Bis April 2023 – dann ist Schluss

Scholz bekräftigt sein Machtwort im AKW-Streit – die Industrie stellt es infrage

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), gibt nach dem Treffen der „Allianz für Transformation" im Bundeskanzleramt eine Pressekonferenz.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), gibt nach dem Treffen der „Allianz für Transformation" im Bundeskanzleramt eine Pressekonferenz.

Berlin. Die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland laufen nach den Worten von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bis Mitte April 2023 weiter. Es werde nicht mehr geprüft, ob dies noch notwendig sei, die Betreiber könnten sich darauf einstellen, sagte Scholz am Dienstag in Berlin nach einem Treffen der „Allianz für Transformation“ mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften. Am 15. April sei mit der Atomkraft Schluss, sagte Scholz. Er zeigte sich zuversichtlich, dass Deutschland gut über den Winter kommt.

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Scholz hatte am Montag einen tagelangen Streit innerhalb der Ampel-Koalition insbesondere zwischen den Grünen und der FDP mit einer klaren Ansage für beendet erklärt. Der Kanzler wies die zuständigen Minister an, Gesetzesvorschläge zu machen, damit die drei Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland über das Jahresende hinaus maximal bis zum 15. April 2023 weiterlaufen können. Scholz machte damit von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Wörtlich heißt es in einem Schreiben von Scholz, der „Leistungsbetrieb“ der drei Atomkraftwerke solle bis längstens Mitte April ermöglicht werden.

Entscheidung im AKW-Streit: Scholz für Mittelweg zwischen Grünen und FDP

Erstmals macht Olaf Scholz damit seit Antritt der Ampel-Koalition von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch.

Mützenich: Machtwort des Kanzlers war erforderlich

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat das Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz im Atom-Streit der Ampel-Koalition verteidigt. Es sei erforderlich gewesen, weil Grüne und FDP sich in dem Streit „verhakt“ hätten und „leider sehr oft auch das öffentliche Parkett gesucht haben“, sagte Mützenich am Dienstag vor einer Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin.

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Der Fraktionschef rechnet aber nicht damit, dass der Kanzler diese Option nun häufiger ziehen wird. „Ich glaube, dass Olaf Scholz klug genug ist, diese Möglichkeit, die ihm auch durch die Richtlinienkompetenz gegeben wird, nicht inflationär zu nutzen“, sagte Mützenich. „Aber in bestimmten Momenten, wo die Menschen in Deutschland Sicherheit erwarten, muss der Bundeskanzler auch eine solche Entscheidung treffen.“

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Offen war zunächst geblieben, ob damit faktisch bereits entschieden wurde, dass die Atomkraftwerke weiterlaufen - oder ob dies noch einmal geprüft werden soll, wie es bisherige Pläne von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu einer „Einsatzreserve“ vorsehen.

Industrie stellt die Kanzler-Entscheidung infrage

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat die Entscheidung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) für ein Weiterlaufen der drei noch verbliebenen Kernkraftwerke bis Mitte April 2023 begrüßt. Sie sei angesichts der schweren Energiekrise richtig und überfällig, erklärte der BDI am Dienstag. „Pragmatismus statt Ideologie ist das Gebot der Stunde, um Deutschland sicher ohne gesellschaftliche Verwerfungen und schwere wirtschaftliche Schäden durch diese Energiekrise zu bringen.“

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Zugleich hieß es vom BDI weiter: „Ob ein Weiterlaufen der Kernkraftwerke über den April hinaus notwendig wird, muss abhängig der Versorgungs- und Preislage im Frühjahr 2023 offen und sachlich diskutiert werden.“

Grünen-Chefin Lang: Wir gehen bei Atom-Entscheidung des Kanzlers mit

Die Grünen sind von der Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für den Weiterbetrieb aller drei noch verbliebenen Atomkraftwerke bis Mitte April zwar nicht überzeugt, wollen sich aber nicht querstellen. „Unsere Haltung zum Atomkraftwerk Emsland ist klar: Es wird nicht gebraucht für Netzstabilität, der Weiterbetrieb macht deshalb fachlich wenig Sinn“, sagte die Parteivorsitzende Ricarda Lang, am Dienstag in Berlin. „Der Kanzler hat sich jetzt entschieden, Gebrauch von seiner Richtlinienkompetenz zu machen - wir werden diesen Weg als Partei mitgehen“, fügte sie hinzu.

Die Ampel übernehme Verantwortung für die Energiesicherheit und die Netzstabilität in diesem Winter. Klar sei auch: „Der Atomausstieg kommt. Es werden keine neuen Brennstäbe besorgt. Alle verbleibenden drei deutschen AKW werden zum spätestens 15 April 2023 vom Netz gehen.“ Die Zukunft gehöre ganz klar den erneuerbaren Energien. Daran werde auch nicht mehr gerüttelt.

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Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr hat sich zufrieden mit der Entscheidung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) zur weiteren Nutzung der drei verbleibenden AKW gezeigt. „Es geht darum, nicht die richtige Entscheidung für Parteien zu sprechen, sondern am Ende fürs Land“, sagte Dürr am Dienstag in Berlin. Natürlich sei es so, dass Koalitionspartner von unterschiedlichen Positionen kommen würden, allerdings hätte keine Partei in ihrem Wahlprogramm bei der letzten Bundestagswahl eine Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken drin gehabt.

Merz: Scholz griff zum „vorletzten Pfeil“ in der Koalition

CDU-Chef Friedrich Merz sieht das Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Atomstreit der Koalition als Zeichen für schwere Spannungen innerhalb des Ampel-Bündnisses. „Die Inanspruchnahme der Richtlinienkompetenz auf diesem geradezu förmlichen Weg ist der vorletzte Pfeil, den der Regierungschef im Köcher hat, wenn es darum geht, seine Koalition zu disziplinieren“, sagte Merz vor einer Sitzung der Unionsfraktion am Dienstag in Berlin. Das letzte Instrument wäre die Vertrauensfrage im Bundestag.

„Dieses Machtwort hält die Koalition vielleicht noch zusammen“, sagte der Oppositionsführer. „Aber es löst nicht das Versorgungsproblem für Deutschland.“ Merz sprach von einer „schallenden Ohrfeige“ für die Grünen kurz nach Ende ihres Parteitags und einer schweren Niederlage für die FDP, die eine Laufzeitverlängerung bis Ende 2024 angestrebt hatte.

Verband: Atomstrom könnte Strom aus Erneuerbaren weiter verdrängen

Der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) in Niedersachsen fürchtet, dass mit der längeren Laufzeit des Atomkraftwerkes im Emsland die verfügbaren erneuerbaren Energien in diesem Winter nicht voll ausgeschöpft werden könnten. Allein im vergangenen Jahr seien 2643 Gigawattstunden erneuerbare Energien aus Windkraft, Solar und Biogas in Niedersachsen abgeschaltet worden, da in den Stromnetzen Kapazität für den Weitertransport fehlte, sagte die Geschäftsführerin Silke Weyberg am Dienstag. Wenn nun das AKW im Emsland länger laufe, werde auch dafür Leitungskapazität benötigt.

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In Norddeutschland ist die Windstromproduktion in den vergangenen Jahren stark ausgebaut worden. Doch größer ist die Stromnachfrage im Süden mit seinen vielen energieintensiven Industrieunternehmen. Für den Transport fehlen allerdings ausreichend Leitungen. Um die Stromleitungen nicht zu überlasten, sind teure Maßnahmen zur Sicherung und Stabilisierung des Netzes notwendig. Teils müssen etwa bestehende Windkraftanlagen dafür abgeschaltet werden.

„Wenn jetzt mehr abgeschaltet wird, durch das Anfahren des Atomkraftwerkes, dann muss man mehr für nicht erzeugten Strom bezahlen. Das ist kaum jemandem klar zu machen“, sagte Weyberg. 2021 habe die abgeschaltete Strommenge aus Erneuerbaren den Steuerzahler in Niedersachsen laut dem Verband rund 425 Millionen Euro gekostet.

Weyberg zeigte sich über die Entscheidung von Kanzler Scholz für den befristeten Weiterbetrieb der drei deutschen Atomkraftwerke verwundert. Die Verbandschefin verwies auch auf das Detail, dass es gerade im Emsland viele Biogasanlagen gebe, die neben der Stromerzeugung auch Wärmenetze versorgten. „Wenn diese Anlagen abgeschaltet werden über einen längeren Zeitraum, können sie auch ihr Wärmenetz nicht mehr vernünftig versorgen. Dann bräuchten sie im Zweifel wieder eine konventionelle Wärmequelle“, sagte Weyberg.

RND/dpa

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