„Wir wollen einfach unser Land retten“: Selenskyj bittet Westen um Marschflugkörper
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Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, spricht bei der Generaldebatte der UN-Vollversammlung. Über 140 Staats- und Regierungschefs stehen auf der Rednerliste. Erstmals seit Beginn des Krieges gegen sein Land spricht Selenskyj am Hauptsitz der Vereinten Nationen.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
New York. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat einmal mehr reichweitenstarke Marschflugkörper von den USA und anderen westlichen Partnern erbeten. Sein Land plane nicht, damit Moskau oder andere Ziele auf russischem Boden anzugreifen, „wir wollen einfach unser Land retten“, sagte Selenskyj am Dienstag (Ortszeit) in einem Interview des Fernsehsenders CNN am Rande der UN-Vollversammlung in New York. In dem Interview sprach der 45-Jährige zum Teil Ukrainisch und zum Teil Englisch.
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Die Ukraine wünscht sich von den USA zur Abwehr des russischen Angriffskrieges seit längerem reichweitenstarke Marschflugkörper vom Typ ATACMS. Dies sind Lenkflugkörper mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern vom US-Hersteller Lockheed Martin, die vom Boden aus gegen Ziele am Boden abgefeuert werden. Von Deutschland erbittet die Ukraine ein ähnliches Waffensystem, Marschflugkörper vom Typ Taurus. Sie sind für die Zerstörung von Bunkern und geschützten Gefechtsständen auf bis zu 500 Kilometer Entfernung geeignet.
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Sorge wegen möglicher Angriffe auf Russland
Wegen der hohen Reichweite der Waffensysteme gibt es jedoch die Sorge, dass mit ihnen auch Ziele in Russland angegriffen werden könnten. Diese Bedenken versuchte Selenskyj zu zerstreuen, wie schon andere ukrainische Regierungsmitglieder vor ihm. Die Waffensysteme sollten allein zur Verteidigung eingesetzt werden, betonte er.
Auf die Frage, ob er enttäuscht wäre, wenn er ohne eine Zusage des Waffensystems wieder aus den USA abreisen würde, sagte Selenskyj, es wäre nicht wirklich eine Enttäuschung. Es wäre aber ein „Verlust“ für das ukrainische Militär, solche Waffensysteme nicht zur Verfügung zu haben. Und es gäbe mehr Opfer auf dem Schlachtfeld und anderswo. Selenskyj betonte aber: „Wir setzen unsere Partner nicht unter Druck.“ Er sei nicht in die USA gekommen, um mehr zu verlangen, sondern um Danke zu sagen für alles, was die Vereinigten Staaten und andere bereits geleistet hätten. „Sie haben uns in dieser schwierigen Zeit so sehr unterstützt“, sagte er an die Adresse der Amerikaner.
Ukraine-Kontaktgruppe berät in Ramstein über weitere Militärhilfen
Die Verbündeten der Ukraine bleiben fest entschlossen, das Land weiterhin mit Rüstungsgütern gegen Russland zu unterstützen.
© Quelle: Reuters
Die Vereinigten Staaten gelten als wichtigster Verbündeter der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Seit Kriegsbeginn haben die USA nach eigenen Angaben allein militärische Hilfe im Umfang von mehr als 43 Milliarden US-Dollar für Kiew bereitgestellt - weit mehr als jedes andere Land. Nach seinem Besuch bei der UN-Vollversammlung in New York wollte Selenskyj zu Gesprächen nach Washington weiterreisen.
Selenskyj: „Es geht nicht nur um die Ukraine“
Vor den Vereinten Nationen warf Selenskyj Russland vor, neben der Ukraine auch viele andere Staaten mit seiner Aggression zu bedrohen. „Es geht nicht nur um die Ukraine“, sagte Selenskyj am Dienstag bei der UN-Generaldebatte. „Wenn Hass als Waffe gegen eine Nation eingesetzt wird, dann hört es nie damit auf“, mahnte er. „In jedem Jahrzehnt zettelt Russland einen neuen Krieg an.“ Teile von Moldau und Georgien seien besetzt, Russland habe sich Belarus fast einverleibt, bedrohe Kasachstan, die baltischen Staaten - und die internationale Ordnung.
„Viele Sitze in der Halle der Generalversammlung könnten leer werden, wenn Russland mit seinem Verrat und seiner Aggression Erfolg hat.“ Moskau nutze im Krieg gegen die Ukraine nicht nur militärische, sondern auch andere Waffen - „und diese Dinge werden nicht nur gegen unser Land eingesetzt, sondern auch gegen Ihres“, sagte Selenskyj an die Adresse der UN-Mitgliedstaaten. „Russland setzt Lebensmittelpreise als Waffe ein“, mahnte er. „Die Auswirkungen erstrecken sich von der Atlantikküste Afrikas bis nach Südostasien.“ Ebenso nutze Moskau Energie als Waffe, um Regierungen anderer Länder zu schwächen.
„Terroristen haben kein Recht, Atomwaffen zu besitzen“, mahnte Selenskyj mit Blick auf Russland und dessen Drohungen mit nuklearem Vernichtungspotenzial. „Aber wahrlich, nicht die Atombomben sind jetzt das Furchterregendste.“ Selenskyj warf Russland zudem vor, mit der Verschleppung Zehntausender Kinder aus besetzten Regionen seines Landes einen Völkermord zu begehen. „Was wird mit ihnen passieren?“, fragte Selenskyj. „Diesen Kindern wird in Russland beigebracht, die Ukraine zu hassen, und alle Verbindungen zu ihren Familien sind abgebrochen. Und das ist eindeutig ein Völkermord.“
Selenskyj: Ukraine bleibt Garant globaler Ernährungssicherheit
Selenskyj versicherte der Weltgemeinschaft zudem, trotz des russischen Angriffs auf sein Land ein wichtiger weltweiter Lebensmittellieferant zu bleiben. „Die Ukraine wird ihre Rolle als Garant der globalen Ernährungssicherheit niemals aufgeben“, sagte der 45-Jährige. Niemand habe von der Ukraine erwartet, dass sie die russische Flotte aus ihren Schwarzmeergewässern verdrängen und so mehr Routen für Getreidelieferungen habe schaffen können, sagte Selenskyj. Lebensmittelexporte aus der Ukraine hätten unter anderem Algerien, Dschibuti, Ägypten, Kenia, Libyen, Libanon, Marokko, Somalia, Tunesien und Bangladesch erreicht. „Wir haben es geschafft, und nichts hindert uns daran, weitaus ehrgeizigere Ziele zu erreichen.“
Die Ukraine schlage Maßnahmen vor, um Unruhen auf dem globalen Lebensmittelmarkt zu verhindern, sagte Selenskyj. So könne man Umschlagplätze für Millionen Tonnen Getreide pro Jahr errichten - die Ukraine verhandele derzeit darüber. „Die Welt verfügt über alle notwendigen Ressourcen, um alle Probleme zu lösen und gleichzeitig die globale Entwicklung voranzutreiben“, sagte Selenskyj. „Nicht reden. Nicht warten. Taten verändern die Welt“, rief der Präsident.
Der ukrainische Präsident nahm zum ersten Mal seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen sein Land im Februar 2022 persönlich an der UN-Generaldebatte in New York teil. Im vergangenen Jahr hatte er sich per Videoansprache an die Vereinten Nationen gewandt.
RND/dpa