Tillich scheiterte am eigenen Anspruch
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Sächsischer Abschied: Ministerpräsident Stanislaw Tillich will Anfang Dezember zurücktreten.
© Quelle: imagol
Berlin. Er war angeschlagen nach der Bundestagswahl. Es war der Tag, an dem plötzlich die AfD stärkste Kraft in Sachsen war, nicht mehr die CDU. Seitdem taumelte Stanislaw Tillich durch den politischen Ring wie ein Boxer kurz vor dem K.o. Kurz nach der Wahl forderte der Ministerpräsident noch eine schärfere Asyl- und Einwanderungspolitik von einer künftigen Bundesregierung. Deutschland müsse Deutschland bleiben. Es waren Schlagworte eines eigentlich gemäßigten Christdemokraten, die ihm kaum einer abnahm. Denn der Sorbe war eines nie: ein entschlossener Hardliner.
Tillich, der seit 2008 in Dresden regiert, wollte vieles sein, scheiterte aber am eigenen Anspruch. Lange bastelte er an seinem Wunsch, sich als Wirtschaftsexperte und Stimme der ostdeutschen Länder zu profilieren. Hängen geblieben ist sein Kampf um die Braunkohle in der Lausitz. Ein regional bedeutendes Thema, gewiss, aber untauglich für ganz Ostdeutschland. Sein eigentliches Versagen jedoch vereint ihn mit Angela Merkel: die Fehleinschätzung der politischen Stimmung. Sachsen hat beide mit brutaler Wucht getroffen.
Dabei gab es in Dresden genügend Vorlauf, um den Hass und den sich auf der Straße breitmachenden Irrsinn zu besichtigen und zu bewerten. Bürger, die gegen Pegida aufbegehrten, standen lange allein da. Ehe sich der Ministerpräsident anschloss, verging viel Zeit. Da waren die Dinge in vielen Köpfen schon längst aus dem Ruder gelaufen. Die AfD verdankt ihren Wahlsieg in Sachsen einer CDU, die sich unter Tillichs Führung selbst genug war und glaubte, die Dinge würden sich schon irgendwie richten wie zu Kurt Biedenkopfs Zeiten als Ministerpräsident. Doch das werden sie nicht. Und dem Regierungschef, dem schon länger Amtsmüdigkeit nachgesagt wird, fehlen in Wahrheit die Ideen. Insofern ist sein Rücktritt nur konsequent.
Dass Tillich das Handtuch wirft, wird in der Union nicht ohne Folgen bleiben. Er war ein Ministerpräsident, auf den Kanzlerin Merkel zählen konnte, weil er auf ihrer Linie war. Sein Rückzug kann dazu beitragen, dass Landes- und Parteifürsten in der Union künftig ein distanzierteres Verhältnis zu Merkel pflegen wollen. Denn der Abgang Tillichs ist ja irgendwie auch ein Akt der Verzweiflung. Die CDU steuert derzeit in eine Richtung, die vielen Stammwählern nicht gefallen wird. Ein schneller Richtungswechsel ist unmöglich. Die Jamaikanisierung wird die Union womöglich noch beliebiger machen. Und damit angreifbarer.
Vielleicht hatte Tillich das alles vor Augen – und sah für sich keine politische Perspektive mehr. Sein Nachfolger Michael Kretschmer, der aus der Bundespolitik kommt, muss wieder mehr Gespür für Land und Leute entwickeln. Manche Erkenntnisse werden schmerzhaft sein.
Von Thoralf Cleven/RND