Harsche Kritik an Leipziger AfD-Werbung mit Bild der Friedlichen Revolution
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Blick auf die Montagsdemonstration am 16. Oktober 1989 auf dem damaligen Karl-Marx-Platz in Leipzig. Das Foto steht in dieser Form im Wikipedia-Beitrag über die Montagsdemos 1989/1990 in der DDR und ist mit Creative Commons Lizenz verwertbar.
© Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0922-002 / Friedrich Gahlbeck / CC-BY-SA 3.0
Leipzig. Auf einer Strategiekonferenz im Sommer 2018 kündigte die sächsische AfD an, die Friedliche Revolution für ihre Wahlwerbung benutzen zu wollen. Nun ist auch auf der Straße zu erkennen, was damit gemeint war. Unter dem Titel „Wende für Leipzig“ wurden in der Messestadt großflächig Plakate mit einer Aufnahmen der Montagsdemo vom 16. Oktober 1989 aufgestellt.
Gemacht hat das Foto der inzwischen verstorbene Fotograf Friedrich Gahlbeck. Dessen Enkel Martin Neuhof, selbst Fotograf und Initiator des antirassistischen Fotoprojekts "Herzkampf", ist über die Umnutzung erschüttert und lässt gegen die Verwendung rechtliche Schritte einleiten. Parallel dazu gibt es harsche Kritik von Bürgerrechtlern und Politikern an der Kampagne der Rechtspopulisten. Tenor: Die AfD missbrauche die Symbolik der Friedlichen Revolution in Leipzig.
Gahlbeck-Enkel Martin Neuhof veröffentlichte Anfang dieser Woche Aufrufe in den sozialen Medien mit der Bitte, ihm die Standorte der Plakate mitzuteilen, um sich einen Überblick über die Verbreitung zu verschaffen. Dass die AfD das Bild verwendet, entsetzt ihn und macht ihn traurig, sagt er. „Würde mein Opa das wissen, würde er sich dreimal im Grab umdrehen“, so der 35-Jährige gegenüber der LVZ.
Ehefrau und Bundesarchiv haben Bildrechte
Die Rechte am Bild besitzt Gahlbecks Frau. Zudem hat der frühere ADN-Fotograf noch zu Lebzeiten auch dem Bundesarchiv Nutzungsrechte eingeräumt. Im Web ist das Foto aus dem Bundesarchiv bei Wikipedia unter Creative-Commons-Lizenz zu finden und kann mit Verweis auf Bundesarchiv und Urheber frei genutzt werden. Allerdings nur, wenn die Lizenzbedingungen erfüllt werden. Dazu gehört zwingend die Nennung des Fotografen.
Laut Neuhof hat die AfD das Foto vor der Plakatierung bereits auf Facebook ohne Lizenzangaben gepostet. Die Straßenwerbung sei zwar teilweise mit einem Aufkleber versehen worden, der auf die Lizenz verweist. „Das ist offenbar nachträglich geschehen“, vermutet Neuhof.
Anwalt: Lizenzbedingungen sind streng
Inzwischen hat er den auf Urheberrechte spezialisierten Anwalt Jonas Kahl (Spirit Legal) involviert: „Auf einzelnen Plakaten wurde zwar ein Urheberrechtshinweis ergänzt. Das ändert aber nichts an den bereits eingetretenen Urheberrechtsverletzungen. Die Lizenzbedingungen sind in dieser Frage streng“, sagt Kahl. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass Gahlbeck laut seiner Familie niemals mit einer Nutzung durch die AfD einverstanden gewesen wäre.
Der Leiter des Bundesarchivs, Oliver Sander, sagte am Dienstag, aus ihrer Sicht gebe es keine juristischen Bedenken gegen die Verwendung. Ob die Ansprüche der Gahlbeck-Familie dennoch zurecht bestehen, wird die Justiz in den kommenden Monaten klären müssen.
Bürgerrechtler: „Missbrauch des Ereignisses“
Für einige Kritiker ist jetzt schon klar: Die Motivwahl der AfD ist aus ethischen Gründen abzulehnen. "Der bewusst hergestellte Bezug zwischen dem Begriff ,Wende' und dem Foto der Montagsdemonstration von 1989 ist – gerade in Leipzig, der Stadt der Friedlichen Revolution – ein Missbrauch dieses einmaligen Ereignisses der jüngsten deutschen Geschichte", empörte sich Tobias Hollitzer vom Bürgerkomitee Leipzig. Der Leiter der Gedenkstätte "Runde Ecke" sagte auch: "In welcher politischen Tradition sich die Leipziger AfD offenbar sieht, zeigt die Übernahme des Begriffs ,Wende', den 1989 der Honecker-Nachfolger Egon Krenz geprägt hat, um die Macht der SED zu retten."
Diese Parallele ist auch dem Leipziger CDU-Stadtrat Ansbert Maciejewski aufgefallen. „Ich habe keine Erinnerung daran, dass der Begriff ’Wende’ zum Sprachgebrauch der Demonstranten gehörte“. Der Unionspolitiker wertet das Plakat der Konkurrenz als Versuch, „mit Hilfe der Montagsdemonstrationen von 1989 die mangelhafte eigene kommunalpolitische Performance zu kaschieren“.
AfD sieht sich im Recht
Die Leipziger AfD selbst reagierte gelassen. „Wie im entsprechenden Nachweis auf den Großflächenplakaten angegeben stammt das Bild von Wikimedia Commons und die Verwendung entspricht den Lizenzbedingungen“, sagte der Kreisvorsitze Siegbert Droese gegenüber der LVZ. Erklärtes Ziel „sei eine erneute politische Wende – nichts verdeutlicht das besser als eine Fotografie der Montagsdemonstrationen“, so der AfD-Politiker.
Susi Neuhof, eine der fünf Töchter des Fotografen Friedrich Gahlbecks, sieht das komplett anders. „Mein Vater und viele andere, die der Revolution vor 30 Jahren verbunden waren, haben es nicht verdient, dass durch den Plakat-Missbrauch der AfD ein falsches Licht auf sie fällt. Ich finde das unerträglich“, sagt sie.
Von Mark Daniel / Matthias Puppe
LVZ