Schwenk zur Ampel: die dritte „Wende“ der FDP
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FDP-Chef Christian Lindner ist am Donnerstag unterwegs zur ersten Ampelsondierung.
© Quelle: imago images/Future Image
Berlin. Gerhart Baum ist zufrieden mit seiner FDP. Und das konnte man in den letzten Jahren nicht oft behaupten. Die Liberalen verfolgten gerade „eine sehr kluge Strategie“, sagt der einstige Bundesinnenminister. „Der Nukleus einer neuen Koalition ist das Miteinander von Grün und Gelb.“
Auf die Frage, ob der Schwenk von einer etwaigen Jamaika-Koalition unter Führung der Union hin zur Ampelvariante mit der SPD an der Spitze vergleichbar sei mit dem Schwenk von 1969, antwortet Baum: „Die sozialliberale Koalition von 1969 war eine Reformkoalition. Ein umfassender gesellschaftlicher Reformansatz ist auch heute das Verbindende.“
Der 88-Jährige muss es wissen. Er trat 1954 in die Freie Demokratische Partei ein. In der zunächst von Willy Brandt und später von Helmut Schmidt (beide SPD) geführten sozialliberalen Koalition stieg er zum Bundesinnenminister auf, bis das Bündnis 1982 an der sogenannten „Wende“ zu CDU und CSU wieder zerbrach. In Baum spiegelt sich die Geschichte der Partei.
Grün-gelbe Achse
Der heutige FDP-Vorsitzende Christian Lindner, von Baum mehrfach zu dessen Missvergnügen kritisiert, hatte ja noch bis in den Sommer hinein erklärt, der Auftrag zur Bildung einer Regierung werde gewiss an die Union gehen. Als die SPD mit Olaf Scholz an ihr vorbeizog, sagte Lindner, wer vorn liege, habe noch lange keine Mehrheit im Bundestag. Elf Tage nach der Wahl sagte FDP-Generalsekretär Volker Wissing nun, die erste gemeinsame Ampel-Sondierung mit SPD und Grünen habe „Mut gemacht“ – Mut, in vertiefte Gespräche einzusteigen.
FDP und Grüne haben Vertrauen zueinander gefasst. Lindner hat nach den Beratungen mit den Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck mehrfach von einem „fortschrittsfreundlichen Zentrum“ gesprochen. Die jüngsten Erklärungen der drei waren bis in Einzelheiten abgestimmt. Baerbock erschien am Donnerstag in einer gelben Hose am Sondierungsort; mehr Flirt geht kaum. Bereits in der vorigen Woche war Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt in ein gelbes Sakko gehüllt.
Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen.
Grundsatzprogramm der FDP von 1971
Übrigens war der FDP die Ökologie mal weniger fremd, als es heute scheint. Im Grundsatzprogramm von 1971, den berühmten „Freiburger Thesen“, mahnte die Partei gar, den Schutz der Umwelt prominent in der Verfassung zu verankern. „Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen“, hieß es da. Das wäre so im Jahr 2021 undenkbar.
Die Liberalen stellen aktuell ferner fest, dass mit der Union kein Staat zu machen ist. Mit einem starken CDU-Vorsitzenden Armin Laschet, mit dem Lindner in Nordrhein-Westfalen ein Bündnis schmiedete, hätten sie gekonnt und gern auch in Berlin gewollt; mit einem Laschet auf Abruf hingegen können sie ebenso wenig wie mit dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder, der die FDP zuletzt mehrfach attackierte.
„Ich habe von der Basis sehr positive Rückmeldungen bekommen“, sagte ein Mitglied des FDP-Bundesvorstandes am Freitag zum Thema Ampel. „Die Leute haben Lust auf dieses Projekt. Das macht Spaß.“ Die jüngste digitale Aussprache im 50-köpfigen Bundesvorstand, an der auch die Fraktion beteiligt war, sei im Übrigen offen und konstruktiv verlaufen. Ein Aufstand gegen die Ampel ist nicht in Sicht. Lindner und Wissing werden ihn durch harte Verhandlungen zu verhindern wissen.
Die Leute haben Lust auf dieses Projekt. Das macht Spaß.
Vorstandsmitglied der FDP über die Ampel
Schließlich zeigt die Rückschau, dass Wechsel zur Geschichte der FDP gehören. Als sie sich 1969 für die SPD entschied, ging es neben gesellschaftlichen Reformen darum, der Dominanz der Union zu entfliehen. Letztere liebäugelte unter anderem mit der Einführung des Mehrheitswahlrechts; das hätte der FDP den Garaus gemacht. Auch fremdelten CDU und CSU mit dem gesellschaftlichen Fortschritt, der sich spätestens mit der 68er-Bewegung Bahn brach. Fünf Jahrzehnte später ist es in Teilen ähnlich.
Von der SPD bekam die FDP 1969 trotz magerer 5,8 Prozent der Stimmen übrigens das Außen- und das Innenministerium und am Schluss noch das Wirtschaftsressort obendrauf. Das bot ein weites Feld zur Profilierung – ein Feld, das Hans-Dietrich Genscher, Gerhart Baum und Otto Graf Lambsdorff fleißig beackerten.
Prominente Ministerien
1982 drängte eben jener Wirtschaftsminister Lambsdorff – dessen Neffe Alexander Graf Lambsdorff jetzt im Bundestag sitzt – auf Reformen, die mit der im Gegensatz zu ihrem Kanzler Schmidt linkslastigen SPD nicht zu haben waren. Diesen Spalt zwischen den Sozialdemokraten und ihrem Vormann Scholz gibt es heute ebenfalls.
Allerdings spaltete der Schwenk von 1982 die FDP nicht minder. Manche prominente Sozialliberale kehrten ihr den Rücken. Auch Baum – 50 Jahre alt damals – war missvergnügt. Das ist heute nicht zu befürchten.