Wie sich Putin den Osten der Ukraine einverleibt
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Nach der Unterzeichnung der Dokumente über die Eingliederung der ukrainischen Regionen soll auf dem Roten Platz in Moskau eine große Feier stattfinden.
© Quelle: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa
An diesem Freitagmorgen rollen Busse voller Putin-Unterstützer Richtung Roter Platz in Moskau. Zur gleichen Zeit klagt der Gouverneur der ukrainischen Region Saporischschja, dass russische Truppen einen Konvoi mit zivilen Fahrzeugen unter Raketenbeschuss genommen haben. 25 Menschen sollen getötet worden sein, 50 verletzt. Der Konvoi sei dabei gewesen, die Hauptstadt der Region zu verlassen, heißt es von der ukrainischen Staatsanwaltschaft. Eine der Regionen, die Putin an diesem Tag zu russischem Staatsgebiet erklären will.
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Die Menschen aus Putins Bussen sollen dem Kriegsherrn am Nachmittag von draußen zujubeln, wenn er bei einer feierlichen Zeremonie im Kreml die Annexion der seit 2014 besetzten Regionen Luhansk und Donezk sowie die im seit Februar geführten Angriffskrieg eroberten Landgebiete Cherson und Saporischschja erklärt.
Es geht um etwa 20 Prozent des Staatsgebiets der Ukraine, die sich Russlands Kriegsherr nun als Staatsgebiet einverleiben will. Einschließlich der Halbinsel Krim, die Putin bereits 2014 ohne große Gegenwehr der Ukraine und unter Inkaufnahme ein paar westlicher Sanktionen unter Zwang nach Russland eingegliedert hatte. International war sein Vorgehen als völkerrechtswidrig gebrandmarkt und nicht anerkannt worden. Mit Waffen, Pässen und Pensionen aber schuf Putin Tatsachen.
Auch die zwangsweise Eingliederung der Regionen, die nun auf Putins Plan steht, werden weder die Ukraine noch der Westen anerkennen. UN-Generalsekretär António Guterres sprach von einem Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen, der keinen rechtlichen Wert habe. Es wird damit gerechnet, dass allenfalls die Diktaturen Syrien und Nordkorea das Vorgehen Moskaus billigen werden. Putin aber wird seinerseits Rückeroberungsversuche der besetzten Gebiete durch die ukrainische Armee als Angriff auf Russlands Souveränität werten. Das sei dann ein Akt der Aggression, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitag. Die Regionen Luhansk und Donezk würden Russland in Gänze angeschlossen und Russland werde den derzeit von ukrainischen Truppen kontrollierten Teil von Donezk befreien.
Nach militärischen Rückschlägen Anfang September hatte der russische Präsident Wladimir Putin in der vergangenen Woche hastig Abstimmungen ansetzen lassen, die nun die Eingliederung der besetzten Gebiete in die Russische Föderation rechtfertigen sollen. Die Abstimmungen entsprachen ganz offensichtlich keinerlei internationaler Standards. Die Bürgerinnen und Bürger waren unter Waffengewalt an die durchsichtigen Urnen gezwungen worden. Das verkündete Ergebnis fiel entsprechend aus: Nach Angaben von Russland eingesetzter Wahlbeamter stimmten in Saporischschja 93 Prozent der Wähler für einen Anschluss an Russland, in Cherson 87 Prozent, in Luhansk 98 Prozent und in Donezk 99 Prozent.
Aus Angriff wird Verteidigung der annektierten Gebiete
Nach der Feier am Freitag soll am Dienstag das russische Parlament die Annexion billigen. Danach könnte Russland aus seiner Logik heraus die Kämpfe in diesen Regionen als Verteidigungskrieg bezeichnen. Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, das eigene Territorium zu verteidigen, hat Putin mehrfach mit Einsatz von Atomwaffen gedroht.
Diese Drohung und Putins wiederholte Ankündigungen, Erde und Boden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen, sind umso brisanter, da das russische Militär bislang keineswegs die nun völkerrechtswidrig einverleibten Gebiete kontrolliert. Gerade erst musste der Chef der Donezker Separatisten, Denis Puschilin, die fast komplette Einschließung der strategisch wichtigen Kleinstadt Lyman durch ukrainische Truppen eingestehen. Die benachbarten Orte Jampil und Drobyschewe seien nicht mehr komplett unter Kontrolle der russischen Truppen. Reserven würden herangezogen.
Das Gebiet um Lyman ist wichtig als Brückenkopf für einen weiteren Vormarsch der ukrainischen Truppen tief in das benachbarte Gebiet Luhansk hinein. Als Mindestziel hat Moskau die komplette Eroberung des Gebiets Donezk ausgegeben. Bisher kontrollieren russische Truppen nur 58 Prozent dort. Es geht um eine Fläche von über 108.000 Quadratkilometern. Das entspricht der Größe von Bayern und Baden-Württemberg zusammen.
Jenseits der erneuten großen Inszenierung in Moskau am Freitag bröckelt in Russland der Rückhalt für Putin. Gab es 2014 noch eine regelrechte Euphorie in Russland darüber, dass Putin die Krim an Russland angeschlossen hat, ist die Stimmung angesichts des blutigen Kriegs mit Tausenden Toten deutlich schlechter. Zumal ein Ende des Kriegs nicht in Sicht ist. Der Preis der Annexion ist hoch, weil Milliardenbeträge für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete nötig sind. Zudem drücken die westlichen Sanktionen auf die russische Wirtschaft.
(Mit Agenturmaterial)