Prozess um KZ-Wachmann: 100-jähriger Angeklagter will Sachsenhausen „gar nicht kenn‘“
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Der angeklagte ehemalige KZ-Wachmann sitzt mit seinem Anwalt Stefan Waterkamp im Gerichtssaal. Der inzwischen 100-jährige Angeklagte soll zwischen 1942 und 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen nahe Berlin wissentlich und willentlich Hilfe zur Ermordung von Lagerinsassen geleistet haben, heißt es in der Anklage. Es gehe um Beihilfe zum Mord in 3518 Fällen.
© Quelle: Fabian Sommer/dpa
Brandenburg/Havel. Im Prozess um die Massentötungen von Lagerinsassen im Konzentrationslager Sachsenhausen hat der Angeklagte die Vorwürfe der Anklage bestritten. „Ich hab‘ doch da gar nicht in Sachsenhausen, ich bin unschuldig, weil ich das gar nicht kenn‘“, sagte der 100-Jährige am Freitag beim zweiten Verhandlungstag in Brandenburg/Havel. Er soll laut Anklage zwischen 1942 und 1945 im als Wachmann der SS Beihilfe zur Ermordung von mehreren Tausend Menschen geleistet haben.
Zuvor hatte er auf Befragung des Vorsitzenden Richters Udo Lechtermann seine Kindheit und Jugend in Litauen und sein späteres Leben in Deutschland nach seiner Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft geschildert. Fragen zu der Zeit während des Zweiten Weltkriegs hatte der Anwalt des Angeklagten nicht zugelassen. Er hatte bereits am ersten Verhandlungstag am Donnerstag erklärt, dass sich sein Mandant zu den Vorwürfen nicht äußern werde.
Laut Anklage geht es um mindestens 3518 Fälle der Beihilfe zum Mord im damaligen KZ Sachsenhausen nahe Berlin. Das Verfahren vor dem Landgericht Neuruppin wird aus organisatorischen Gründen in einer Sporthalle in Brandenburg/Havel geführt.
Zeugen schildern Ermordung ihrer Väter
Zwei Zeugen aus Frankreich und den Niederlanden schilderten im Prozess, wie ihre Väter als Widerstandskämpfer in Sachsenhausen ermordet worden seien. Christoffel Heijer aus dem niederländischen Leidschendam wandte sich danach direkt an den Angeklagten.
„Ich könnte verstehen, dass Sie - von Angst getrieben - sich an dem Nazi-Vernichtungssystem beteiligt haben“, sagte Heijer. „Aber konnten Sie nach dem Krieg ruhig schlafen, nachdem Sie so viel auf ihr Gewissen geladen haben?“ Er wünsche sich, dass der Angeklagte verurteilt werde, sagte Heijer.
Der Nebenkläger-Anwalt Mehmet Daimagüler kritisierte in einer Erklärung, dass die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen so spät erfolge. „Wieso hat es mehr als 70 Jahre gedauert, dass Antoine Grumbrach über den schrecklichen Tod seines Vaters berichten durfte?“, fragte er mit Blick auf den französischen Nebenkläger. Das Grauen, die Traumata und der Schmerz wirkten bei den Angehörigen bis heute fort, mahnte er. „Wir müssen in den Spiegel schauen und in den Abgrund blicken - auf die Gefahr hin, dass der Abgrund zurückblickt.“
„Schweigen ist bestreiten“
Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, appellierte nach dem Verhandlungstag an den Angeklagten und seinen Verteidiger, das Schweigen zu brechen. Wichtig wäre, „wenn der Angeklagte sagen würde, was er gesehen hat und woran er beteiligt war“. Verteidiger Waterkamp bekräftigte hingegen, sein Mandant werde sich nicht weiter zu den Vorwürfen äußern. „Schweigen ist bestreiten“, fügte Waterkamp hinzu.
Für den Prozess sind 22 Verhandlungstage bis in den Januar hinein angesetzt. Nach Angaben des Gerichts sollen bei den nächsten Verhandlungstagen am 21. und 22. Oktober Polizeibeamte zu den Ermittlungen gegen den Angeklagten befragt werden.
RND/dpa