Terror wie im Ego-Shooter: Verfolgt und bewertet mich
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Der Tatort in Halle.
© Quelle: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa
Halle (Saale). Eine gute halbe Stunde dauert die Dokumentation des Terrors, die der Attentäter von Halle live im Internet mitlaufen lässt. Minutenlang richtet er die Technik ein, was wenig professionell wirkt, richtet die Kamera dann auf sich, stellt sich mit dem Namen Anon vor, spricht einige Sätze in sehr auswendig gelernt wirkendem Englisch. Er will offenbar ein internationales Publikum im Internet ansprechen.
Die Streaming-Plattform Twitch, die er dafür nutzt, wird in der Gamerszene vor allem für die Übertragung von Videospielen genutzt, oft Ego-Shooter, damit andere Spieler sie verfolgen und oft auch bewerten können. Das Video von Halle wirkt wie ein Ego-Shooter. Insgesamt verfolgten geschätzt 2200 Nutzer den Stream, wie Twitch in der Nacht zu Donnerstag auf Twitter mitteilte. Die Plattform löschte das Video kurz nach dem Attentat, es kursiert seither in rechten und linken Foren und liegt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vor.
In den wenigen Sätzen, die Stephan B. dort in seine Handykamera sagt, als er schon vor der Synagoge parkt, werden seine menschenverachtenden Ansichten deutlich und sein Ziel: Juden töten. Das kündigt der 27-Jährige so auch in dem Schreiben an, das er offenbar schon vor der Tat im Internet verbreitete. Experten halten das elfseitige, auf Englisch formulierte PDF-Dokument für echt, es liegt ebenfalls dem RND vor.
Es besteht aus drei Komponenten: seinen Waffen, seinem Plan und einer Reihe Codewörtern. Auf den ersten neun Seiten des „short pre-action report“, wie es überschrieben ist, sind sämtliche Waffen fein säuberlich abfotografiert, aus der Vogelperspektive. Darunter detaillierte Beschreibung ihrer Eigenschaften und Funktionsweise. Als „Equipment“ führt er außerdem seine Handytechnik auf, seinen Helm (angeblich aus dem Restposten der Bundeswehr) sowie seine schusssichere Weste, die er aus dem Bestand der Polizei erworben haben will.
Seine Ziele formuliert er deutlich („Möglichst viele Anti-Weiße töten, Juden bevorzugt“) und erklärt dann detailliert sein geplantes Vorgehen. Der Angriff an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, war keine spontane Aktion, das wird anhand des Schreibens deutlich. Stephan B. wählte diesen Tag gezielt, wie er schreibt, weil dann sogar viele nichtreligiöse Juden die Synagoge aufsuchen würden. Ursprünglich aber habe er einen Angriff auf eine Moschee oder ein linkes Zentrum geplant, erklärt er. Für die Synagoge hat er sich dann aus seiner zutiefst antisemitischen Haltung heraus entschieden: Juden steuerten aus seiner Sicht die Regierung in Deutschland und müssten attackiert werden.
In dem Livevideo der Tat wird auch deutlich, wie ungezielt der Täter letztlich vorgeht. Immer wieder flucht er vor sich hin, ärgert sich über seine eigene Ungeplantheit und die Tatsache, dass er nicht in die Synagoge hineinkommt. Schon in seinem Ankündigungsschreiben hatte er die hohen Sicherheitsvorkehrungen erwähnt und auch, dass er den Ort – 45 Minuten von seinem Wohnort entfernt – nicht vorher auskundschaften wolle, um nicht aufzufallen.
Als er an der verschlossenen starken Tür und der hohen Mauer scheitert, flucht er kurz, bezeichnet sich dann mehrfach als Versager und entschuldigt sich gar bei seinen Zuschauern. „Muss das sein, wenn ich hier lang gehe“, ruft eine Passantin in Bezug auf die Sprengkörper, die er über die Mauer geworfen hat. Der Täter lässt die Frau vorbeilaufen, um sie auf feigste Art dann von hinten zu erschießen. Dass er sich dabei selbst in die Autoreifen schießt, macht ihn nur wütender, er atmet schwer, wird nervöser, sucht ein nächstes Ziel – und kommt auf den Döner-Imbiss.
Der 27-Jährige scheint sich selbst in einem Wettbewerb zu sehen, in dem andere ihm zusehen und auch bewerten. Das legen die Codes nahe, die er in seinem Schreiben festlegt. Offenbar bewegte er sich schon länger in solchen Onlinemilieus, ähnlich wie der Attentäter von Christchurch in Neuseeland. Es ist eine Art „Gamification“ des Terrors.
Der Rechtsextremist aus Halle scheint sich bestimmte Ziele für seinen Anschlag gesetzt zu haben, die er erreichen wollte, wie in einem Computerspiel. Dafür hat er sich bestimmte Auszeichnungen versprochen. „Bonus: Don't die“, nicht sterben, stand auf seinem Plan.
Er soll an diesem Donnerstag dem Haftrichter vorgeführt werden.