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Von Schüssen geweckt

„Natürlich hatten wir Angst“: Wie ein Diplomat die Evakuierung aus dem Sudan erlebte

Die Bundeswehr evakuierte Hunderte Menschen aus dem Sudan.

Die Bundeswehr evakuierte Hunderte Menschen aus dem Sudan.

Berlin. Die Manschettenknöpfe seines Großvaters hat Michael Sonntag zuletzt noch eingepackt. Etwas Kleines, das ging noch in die kleine blaue Reisetasche. Nur Handgepäck, diese Regel hatte er ja selber mit aufgestellt. Möglichst flexibel sollten alle sein, möglichst beweglich. Schwere Koffer können ein Hindernis sein, wenn es schnell gehen muss. Wenn nicht klar ist, ob das Auto wirklich bis zum Flughafen kommt. Wenn es sein kann, dass man beschossen wird. Wenn die Reise eine Flucht ist mit ungewissem Ausgang.

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Nur Handgepäck also. Eine Hose und ein Hemd zum Wechseln, eine Flasche Wasser, Handy, Geldbörse. Und die Erinnerungsknöpfe. Am Montagabend saß Sonntag mit seiner Tasche erschöpft am Boden eines Transportflugzeugs der Bundeswehr und verließ den Sudan, nach zehn Tagen Anspannung und auch Angst: Am Ostersamstag hatten in der Hauptstadt Karthum Kämpfe zwischen zwei Militärgruppen begonnen, die einen labilen Demokratisierungsprozess jäh beendeten. Eine Ausreise: kaum möglich. Rund um den mitten in der Stadt gelegenen internationalen Flughafen wurde gekämpft. Der Landweg galt schon zu Friedenszeiten als wenig sicher.

Michael Sonntag, Ständiger Vertreter der Deutschen Botschaft im Sudan, nach seiner Evakuierung auf der Dachterrasse des Auswärtigen Amtes in Berlin.

Michael Sonntag, Ständiger Vertreter der Deutschen Botschaft im Sudan, nach seiner Evakuierung auf der Dachterrasse des Auswärtigen Amtes in Berlin.

Sonntags Haus wurde zum Schutzraum für Kollegen

Der Gewaltausbruch überraschte die internationale Gemeinschaft, und sie überraschte auch Sonntag. Drei Jahre hatte der 40-Jährige bereits im Sudan verbracht, er war der zweite Mann der Deutschen Botschaft, der sogenannte Ständige Vertreter. Er sei von den Kämpfen geweckt worden, erzählt er ein paar Tage nach der Ausreise in Berlin. „Erst habe ich noch gedacht, dass der Lärm wieder von der Baustelle nebenan kommt. Aber es hat nur ein paar Sekunden gedauert, um festzustellen, dass draußen geschossen wurde.“ Er habe Kollegen angerufen, die im Nachbarhaus wohnten. Man versammelte sich in seinem Haus und blieb dort die ganze Woche zusammen, als Krisenbüro. „Das ging nur mit Kollegen, die nebenan wohnten. Sonst haben wir niemanden bewegt – das war wegen der Gefechte zu gefährlich.“ Ein Generator wurde vorbereitet, der Kontakt mit dem Auswärtigen Amt in Berlin aufgenommen. „Wir waren von der ersten Sekunde an damit beschäftigt, in dieser dramatischen Lage zunächst die Sicherheit und dann die Ausreise der deutschen Staatsbürger zu organisieren – und zwar nonstop.“

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Und auch mit Freunden, Bekannten, Kollegen wurde telefoniert – es ging ja zunächst einmal darum, zu verstehen, was eigentlich passierte. Was passierte: Die Generale Abdel Fattah al-Burhan und Mohamed Hamdan Dagalo ließen ihren Machtkampf beim Übergang auf eine zivile Regierung von ihren Truppenteilen ausfechten. Es sei „das Worst-Case-Szenario“ gewesen, sagt Sonntag.

Sonntag sagt, es sei ein großes Glück gewesen, dass kein Kollege an diesem Samstagvormittag schon in der Stadt unterwegs gewesen sei, nicht beim Einkaufen, nicht mit den Kindern beim Schulsport vor der größten Hitze des Tages. In den Wohnungen zog man sich in die Mitte der Räume zurück, möglichst weit weg von den Fenstern. Sonntag sagt, sie hätten Einschläge gehört von Artilleriegeschützen und von Mörsern. Auf seinem Grundstück seien Querschläger gelandet. Und irgendwann erwischte es auch die Wassertanks auf dem Dach. Die Schüsse, das war die eine Gefahr. „Die andere große Gefahr waren die Plünderungen“, sagt Sonntag. Über Kontakte zu anderen verbreitete sich schnell, wo gerade geplündert wurde und wie solche Aktionen abliefen. „Es gab sie auch in unserer Nähe. Wir haben uns darauf eingestellt. Es schien, als würden dabei selten Personen angegriffen. Aber natürlich hatten wir auch Angst.“

Hauptsache, das Botschaftstelefon ist geladen – per Dieselgenerator

Die anfängliche Erwartung, dass die Kämpfe schnell abflauen würden, erfüllte sich nicht. Sonntag und sein Krisenteam fuhren die Generatorzeiten zurück, um Diesel zu sparen. „Wir wussten nicht, wie lange das gehen würde.“ Aber man habe immer dafür gesorgt, dass Laptops und Handys aufgeladen waren. Die Botschaft musste erreichbar sein, für das Auswärtige Amt. Und für die deutschen Staatsbürger, meist Mitarbeiter von Unternehmen und Hilfsorganisationen, die wissen wollten, was nun zu tun sei. „Das Notfalltelefon ist heiß gelaufen“, erzählt Sonntag. Die Notfallliste der Bundesregierung, auf der Bundesbürger sich im Ausland für den Krisenfall registrieren lassen können, wuchs ständig.

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ARCHIV - 24.04.2023, Berlin: Ein Airbus der Luftwaffe landet mit aus dem Sudan evakuierten Bundesbürgern auf dem Flughafen BER.

Mit Flugzeugen der Bundeswehr wurden Bundesbürger aus dem Sudan ausgeflogen. (zu dpa: «Zwei Militär-Gruppen bekämpfen sich») Foto: Jörg Carstensen/dpa - Honorarfrei nur für Bezieher des Dienstes dpa-Nachrichten für Kinder +++ dpa-Nachrichten für Kinder +++

Wie die Evakuierung aus dem Sudan lief – und warum es jetzt noch gefährlicher wird

Es war eine Aktion mit hohem Risiko: Bei der Evakuierung aus dem Sudan war bereits der Weg zum Flughafen gefährlich. Außenministerin Baerbock und Verteidigungs­minister Pistorius sagten Termine ab, um die Aktion zu begleiten. Doch nicht alle im Sudan lebenden Deutschen konnten bisher erreicht werden.

Auch die Botschaftsmitarbeiter nahmen Hilfe in Anspruch: Im Auswärtigen Amt standen Psychologen zum Gespräch bereit. Schnell war klar, dass alle Staaten versuchen würden, ihre Staatsbürger zu evakuieren. Der Zeitpunkt blieb unklar. In den regelmäßigen „Landsleute“-Briefen, die das Auswärtige Amt herummailte, wurden Packtipps gegeben. Eben: nur Handgepäck. Und: keine Haustiere. „Es war schwer, Menschen zu sagen: Lass bitte deine Hunde zurück“, sagt Sonntag.

„Es war schwer, Menschen zu sagen: Lass bitte deine Hunde zurück.“

Dann kam das Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan, mit dem Fest des Fastenbrechens Eid Al-Fitr. Und damit eine Waffenruhe, die erste, die einigermaßen hielt zumindest. Vergangenes Wochenende war das, und aus Berlin kam das Signal: Die Evakuierungsflüge könnten demnächst beginnen. Sonntag erwischte eine Kolonne der nahe liegenden französischen Botschaft. Er war einer der Ersten auf dem Flughafen außerhalb der Stadt. Der Weg war geschafft, aber das war ja noch nicht alles. „Es fiel die Anspannung ab. Aber wir mussten sofort die Konzentration wieder hochziehen. Es kamen die ganze Zeit Leute an, und wir mussten alles für die Flüge vorbereiten, damit es da keine Verzögerungen gibt.“

Freude, Überraschungen und Schockmomente

Es gab Überraschungen: Die sudanesischen Zollbeamten kontrollierten die Pässe, als wäre der Staat in bester Ordnung.

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Es gab Freude und Erleichterung: Alle Botschaftsmitarbeiter hatten es zum Flughafen geschafft. „Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen“, sagt Sonntag. „Ich hatte große Angst, dass es losgeht und einige nicht da sind.“ Es war ja nicht klar, wie lange das Zeitfenster für die Evakuierungsflüge offen bleiben würde und dass die Bundeswehrmaschinen bis Dienstag fliegen würden.

Und es gab die Schockmomente: Vor einem Flughafeneingang wurden Menschen mit deutschem Pass von sudanesischem Sicherheitspersonal abgewiesen. Offenbar zählte die Optik mehr als der Pass. Wieder wurde viel telefoniert. Einige Stunden später war auch diese Gruppe im Abflughangar.

Surreal, plötzlich in Berlin zu sein und einfach mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren zu können

Sehr gefasst seien die vielen Menschen gewesen, die dort nach und nach von deutschen und anderen Flugzeugen abgeholt worden seien, darunter einige Kinder. „Die Menschen haben Schlimmes erlebt, aber sie haben sich sehr besonnen verhalten.“

Beim Gespräch im Auswärtigen Amt trägt Sonntag das blau-weiß gestreifte Hemd und die Turnschuhe, die er am Tag der Evakuierung trug. Viel hat er ja nicht mitgenommen. „Völlig surreal“ sei es, plötzlich in Berlin zu sein und hier einfach mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren zu können. Er hat seine Reisetasche dabei, mehr Taschen habe er gerade nicht, sagt er. Schlimm sei das nicht. Kleidung, Bücher, Möbel: „Es war eine schöne Erkenntnis, dass mir das Zeug alles egal ist“, sagt Sonntag. Er sagt, er habe gerne in Karthum gelebt. Er habe schnell Freunde dort gefunden, eine Fußball- und eine Volleyballmannschaft. Seine Freunde hätten ihn zu Hochzeiten eingeladen und zu Beerdigungen. „Es ist ein faszinierendes Land. Und dann ein sehr plötzlicher Wechsel.“ Sonntag sagt, er würde gerne noch mal zurückkommen nach Karthum. Um seine Freunde zu treffen.

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Gibt es noch Chancen für die Demokratisierung? Er sei vorsichtig optimistisch, dass sich die Entwicklung nicht zurückdrehen lasse, sagt Sonntag. „Der Anteil der Jungen an der Bevölkerung ist groß. Sie haben erlebt, dass sich Dinge verändern können. Und das wollen sie nicht zurückgeben.“

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