Rechtsruck und Justizreform: „Die EU ist Polens letzte Rettung“
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Platz nahe der Uni Warschau.
© Quelle: Matthias Schwarzer
Warschau. Die EU-Wahl am 26. Mai wird für Polen die wichtigste Wahl aller Zeiten. Das zumindest glaubt Hanna Machińska. Die Vize-Ombudsfrau des polnischen Gerichts ist sich sicher: Nach dem massiven Rechtsruck im Land wurde die Bevölkerung aufgerüttelt.
„Man sieht es schon bei Kommunalwahlen“, erklärt Machińska. „Die Schlangen an den Wahlkabinen sind riesig lang.“ Sie erzählt von einer alten Damen, die drei Stunden an der Wahlkabine angestanden habe, um unbedingt ihre Stimme abgeben zu können.
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Hanna Machińska vermittelt als Vize-Ombudsfrau zwischen Bürgern und der Justiz. Sie blickt mit Sorge auf die polnische Justizreform und setzt viele Hoffnungen in die EU.
© Quelle: Tom Sundermann
Auch bei der Europawahl glaubt Machińska an eine deutlich höhere Wahlbeteiligung als zuletzt. „Vor allem in den polnischen Großstädten sind die Menschen aktiviert“, erklärt sie. „Die Leute haben erkannt: Ende Mai entscheidet sich die Zukunft Polens.“
Gefeuert von Rechtspopulisten
Wir treffen Hanna Machińska während der Expedition EU in ihrem Büro in der Jura-Fakultät der Universität Warschau. Machińska ist von den Entscheidung der rechtspopulistischen Regierungspartei PiS ganz direkt betroffen. 2017 verlor sie ihren Job als Chefin des Büros des Europarates in Polen, weil sie „diese Rolle aus politischen Gründen nicht mehr übernehmen“ dürfe. So stand es laut Machińska in einem Schreiben des Außenministeriums.
Heute vermittelt Machińska als Vize-Ombudsfrau zwischen Bürgern und der Justiz. „Eine Aufgabe, die mir mindestens genauso viel Freude bereitet“, erzählt sie. Die Institution genieße ein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Doch die politischen Veränderungen in Polen machen sich auch hier stark bemerkbar.
Machińska verweist auf einen UN-Sonderbericht. Auf Einladung der polnischen Regierung hatte der UN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten, Diego García-Sayán, im Oktober 2017 einen Länderbesuch in Polen unternommen, um sich ein Bild von der polnischen Justizreform zu machen. Die Ergebnisse des Berichtes sind besorgniserregend.
Schikane und Propaganda gegen Richter
Laut García-Sayán sei die Absicht der Justizreform vor allem, den verfassungsmäßig geschützten Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz zu behindern und der Legislative und Exekutive die Möglichkeit zu geben, in die Judikative einzugreifen. Die Regierung hatte bei der Einführung der Reformen stets auf die „Effizienzsteigerung des Gerichtssystems“ verwiesen.
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Universität Warschau: In der Jura-Fakultät der Universität Warschau ist die umstrittene Justizreform ein Dauerthema.
© Quelle: Matthias Schwarzer
Der Bericht spricht zudem von einem Propaganda-Angriff der Regierung auf das Justizwesen. Einzelne Fehltritte von Richtern seien instrumentalisiert worden, um das Bild eines korrupten, ineffizienten und elitären Justizsystems zu zeichnen. Diese Kampagnen seien nach Meinung des Sonderberichterstatters besonders besorgniserregend, da sie ein verzerrtes Bild der Justiz zeichneten.
Zudem verletze die Reform regionale und internationale Abkommen, untergrabe die Autorität des Verfassungsgerichtshofs und verstoße zusätzlich gegen die Beschäftigungsgarantie. Polen hatte unzählige Richter in den vorzeitigen Ruhestand geschickt, bis eine Entscheidung des EuGH den Plänen einen Strich durch die Rechnung machte. Das Land musste die Zwangspensionierung mit sofortiger Wirkung stoppen.
Die Gefahr der Selbstbeschränkung
Hanna Machińska berichtet von einem aktuellen Fall, bei dem sie ebenfalls auf die Unterstützung der EU hofft. Die EU-Kommission hatte erst im April ein neues Vertragsverletzungs-Verfahren gegen Polen gestartet. Es richtet sich gegen die neue Disziplinarordnung für Richter in dem Land. Diese erlaubt es einer Kammer des Obersten Gerichts, Richter wegen des Inhalts ihrer Entscheidungen zu bestrafen. „Es wäre wirklich unvorstellbar, wenn das durchgesetzt wird“, so Machińska.
In der Rechtssprechung mache sich der Druck auf die Gerichte schon jetzt bemerkbar. Machińska spricht vom sogenannten „Chilling-Effekt“ — also einer Art Selbstbeschränkung oder vorauseilendem Gehorsam. Denn bevor sich ein Richter einem Disziplinarverfahren aussetzte, entscheide er aus Angst möglicherweise lieber anders. Besonders heikel sei das vor allem bei politischen Urteilen, die nicht der Linie der PiS-Partei entsprechen.
Staat schützt rechte Gruppierungen
Doch auch abseits der Justiz haben die Entscheidungen der rechten Regierungspartei Auswirkungen. „Wir stellen gefährliche Verletzungen der Bürgerrechte in Polen fest“, so Machińska. „Bei Demos für Demokratie beispielsweise bemerken wir, dass sich der Staat deutlich auf die Seite von rechtsorientierten Bewegungen stellt.“ Bei Versammlungen würden diese beispielsweise besser geschützt als Bewegungen, die für Grundrechte und pro Europa ihre Stimme erheben.
Für die kommende EU-Wahl hofft Machińska, dass die rechten Positionen nicht noch weiter gestärkt werden. Nach aktuellen Wahlumfragen könnte die PiS-Partei mit einem Mandat mehr die Wahl für sich entscheiden. „Ich bin noch optimistisch“, sagt die Vize-Ombudsfrau. „In der Bevölkerung herrscht inzwischen ein hohes Bewusstsein.“
Die anstehenden Europawahlen seien aber auch ein wichtiges Signal für die Wahlen des polnischen Parlaments, die ebenfalls noch in diesem Jahr stattfinden werden. „Wirklich jeder muss wählen gehen und seine Stimme abgeben“, appelliert Machińska.
Von der EU erhofft sie sich nun, dass die europäische Gemeinschaft Polen wieder auf den richtigen Weg zurückführen kann. Wenn nicht, sehe die Zukunft für das Land bitter aus. In diesem Moment wird es kurz emotional. Hanna Machińska läuft eine Träne aus den Augen. „Man kann es nur so sagen“, betont sie. “Die EU ist unsere letzte Rettung.“