Spaniens Regierung: Links knirscht’s
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Spaniens Premier Pedro Sanchez. In seiner Koalition knirscht es.
© Quelle: imago images/CTK Photo
Madrid. So schlimm war‘s nicht. Der Polizeibeamte musste sich nicht krankmelden, und einen Tag später spürte er schon nichts mehr. Aber ein Tritt ist ein Tritt, also ein Delikt, und der Delinquent sollte nicht straffrei ausgehen. Fast acht Jahre brauchte die spanische Justiz, um den Fall aufzuklären. Außer der Zeugenaussage des getretenen Polizisten gab es keine Belege für die Täterschaft, aber das reichte dem Gericht. Es verurteilte den Beklagten Alberto Rodríguez zu anderthalb Monaten Haft, einer Strafe, die es gegen Zahlung von 540 Euro aussetzte.
Der Gerechtigkeit war Genüge getan – wenn Rodríguez nicht Abgeordneter des spanischen Parlaments wäre. Wegen des Trittes gegen ein Polizistenknie am 25. Januar 2014 im Laufe einer Demonstration auf Teneriffa, dessen Urheber zu sein Rodríguez bestreitet, muss er nun seinen Abgeordnetensitz räumen. Was wiederum die spanische Regierungskoalition erschüttert. Selten war ein Tritt so schmerzhaft.
Rodríguez sitzt für das linke Wahlbündnis Unidas Podemos im spanischen Parlament, dem kleineren Partner der Koalitionsregierung unter Führung des Sozialisten Pedro Sánchez. Vor knapp zwei Jahren verbandelten sich Podemos und die sozialistische PSOE miteinander und haben sich seitdem recht wacker durch die Pandemiekrise geschlagen. In den Umfragen stehen beide Parteien mäßig, aber auch nicht ganz schlecht da.
Vor allem haben sie es so weit geschafft, ein Bild grundsätzlicher Einigkeit abzugeben, was nicht unbedingt zu erwarten war: Sánchez misstraute den Linkspopulisten und diese der PSOE, für sie ein Teil der alteingesessenen politischen Kaste, zu deren Sturz Podemos bei seiner Gründung Anfang 2014 angetreten war. Weil die Spanier bei aller Sympathie dafür denn doch nicht zu haben waren, begnügte sich Podemos mit dem Marsch durch die Institutionen. Und Sánchez ließ sich mangels Alternativen darauf ein.
Was Podemos aus seinen Anfangstagen bewahrt hat, ist die Lust, Kritik mit ganz großer Kelle auszuteilen. Auch wenn es gegen den Koalitionspartner geht: in diesem Fall gegen die sozialistische Parlamentspräsidentin Meritxell Batet, die meinte, auf das Urteil gegen Alberto Rodríguez nur mit dessen Ausschluss aus dem Parlament reagieren zu können. „Dahinter steckt die tiefste juristische und politische Reaktion“, sagte die Podemos-Ministerin Irene Montero. „Das ist ein Sturmangriff auf die Demokratie.“
Die Podemos-Generalsekretärin und ebenfalls Ministerin Ione Belarre twitterte „Rechtsbeugung“ und wollte Batet deswegen vor Gericht bringen. Übers Wochenende beruhigte sich Podemos wieder etwas und wäre nun mit einem Rücktritt der Parlamentspräsidentin zufrieden (den es aber nicht geben wird). So oder so will Alberto Rodríguez seinen Fall vors Verfassungsgericht bringen. Eine grundsätzliche Klärung, ob ein noch so kleines Delikt den Verlust eines Abgeordnetenmandats nach sich ziehen kann, ist allerdings angebracht.
Weit tiefergehende Koalitionserschütterungen löst aber ein Streit um die gemeinsam geplante Arbeitsmarktreform aus: Die Arbeitsministerin Yolanda Díaz, zurzeit der größte Podemos-Star, wirft der sozialistischen Wirtschaftsministerin Nadia Calviño „Einmischung“ in ihre Kompetenzen vor, als handelte es sich bei der Kabinettskollegin um eine feindliche Macht.
Vielleicht ist da was dran. Díaz ist Kommunistin, Calviño Vertreterin des liberalen Flügels der PSOE. Sie werden sich einigen müssen. So hat es ihnen Ministerpräsident Sánchez aufgegeben. Er hat dabei auch Brüssel im Blick, wo man Spaniens kleinen Spätpandemie-Boom nicht durch schlechte Gesetze gefährdet sehen möchte. Welche immer das wären.