Leipziger Politikwissenschaftler

„Sahra Wagenknecht ist Fluch und Segen zugleich für die Linke“

Das Logo der Partei Die Linke.

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Berlin. Herr Träger, in der Linken rumort es gewaltig, was würde es bedeuten, wenn es zu einer Spaltung der Bundestagsfraktion käme?

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Bei der letzten Bundestagswahl im September 2021 hat die Linke noch gerade so den Fraktionsstatus im Bundestag erreicht. Bezogen auf die derzeitige Abgeordnetenzahl von 736 sind 37 Mandate erforderlich, um eine Fraktion bilden zu können; die Linke hat 39. Das heißt, wenn sich nur drei Mitglieder entschließen auszutreten, dann geht der Fraktionsstatus verloren. Und das wäre mit einem großen Bedeutungsverlust verbunden. Ohne Fraktionsstatus besteht kein Anspruch mehr auf Ausschussvorsitze. Die Parlamentsvizepräsidentin Petra Pau müsste eventuell ihren Posten räumen. Die Redezeit im Bundestag wäre geringer, weil sie sich auf zwei Gruppen aufteilen würde. Vor diesem Hintergrund müsste die Fraktionsspitze eigentlich alles tun, um den Laden zusammenzuhalten.

Aber indem sie Sahra Wagenknecht vergangene Woche im Bundestag hat reden lassen, hat sie genau dazu nicht beigetragen, sondern innerparteilich für viel Ärger bis hin zu Parteiaustritten gesorgt.

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Sahra Wagenknecht ist seit Jahren Fluch und Segen zugleich für die Partei. Einerseits ist sie eine begnadete Rednerin mit hoher medialer Aufmerksamkeit, die es schafft, auch Publikum außerhalb der Linken anzusprechen, zum Teil auch aus einer Ecke, die man gar nicht will. Auf der anderen Seite erweckt sie schon lange den Eindruck, sozusagen auf eigene Rechnung zu arbeiten und die Partei als Bühne zu benutzen, um sich selbst immer stärker in Szene zu setzen. Man bekommt mit ihr entweder beides oder nichts. Und deshalb versucht die Fraktionsspitze um Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, sich mit der Situation zu arrangieren, auch auf die Gefahr hin, andere Partei- und Fraktionsmitglieder zu verprellen.

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Zehn Bürgermeister aus MV fordern die Öffnung von Nord Stream 2

Bundesweit machen immer mehr Menschen ihren Unmut wegen der anhaltenden Energiekrise deutlich. Lokalpolitiker fordern Friedensverhandlungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine und die Öffnung von Nord Stream 2. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen finden Demos statt.

Sahra Wagenknechts Ehepartner, Oskar Lafontaine, hat in seiner Politkarriere hingeworfen, wenn es ihm nicht mehr passte. Erst ist er aus der SPD ausgetreten und jetzt zuletzt bei der Linken. Könnte seine Frau diesem Modell folgen?

Sahra Wagenknecht wird wahrscheinlich nicht aus der Partei austreten, weil sie anders als Oskar Lafontaine zu jung ist, um sich politisch zur Ruhe zu setzen. Sie ist klug genug, um zu wissen, welche Schwierigkeiten damit verbunden sind, eine neue Partei oder eine neue Bewegung aufzubauen.

Dr. Hendrik Träger, Politikwissenschaftler der Uni Leipzig. (Archivfoto)

Hendrik Träger (40) ist Politikwissenschaftler an der Uni Leipzig und forscht seit Jahren zur Partei Die Linke.

Einen ersten Anlauf dazu hatte sie bereits im August 2018 mit der Bewegung „Aufstehen“ genommen.

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Ja, aber „Aufstehen“ war wochenlang genau genommen nichts weiter als eine Homepage im Internet, die sich offen für alle, aber ohne klare Programmatik zeigte. Das heißt, es gab gar keine Angebote hinsichtlich Wirtschafts- und Sozialpolitik oder Klimaschutz. Und dementsprechend schnell verschwand die Bewegung auch wieder in der Versenkung. Ich glaube im Übrigen, dass Sahra Wagenknecht auch nicht gerade der Typ dafür ist, handlungsfähige Organisationen aufzubauen. Sie arbeitet eher im Stillen für sich allein, aber der Aufbau von Strukturen, das Netzwerken, das Lafontaine gut beherrschte, das ist nicht unbedingt ihre Stärke. Hinzu kommen die Gefahren, die mit einem Austritt auch aus der Fraktion verbunden sind. Denken Sie nur an Frauke Petry, die als AfD-Chefin relativ erfolgreich war, dann 2017 aus der Bundestagsfraktion austrat, die Blaue Partei gründete und damit Schiffbruch erlitt.

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Wie wird es mit der Fraktion der Linken weitergehen?

Ich sehe drei Szenarien. Erstens: Die Fraktion könnte bis zum Ende der Legislaturperiode halten, indem man sich „durchwurschtelt“ und alle zwei, drei Monate einen Krach managt, wenn Sahra Wagenknecht mal wieder öffentlich aufgetreten ist. Die zweite Möglichkeit wäre, dass es irgendwann einen Knall gibt und eine der beiden Seiten, entweder die Fraktionsspitze oder die Gruppe um Wagenknecht, die Zusammenarbeit aufkündigt – im Bewusstsein, welche Risiken damit verbunden sind und wie schwierig es ist, etwas Neues aufzubauen. Die dritte Variante besteht darin, dass die Partei sogar wegen Sahra Wagenknecht weiteren Zulauf erhält. Das heißt, dass nicht nur Leute austreten, sondern auch neue eintreten, nämlich solche, die sich mit Wagenknechts Positionen hinsichtlich Russland identifizieren und sich freuen, dass es endlich mal jemand ausspricht. In diesem Fall würde die innere Zerreißprobe der Partei natürlich auch weitergehen.

Am 9. Oktober sind Landtagswahlen in Niedersachsen. Die Linke war zuletzt 2017 bei 4,6 Prozent gelandet und ist aktuell nicht im Landtag vertreten. Was schätzen Sie, wie es dieses Mal ausgeht?

Ich schätze die Chancen für einen Wiedereinzug der Linken ins Parlament als relativ gering ein. Die Partei ist seit 2013 nicht mehr im niedersächsischen Landtag vertreten und steht in den letzten Umfragen zwischen 3 und 4 Prozent. Daraus können noch 5, aber auch 2 Prozent werden. Niedersachsen ist insofern ein klassisches westdeutsches Bundesland, als es die Linke dort relativ schwer hat zu punkten. Zudem ist die Organisationsstruktur zumindest in der Fläche wesentlich schlechter als im Osten.

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