Presse zur Hamburg-Wahl: “Die SPD kann doch noch siegen"
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Der Hamburger Wahlsieger: Peter Tschentscher.
© Quelle: imago images/Andre Lenthe
Berlin. Hamburg hat gewählt. Bei der Bürgerschaftswahl am Sonntag sind SPD und Grüne als stärkste Kräfte hervorgegangen, die CDU rutscht auf Platz drei. Nicht zuletzt das starke Abschneiden der Grünen, die ihr Ergebnis der Wahl 2015 nahezu verdoppeln, ermöglicht der rot-grünen Landesregierung weiterzuregieren.
So reagiert die Presse in Deutschland auf die Wahl in Hamburg.
Lüneburger Landeszeitung: “Die SPD kann doch noch siegen”
Die SPD geht als deutlicher Wahlsieger aus der Bürgerschaftswahl in Hamburg hervor. Für die Landeszeitung in Lüneburg Grund genug, sich in ihrem Kommentar mit dem Zustand der Sozialdemokratie zu beschäftigen: “Die SPD kann doch noch siegen. Trotz Verlusten bleibt sie stärkste Kraft an der Elbe. Peter Tschentschers Erfolg hat viele Gründe. Ihm hat sicher nicht geschadet, dass er auf Distanz zum Willy-Brandt-Haus gegangen ist. Vor allem aber kamen sein wirtschaftsfreundlicher Kurs, gewürzt mit einer kräftigen Prise grüner Politik, und seine klare, antifaschistische Haltung bei den Wählern in Hamburg gut an. Tschentscher kann und wird wohl auch die Koalition mit den Grünen fortsetzen."
Die Welt: “In Hamburg hat die alte Olaf-Scholz-SPD gesiegt”
Auch Die Welt widmet sich unter anderem dem Sieg der SPD und wirft einen Blick auf deren Bundespolitik: "Die SPD hingegen kann noch Wahlen gewinnen. Und zwar dann, wenn sie den ganzen sozialistischen Quatsch von Vergesellschaftung, Enteignung und Reichenbashing sein lässt. Wenn sie also das Gegenteil von dem ist, was die Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans aus ihr machen wollen. In Hamburg hat die alte Olaf-Scholz-SPD gesiegt – eine SPD, die Kapitalismus und Sozialstaat kann, die wirtschaftspolitische Vernunft und ökologische Verantwortung nicht als Gegensatz begreift und Steuern nicht zwanghaft mit dem Wort 'Erhöhung’ kombiniert. Blöd nur, dass diese SPD von der eigenen Basis im vergangenen Jahr abgewählt worden ist.”
Badische Zeitung: “So wenig Wut war selten bei einer Wahl”
Die Badische Zeitung kommentiert derweil: “Fast fühlt man sich nach dieser Hamburger Wahl in alte Zeiten zurückversetzt. Da ist eine selbstbewusste SPD, die ein Ergebnis knapp unter 40 Prozent einfährt und mit erträglichen Verlusten zugunsten des Regierungspartners, den Grünen, weiter regieren kann. Da ist eine Koalition, die nicht abgewählt wird oder schrumpft, sondern die in der Summe zulegt, weil Bürgerinnen und Bürger gute Arbeit belohnen. Da ist eine AfD, die Stimmen verliert und um den Einzug ins Parlament bangen musste. So wenig Wut, so viel Zufriedenheit war selten in jüngerer Zeit bei einer Wahl in deutschen Landen. Und die AfD? Es ist kein Naturgesetz, dass Populisten und rechte Extremisten immer mehr Zulauf haben. Man kann sie zurückdrängen. Das ist die beste Botschaft dieser Wahl.”
Der Spiegel: “Die Mitte wird grün”
Das starke Abschneiden der Grünen stellt der Spiegel in den Mittelpunkt seines Kommentars: “Katharina Fegebank wollte die erste Frau in der Geschichte der Hansestadt werden, die es schafft, als Erste Bürgermeisterin Hamburg zu regieren. Es ist ihr nicht gelungen. Dennoch ist die grüne Niederlage gegen Amtsinhaber Tschentscher von der SPD in Wahrheit ein Sieg. (...) Entscheidend war, dass diese Wähler aus dem bürgerlichen Lager für die grünen Kernthemen votiert haben, für entschiedeneren Klimaschutz, als ihn die anderen Parteien betreiben, für eine Verkehrswende, für mehr Diversität in der Gesellschaft. Die Mitte wird grün. Diese Herausforderung wartet auf Peter Tschentscher und seine SPD trotz ihres Erfolges.”
Magdeburger Volksstimme: “Störfaktoren von außen”
Einen Schlenker zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen und zur bundespolitischen Situation der Parteien macht die Volksstimme in Magdeburg in ihrem Kommentar: “Stabile Verhältnisse in Hamburg. Das hat Rot-Grün auch einer guten Regierungsführung zu verdanken. Aber vier Parteien – und besonders die SPD – haben schwer unter Störfaktoren von außen gelitten. Auf höherem Niveau hat die Hamburg-SPD ähnlich wie auf Bundesebene verloren. Die misslungene Kür der SPD-Bundesvorsitzenden wirkt nach. Das Gemurkse der CDU in Berlin und Thüringen hat dazu beigetragen, dass die seit Jahren an der Waterkant darbende Union ein neues Rekord-Tief erreicht hat. Die FDP muss allein wegen Thüringen um den Einzug in die Bürgerschaft bangen. Und die AfD scheint nach der Zunahme rechtsextremer Gewalt von einigen Wählern endlich gemieden zu werden. Die Führungsspitzen von SPD, CDU und FDP in Berlin müssen begreifen, dass sie gegenwärtig ihren Parteigliederungen mehr schaden als nützen. Was eine überzeugende Führung umgekehrt bewirken kann, können sie bei den Grünen besichtigen."
heute.de: “Mit hanseatischem Trotz” zum SPD-Wahlsieg
Auch heute.de blickt auf die Auswirkungen der Hamburg-Wahl auf die Bundespolitik: “Natürlich: In Hamburg ging es heute vor allem um Hamburg, um Umwelt, Verkehr, Wohnen, Bildung. Aber die selbstbewusste Nordmetropole hat auch bundespolitische Signale gesetzt. Zunächst an die SPD. Sie kann noch gewinnen. Mit hanseatischem Trotz hat Hamburg den als Scholz-Klon verspotteten Peter Tschentscher deutlich im Amt bestätigt. Ein Sieg ohne die neue Parteispitze. Hamburg stimmt für eine SPD von Mitte und Vernunft.”
Süddeutsche Zeitung: “Hamburg ist kein AfD-Biotop”
Die Süddeutsche Zeitung blickt derweil auch auf das Abschneiden der AfD: “Was zeigen die Ergebnisse? Der Stadtstaat ist ein Biotop für sich, vor allem ist er kein AfD-Biotop. Weltoffenheit und Kammerton gehören zu der alten Handelsstadt im Norden so wie die Gezeiten zum Meer. Die Ausgangsbasis der AfD dort waren 6,1 Prozent, und selbst die hat sie nicht halten können: Zum ersten Mal wohl haben die Auftritte etlicher ihrer Repräsentanten abschreckend auf bisherige Wähler gewirkt. Die Annahme wäre zwar verwegen, dass es bei der AfD bald auch in ganz anderen Biotopen um die parlamentarische Existenz gehen könnte. Doch dass die Feinde der liberalen Demokratie an Grenzen geraten - dies immerhin wird deutlich.”
Mittelbayerische Zeitung: “Bundes-SPD spielte in Hamburg so gut wie keine Rolle”
Die Mittelbayerische Zeitung schaut auf den Wahlsieger Peter Tschentscher: “Dass es zu einer Wiederauflage von Rot-Grün in der großen Hansestadt kommen dürfte, ist auch ein persönlicher Triumph des eher unauffälligen Peter Tschentscher. Der frühere Arzt hat der Hamburger SPD mit der Abkopplung von der Bundes-SPD und dem wenig überzeugenden Vorsitzenden-Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken offenbar das richtige Rezept verordnet. Die Bundes-SPD spielte im Hamburger Wahlkampf so gut wie keine Rolle. Der alte und sicher auch neue Erste Bürgermeister Hamburgs, Peter Tschentscher, hat gezeigt – man mag es im Rest der Republik kaum noch für möglich halten – dass die SPD noch siegen kann. Im Berliner Willy-Brandt-Haus, wo schon Galgenhumor und Untergangsstimmung um sich greifen, dürfte das Ergebnis aus dem Norden wie Balsam für geschundene Seelen wirken."
Ludwigsburger Kreiszeitung: “Der Fall der Sozialdemokratie ist nicht gestoppt”
Auch die Ludwigsburger Kreiszeitung blickt auf Tschentscher und die Sozialdemokratie insgesamt: “Dass der solide auftretende Bürgermeister Peter Tschentscher weitermachen kann, ist deshalb keine Überraschung. Obwohl auch er in der sozialdemokratischen Hochburg viele Stimmen verlor. Am Sonntagabend wurde bei den Genossen darüber hinweggejubelt. Der Fall der Sozialdemokratie ist damit nicht gestoppt. Schon gar nicht durch das neue linke Führungsduo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Eher kann man sagen: Tschentscher, ein Mitte-Mann wie Vorgänger Olaf Scholz, hat Hamburg gegen den Bundestrend gehalten. Genauso konstant wie es für die Sozialdemokraten nach unten geht, geht es für die Grünen nach oben. Plus zehn bis zwölf Prozent sind für sie offensichtlich überall drin, jedenfalls im Westen."
RND/das/dpa