Schäuble zu Özil: „Irgendwer hätte das alles verhindern müssen“

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU)

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU)

Berlin. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist Bundestagspräsident. Er gehört dem Bundestag seit 1972 an, ist damit der dienstälteste nationale Parlamentarier. Er war Chef des Kanzleramtes, Bundesinnen- und Bundesfinanzminister, er führte die CDU/CSU-Fraktion und er stand an der Spitze der Christdemokraten. Schäuble handelte für die Bundesrepublik federführend der Einigungsvertrag aus. Er wurde am 12. Oktober 1990 bei einem Attentat während einer Wahlkampfveranstaltung in der Gaststätte „Brauerei Bruder“ in Oppenau von einem psychisch kranken Mann niedergeschossen.

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Sportsfreund Schäuble, tut Ihnen der Sportskamerad Mesut Özil leid?

Özil ist ein außergewöhnlich begabter Fußballspieler. Viele gibt es von dieser Sorte nicht. Er war auch nicht der schlechteste Kicker bei der für uns so unerfreulich verlaufenen jüngsten WM. Ich habe bis heute nicht verstanden, weshalb man beim DFB zugelassen hat, dass aus einer so unklugen Foto-Aktion eine derartige Staatsaffäre gemacht wurde. Das ist ein Jammer.

Hat Özil mit einem seiner zentralen Vorwürfe recht: Hinter der DFB-Fassade gebe es Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und keine wirkliche Integration?

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Nein. Der Fußball hat beachtliche Integrationserfolge erst möglich gemacht. Und zwar für Menschen in allen Schichten. Integration ist eben nicht nur ein Eliteprojekt. Dazu tragen Spieler wie Boateng bei, der auch mein Nachbar sein könnte…

Würden Sie auch Herrn Gauland als Nachbarn ertragen, von dem stammt der Satz, dass viele Boateng nicht gern neben sich wohnen hätten?

Mit Herrn Gauland hätte ich auch kein Problem. Als Fußball-Fan tut es mir leid, dass Özils Ära im Nationaltrikot so zu Ende gegangen ist. Als Politiker bedaure ich, dass durch eine Fülle von Fehlern und Missverständnissen die Integration gelitten hat. Aber es wird sich schon wieder einrenken.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, CDU, im Interview in seinem Büro im Reichstag.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, CDU, im Interview in seinem Büro im Reichstag.

Kann ein in London lebender Millionär wirklich beurteilen, was sich integrationspolitisch in Deutschland so tut?

Klugheit hat ja nichts mit dem Einkommen zu tun. Wahr ist, dass mein Mitleid mit Menschen, die über ein zweistelliges Millioneneinkommen verfügen, insoweit begrenzt ist. Im Übrigen frage ich mich, wieso ebenfalls gut bezahlte Fußball-Manager und –Berater den Schaden nicht verhindern.

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Sind Fußballer vom Schlage Özils Vorbilder, ob sie wollen oder nicht?

Natürlich haben sie mit ihrer Bekanntheit eine Vorbildfunktion. Ob sie wollen oder nicht. Das ist im Gehalt inbegriffen. Der Ruhm, die Bekanntheit, hat viele Vorteile, kann aber auch eine Last sein. Der Druck, der auf solch jungen Menschen lastet, ist nicht trivial.

Ihr Ex-Fraktionskollege Reinhard Grindel, der viele Machtspiele kennt und ein Kommunikationsexperte ist, hätte aber Özil vor dem schlimmsten Desaster bewahren können – oder müssen?

Irgendein kluger Mensch hätte das alles verhindern können und müssen. Da die Fußball-Stars alles junge Menschen sind, muss man ihnen helfen, sie führen, notfalls auch durch Kritik.

Sollte es zum demokratischen Grundkonsens gehören, dass Vorbilder demokratische Spielregeln achten und mit dem Nationaltrikot auch die Nationalhymne singen?

Zum Singen zwingen kann man sie nicht. Wenn sie es tun, ist das für viele Fans schön. Andere können das mit Begeisterung, die Franzosen, die Belgier und auch diese kühlen Schweden. Aber Gesangsproben sollten nicht zur Aufstellungsvoraussetzung für die Nationalmannschaft gemacht werden.

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Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, CDU, im Interview in seinem Büro im Reichstag.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, CDU, im Interview in seinem Büro im Reichstag.

Herr Schäuble, mit 709 Abgeordneten ist der aktuelle Bundestag eindeutig zu groß. Sie möchten, dass noch in diesem Jahr ein Verkleinerungskonzept auf den Tisch kommt, das für die übernächste Wahlperiode gelten soll. Was sind Ihre zentralen Anforderungen?

Ich hoffe noch immer, dass wir die Eckpunkte einer Wahlrechtsreform bis Ende dieses Jahres hinbekommen. Es gibt eine Arbeitsgruppe aus allen Parteien, die ich leite. Es ist ein Unding, dass heute niemand sagen kann, ob der nächste Bundestag 600, 700 oder 800 Mitglieder umfasst. Mit dem geltenden Wahlrecht, das vom Bundesverfassungsgericht wesentlich entwickelt wurde, ist das kaum zu verhindern. Es ist aber wie so oft in Deutschland: bei vielen Entscheidungen will man zu perfekt sein. Proportional soll der Bundestag das Ergebnis für die Parteien widerspiegeln. Zugleich gibt es direkt gewählte Abgeordnete in Wahlkreisen, die mit relativer Mehrheit gewählt werden. Beide Prinzipien sind sehr beliebt bei den Bürgern, passen aber nur begrenzt zueinander.

Also müssen die Wahlkreise größer und damit der Bundestag insgesamt kleiner werden. Ist doch ganz einfach.

So einfach ist es nicht. Die Wahlkreise sind heute zum Teil schon sehr groß. Im Übrigen: Sobald nicht mehr hälftig Listen- und Direktkandidaten zum Zuge kommen, beginnt gleich die Überlegung, welcher Wahlkreiszuschnitt nutzt welcher Partei, oder welcher schadet ihr. Aber das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht gesagt, das Wahlrecht sollte möglichst im breiten Konsens entschieden werden. Trotzdem muss es gehen, aber ich weiß noch nicht wie. Ich bin aber entschlossen, alles zu geben, um eine Reform zu erreichen. Das hängt auch von den politischen Rahmenbedingungen ab.

Ermutigt Sie das bisherige parlamentarische Verhalten der AfD, dass es Ende 2018 den Wahlrechts-Konsens aller gibt?

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Das hat mit der AfD nichts zu tun. Karlsruhe verlangt keine Einstimmigkeit, sondern einen möglichst breiten Konsens. Es gibt bei der Wahlrechtsreform nicht ein Vetorecht für einzelne Parteien.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) im Interview in seinem Büro im Reichstag.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) im Interview in seinem Büro im Reichstag.

Sie sind ein Freund der Strauß-These, rechts von der Union sollte es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Braucht die Union mehr durchdachten Mut, um auch das rechte demokratische Spektrum anzusprechen?

Ich bin ein Anhänger großer, zur Mitte hin integrierender Volksparteien. Regierungsfähige Mehrheiten brauchen die Fähigkeit zur politischen Mäßigung. Die SPD hat ihre großen Probleme, aber sie sind nicht unlösbar. Und die Union hat ihre Probleme, auch die sind nicht unlösbar. Entscheidend wird sein, wie wir mit dem Thema der Migration zurechtkommen. Wenn wir es nicht schaffen, unser Rendezvous mit der Globalisierung für alle erträglich zu gestalten, werden wir scheitern. Wir können nicht alle Migranten ungeordnet aufnehmen. Wie der damalige Bundespräsident Gauck gesagt hat, ist unser Herz weit - und es muss auch weit bleiben -, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Diesen Widerspruch muss die Politik auflösen und erklären, dass es keine perfekte Lösung gibt.

Bleibt immer noch die Frage: Muss die Union den Mut haben, offensiv um das demokratische rechte Stimmungsspektrum zu werben?

Mut ist in der Tat in der Politik ein knappes Gut. Man muss, soweit man in der Sache kann, überzeugend führen, Lösungen anbieten und das alles auch verständlich erklären. Mehr ist in der Demokratie nicht zu schaffen. Offene Grenzen zusammen mit guter Nachbarschaft mit Süd- und Osteuropa und mit Afrika sind ein Problem. Viele sagen, das dürfte auch der Hauptgrund für die Brexit-Entscheidung in Großbritannien gewesen sein. Wenn man das weiß, muss man es auch aussprechen und ein bisschen entscheidungsfreudiger werden.

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Stimmt die Annahme von Angela Merkel, dass die CDU umso besser dastünde, je schärfer sie sich von der AfD abgrenze?

Man sollte einem Bundestagspräsidenten nicht immer Fragen nach anderen sehr bedeutenden Persönlichkeiten stellen. Ich teile jedenfalls mit der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel die Überzeugung, dass man demagogischen Radikalismus nicht durch verbale Überbietung bekämpfen kann, sondern durch Lösungen in der Sache und durch Erklärungen.

Hilft es der Union, als Volkspartei zu überleben, wenn es jetzt als neue Gruppierung die „Union der Mitte“ gibt? Das ist eine Art Flankenschutz für Merkel, nachdem das Lager der Merkel-Kritiker mit ihrem politischen Zögling Jens Spahn vorn dran vielleicht ein bisschen zu aufmüpfig geworden ist.

Jens Spahn ist nicht mein Zögling. Er ist mir aufgefallen als jüngerer Abgeordneter, der den Mut hat, notfalls auch gegen den Strom zu schwimmen. So war ich früher auch. Das ist kein Nachteil. Wenn die jungen Leute sich nicht wehren gegen uns alte, dann geht es schief. Wir Alten können bei jedem Problem gut erklären, warum eine Lösung im Prinzip nicht möglich ist. Da sind mir dann doch Leute wie Jens Spahn recht sympathisch.

Ist die „Union der Mitte“ eine gute Sache für die CDU?

Es ist sicherlich gut gemeint, dass man sich zusammenschließt gegen den Anschein, als habe Angela Merkel CDU-intern nicht mehr genügend Unterstützung. Aber eine „Union der Mitte“ in der Union halte ich für überflüssig, denn für mich ist die Union die Mitte.

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2019 ist es 30 Jahre her, dass die Mauer gefallen ist. Wäre es da nicht der Witz des Jahrhunderts, wenn bei den dann anstehenden ostdeutschen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ausgerechnet eine Partei wie die AfD zur stärksten Parlamentskraft würde?

Ich wünsche mir, dass die Menschen in Deutschland überall das Gefühl haben, unsere Ordnung ist so, dass noch bestehende Nachteile oder Versäumnisse ausgeglichen werden können. Es schmerzt mich, mit welchem Erfolg teilweise die AfD in bestimmten Gegenden abschneidet. Ich glaube unverdrossen an die Kraft des Arguments, an den Erfolg der Moderation. Die Menschen sollten nur Parteien wählen, die das, was sie versprechen, auch in einer Regierung verwirklichen könnten.

Gefällt Ihnen der bekannte Satz: Wolfgang Schäuble ist möglicherweise der beste Kanzler, den die Republik nie hatte? Stört es Sie, noch immer für die CDU die große Identifikationsfigur und der Ersatzkanzler für den Fall der Fälle zu sein?

Ein Stück weit darf auch die Eitelkeit befriedigt werden, wenn die Feststellungen wirklich ernst gemeint sind. Es freut mich, wenn ich ein hohes Ansehen genieße.

Adenauer ist auch erst mit 73 Jahren Kanzler geworden.

Ich werde bald 76.

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Von Dieter Wonka/RND

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