein Prozent sinke, wenn man Verstöße gegen das Ausländerrecht abziehe, so Münch. Noch immer begingen Jugendliche pro Kopf die meisten Straftaten: „Daran hat sich nichts geändert und das ist in allen Gesellschaften so“, sagte der BKA-Chef. Darunter fallen vor allem Delikte der „Alltagskriminalität“ wie etwa Diebstähle. Faktoren, die diese Entwicklung zuletzt zusätzlich begünstigten, seien ökonomische Gründe aber auch Stressbelastung, etwa durch die Corona-Pandemie, führte Münch aus.
Was führte noch zum Anstieg der Fallzahlen?
Besonders stark war der Anstieg 2022 unter anderem bei den Delikten Taschendiebstahl, Ladendiebstahl, Wohnungseinbrüchen, Wirtschaftskriminalität und bei den Raubdelikten. Dass die Zahl der strafrechtlich relevanten Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht, das Asyl- und das EU‑Freizügigkeitsgesetz zunahm, dürfte mit dem deutlichen Anstieg der Zahl der unerlaubten Einreisen zusammenhängen. Hier sowie bei den Eigentumsdelikten spielt auch die Aufhebung von Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie eine Rolle. Diese Maßnahmen hatten irreguläre Grenzübertritte erschwert. Zudem hatten die Menschen in Deutschland in den Jahren 2020 und 2021 mehr Zeit als sonst in der heimischen Wohnung verbracht. Dadurch gab es weniger Tatgelegenheiten für Taschendiebe und Einbrecher.
Bei der Gewaltkriminalität stellte die Polizei sowohl im Vergleich zum Vorjahr als auch im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 eine Zunahme fest. Mit rund 197.000 Fällen gab es den Angaben zufolge 2022 fast 20 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr und knapp 9 Prozent mehr als 2019.
Doch daneben gab es weitere Gründe für den Anstieg der Fallzahlen. Ein Beispiel für eine Reform, die auch den Gerichten viel zusätzliche Arbeit macht, ist die 2021 beschlossene Verschärfung eines Gesetzes gegen sogenannte Kinderpornografie. Damals waren Verbreitung, Besitz und Erwerb von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen zum Verbrechen hochgestuft worden. Das hat in der Praxis dazu geführt, dass sich nun auch Schüler strafbar machen, wenn sie ein entsprechendes Bild erhalten und nicht gleich löschen. Das gilt auch für Eltern, die eine solche Aufnahme an eine Lehrkraft weiterleiten, um diese auf den unangemessenen Inhalt im Schülerchat hinzuweisen. Hier spielt nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes der Trend eine Rolle, dass Kinder und Jugendliche oft ohne zu wissen, dass dies strafbar ist, in Gruppenchats bei Whatsapp, Instagram, Snapchat oder auf anderen Kanälen unangemessene Bilder teilen.
Das Bundeskriminalamt, das die Daten für die Kriminalstatistik zusammenstellt, weist zudem jedes Jahr darauf hin, dass die registrierten Fälle immer nur das sogenannte Hellfeld abbilden, also die Zahl der Straftaten, die der Polizei bekannt geworden sind. Ändert sich das Anzeigeverhalten – etwa weil sich aufgrund der Berichterstattung über eine bestimmte neue Betrugsmasche mehr Geschädigte melden – wird dieses Hellfeld größter.
RND mit dpa-Material