Putins afrikanische Freunde: Warum Algerien noch zu Russland hält
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Der russische Außenminister Sergej Lawrow und sein algerischer Amtskollege Ramtane Lamamra schütteln sich die Hände bei einem Treffen in Algier im Mai 2022.
© Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Als russischer Außenminister gehört es für Sergej Lawrow zur Jobbeschreibung, auf Auslandsreisen Kontakte mit anderen Regierungen zu knüpfen und diese bei sich in Moskau zu empfangen. Seit dem 24. Februar – dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine – kann Lawrow diesem Job nicht mehr wie gewohnt nachkommen, in vielen Ländern ist er unerwünscht.
Mit wem sich der Außenminister seit Kriegsbeginn getroffen hat, gewährt deshalb Einblicke, wie Russland trotz westlicher Isolationsversuche sein diplomatisches Netz weiterspinnt. Außer Lawrows Besuch in China fällt besonders der enge Kontakt zu arabischen und afrikanischen Staaten auf: Anfang April reiste eine arabische Kontaktgruppe nach Moskau. Dabei unter anderem die Außenminister Ägyptens, Iraks, Jordaniens, Sudans und Algeriens.
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Algerien und dessen Außenminister Ramtane Lamamra stattete Lawrow einen Monat später einen Gegenbesuch ab.
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„Wir schätzen die besonnene, objektive und ausgewogene Position Algeriens in der Ukraine-Frage sehr“, sagte Lawrow nach den Gesprächen. „Ausgewogen“, das bedeutet unter anderem, dass Algerien Anfang März einer Resolution der UN-Generalversammlung zur Verurteilung des russischen Angriffs nicht zustimmte, sondern sich als eines von 35 Ländern der Stimme enthielt.
Weitere fünf Staaten stimmten dagegen, zwölf blieben abwesend. Den Großteil davon machten arabische und afrikanische aus. Als es darum ging, Russland aus dem Menschenrechtsrat auszuschließen, wiederholte sich das.
Gemeinsames sozialistisches Erbe
Wie weitere Länder von dieser Liste hat Algerien eine Phase sozialistischer Ausrichtung hinter sich, erklärt Rachid Ouaissa, Professor für die Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Marburg im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Die guten Beziehungen sind zur Sowjetzeit entstanden und haben immer noch Bestand, auch zu China hat Algerien heute noch ein gutes Verhältnis.“
Nach der formellen Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1962 wurde die Nationale Befreiungsfront zur sozialistisch ausgerichteten Einheitspartei. Mit einer Öffnung gegenüber dem Ostblock sollte dann auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit forciert werden. Als einen von nur wenigen Ausländern zeichnete die Sowjetunion 1964 den zweiten algerischen Staatschef, Ahmed Ben Bella, mit dem Goldenen Stern des Lenin-Ordens aus.
Die Zeit der sozialistischen Bruderschaft ist zwar vorbei, nützlich ist die Beziehung beider Länder aber nach wie vor. „Algerien ist heute ein autoritäres Regime, das sich gerne mit Gleichen umgibt“, sagt Ouaissa. 20 Jahre lang stand Präsident Abdelaziz Bouteflika an der Spitze des Staates, selbst als er schwer krank im Rollstuhl saß, wollte er seine Macht sichern und für eine fünfte Amtszeit kandidieren. Nach Massenprotesten wurde Abdelmadjid Tebboune ins Amt gewählt – die Lage hat sich aber kaum verändert: Demonstrierende werden festgenommen, es kommt zu Übergriffen auf Homosexuelle und die Pressefreiheit ist eingeschränkt, wie Menschenrechtsorganisationen berichten.
Die algerische Führung schätze Russland unter anderem deshalb, weil von dort keine Einmischung in innere Angelegenheiten zu befürchten sei, Russland aber ein wichtiger Wirtschaftspartner sei, meint Ouaissa. Russland liefere etwa Waffen nach Algerien und unterstütze damit die Unterdrückung der Bevölkerung. Algerien hat außerdem angekündigt, im November mit Russland eine gemeinsame Militärübung an der Grenze zum rivalisierenden Nachbarstaat Marokko durchzuführen.
Kritik an westlichen Doppelstandards
An den guten Beziehungen hat auch die russische Invasion in der Ukraine nichts geändert. Isabelle Werenfels, Mitglied der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sieht immer noch einen ausgeprägten „antiwestlichen Reflex“ in Algerien, der die aktuelle Positionierung zum Krieg begründe. In einer Analyse schreibt sie, aus Perspektive der Maghreb-Staaten offenbare der Westen in der aktuellen Situation Doppelstandards.
Das französische Onlinemedium TSA Algérie kommentiert das so: Die harten westlichen Sanktionen hätte man als Stärkung des Völkerrechts werten können, „wenn dieselben Staaten die Verletzung dieses Rechts in vielen südlichen Ländern nicht mehr als 70 Jahre lang zugelassen hätten“.
Beispiele für die westliche Doppelzüngigkeit finden sich aus Sicht afrikanischer und arabischer Staaten viele: Putins Invasion in der Ukraine wird verurteilt, die US-Invasion im Irak nicht. Die russische Besatzung der Ostukraine wird mit Sanktionen bestraft, die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete nicht. Und ukrainische Geflüchtete werden in Europa mit offenen Armen empfangen und unterstützt, arabische und afrikanische Kriegsgeflüchtete nicht.
„Westliche Arroganz gegenüber den Maghreb-Staaten“
Politikwissenschaftler Ouaissa äußert im RND-Gespräch Verständnis dafür, dass Algerien und andere afrikanische sowie arabische Staaten dem Westen nicht bedingungslos in seinem Russland-Kurs folgen wollen: „Die USA und Europa haben es nicht geschafft, diese Länder hinter sich zu bringen. Das liegt auch an einer gewissen westlichen Arroganz den Maghreb-Staaten gegenüber.“ Die Bevölkerung unterstütze zwar nicht aktiv die russische Invasion, die Enttäuschung über den Westen treibe sie aber in die Arme Russlands.
Einigung erzielt: EU-Staaten verbieten Ölimport aus Russland schrittweise
Das Verbot von Ölimporten in EU-Länder gilt zunächst für russisches Rohöl, welches per Schiff geliefert wird.
© Quelle: Reuters
Das weiß die Regierung um Wladimir Putin und Sergej Lawrow auszunutzen. Wie China sucht Russland Einfluss in Afrika, sowohl wirtschaftlich als auch sicherheitsstrategisch. Berichten deutscher Diplomaten zufolge betreibt Russland auch in Afrika eine massive Desinformationskampagne. Mit dem Narrativ, nicht Putin sei der Aggressor, sondern der Westen und die Nato, läuft Russland dort offene Türen ein.
Algerien könnte vom Krieg profitieren
Die algerische Regierung profitiert von der Stärke Russlands, durch den Krieg paradoxerweise aber auch von dessen Schwächung: Europäische Staaten müssen sich nach Alternativen zu Gas- und Ölimporten umsehen, wenn sie von Russland nicht mehr beliefert werden oder das Land boykottieren wollen – fündig könnten sie ausgerechnet in Algerien werden.
Vor dem Krieg, im Jahr 2019, machten algerische Gasimporte der EU-Staaten rund sieben Prozent aus, der russische Anteil lag nach Angaben der EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden bei 47 Prozent. In der Liga der ganz Großen spielt Algerien damit zwar nicht mit, aber beispielsweise Katar, mit dem Deutschland über einen Gas-Deal verhandelt, exportiert bislang nicht wesentlich mehr in die EU. Die Regierung des Maghreb-Staats hat die Chance erkannt, in der SWP-Analyse heißt es dazu: „Algerien hofft, Russland als Öl- und Gaslieferanten für Europa teilweise zu ersetzen.“
Italien, das auch vor dem Krieg schon rund ein Drittel seiner Gasimporte aus Algerien bezog, hat im April angekündigt, die Liefermenge bis 2023 um 40 Prozent zu erhöhen. Die Importe aus Algerien werden die aus Russland dann übertreffen. Ministerpräsident Mario Draghi sagte bei einem Besuch in Algier, dies sei ein wichtiger Schritt, um den Energienachschub zu diversifizieren. Auch Spanien hofft auf Gas aus Algerien. Weil sich die Regierung aber Marokko, dem rivalisierenden Nachbarstaat Algeriens, angenähert hat, ist das Unterfangen schwieriger.
Löst Algerien die Energieengpässe der EU?
Ob Algerien für den gesamten europäischen Gasmarkt Entlastung bringen kann, ist allerdings unklar. Georg Zachmann, Energieexperte bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, weist darauf hin, dass der algerische Energiestaatskonzern Sonatrach auf langfristige Verträge pocht. „Allerdings will die EU sich ungern für 20 Jahre festlegen“, sagt Zachmann dem RND. Auch Katar, mit dem die deutsche Bundesregierung den Handel ausbauen will, stellt solche Bedingungen. Das Problem: Eigentlich will Deutschland bis zum Ende der Verträge bereits klimaneutral sein und aus fossilen Energieträgern ausgestiegen sein.
Pipelinekapazitäten von Algerien in die EU seien zwar grundsätzlich vorhanden. Aber nur die über Italien brächten wirkliche Erleichterungen. Das Gas, das in zwei Pipelines nach Cordoba und Almeria fließt, könne schlecht weiterverteilt werden, weil Spanien schlecht ans europäische Netz angeschlossen sei.
Politikwissenschaftler Ouaissa sieht eine mögliche verstärkte Zusammenarbeit der EU mit Algerien nicht unkritisch: „Wenn man Algerien jetzt zu einem wichtigen Handelspartner macht, wie es bislang Russland war, kann man erst recht nicht auf die Menschenrechtslage in dem Land hinweisen“, sagt er.
Natürlich sei es auch nicht gut, dass man russisches Gas mit Gas von Russlands Freunden beziehe. Aber: „Wenn man alle Staaten mit freundschaftlichen Beziehungen zu Russland und mit kritischer Menschenrechtslage als Handelspartner ausschließt, bleibt bald niemand mehr übrig, der Gas liefern kann.“
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