Hat Russland den Süden der Ukraine schon aufgegeben?
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Ein ukrainischer Soldat steht auf einem Feld, hält eine Wassermelone in einer Hand und zeigt einen erhobenen Daumen, während im Hintergrund ein Raketenwerfer abgefeuert wird.
© Quelle: Kostiantyn Liberov/AP/dpa
Aus russischer Perspektive kommen beunruhigende Nachrichten aus dem Süden der Ukraine. Aus der Region also westlich des Dnipro, wo die ukrainische Armee vor etwa einer Woche eine Offensive begonnen hat. Eine Offensive übrigens, die es aus Sicht so manch deutschen Militärexperten gar nicht gibt, weil Offensiven noch nie zuvor angekündigt wurden sondern vom Überraschungsmoment lebten, so eine Begründung. Oder die es nicht geben kann, weil die ukrainische Armee dazu gar nicht in der Lage sei.
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Nach Angaben aus Kiew haben ukrainischen Streitkräfte rund um die Stadt Cherson mehrere Ortschaften befreit und ukrainische Fahnen gehisst. Der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, veröffentlichte dazu in seinem Blog auf Telegram ein Foto, welches das Hissen einer blau-gelben Fahne in der Kleinstadt Wyssokopillja im Norden der Region Cherson zeigen soll. Bis 1915 hieß der Ort Kronau, weil dort vornehmlich Schwarzmeerdeutsche lebten. Allerdings soll schon einmal im Juni die Einnahme dieses Ortes vermeldet worden sein.
Noch am Sonntagabend hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj die Befreiung zweier weiterer Siedlungen bekanntgegeben. „Die ukrainischen Flaggen kehren an die Orte zurück, an denen sie eigentlich sein sollten“, sagte er in einer Ansprache an die Nation. Wiederholt kam es zu Meldungen, dass sich einige Soldaten der selbsternannten Volksrepublik Donezk nach Angaben des ukrainischen Generalstabs geweigert hätten, zu kämpfen, weil ihnen Wasser und andere Güter fehlen.
Derzeit sollen sich Vertreter der russischen Spionageabwehr mit den Soldaten befassen, deren Schicksal unklar ist. In Vorbereitung der Offensive hatte die ukrainische Armee – unterstützt durch die zuletzt gelieferten westlichen Präzisionswaffen wie der HIMARS-Mehrfachraketenwerfer – sämtliche Übergänge über den Fluss Dnipro zerstört.
Medien berichteten zudem über Explosionen in der vom russischen Militär besetzten Großstadt Cherson. Laut dem ukrainischen Generalstab soll dort der Stützpunkt einer Spezialeinheit moskautreuer Truppen zerstört worden sein. Außerdem zeigen ukrainische Medien Bilder, nach denen eine weitere Brücke über den Dnipro bei Nowa Kachowka zerstört worden sein soll.
„Mit dem Dnipro im Rücken laufen die russischen Truppen Gefahr, eingekesselt zu werden“, äußerte der ehemalige Nato-General Hans-Lothar Domröse gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Das drückt auf die Moral – zusätzlich zu all den bekannt gewordenen Versorgungsproblemen.“ Domröse: „Die Ukrainer kämpfen um ihr Land, bei den Russen geht es selbst nach ihrem Verständnis um die Eroberung eines fremden Territoriums – mit Ausnahme der Krim, die beanspruchen sie für sich.“
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© Quelle: Reuters
Die britischen Geheimdienste hatten am Sonntag sogar von einem „breiten Vormarsch“ der ukrainischen Armee auf drei Achsen westlich des Dnipro berichtet. Diese Offensive habe zwar nur begrenzt unmittelbare Ziele, hätte die Russen aber mutmaßlich taktisch überrascht. Das hätte logistische Mängel und Schwächen in der Führung der russischen Kriegsführung entlarvt. Russische Kommandeure müssten sich nun entscheiden, auf welche Region sie sich im Blick auf Nachschub und Reservetruppen konzentrieren wollten.
Russland konzentriert sich auf Oblast Donezk
Offensichtlich konzentriere Russland seine militärischen Anstrengungen auf die Einnahme der Oblast Donezk im Norden und damit die Annexion des gesamten Donbass, hieß es im aktuellen täglichen Geheimdienstbericht des britischen Verteidigungsministeriums am Montag. Was bedeuten würde, Moskau konzentriert seine begrenzten militärischen Ressourcen auf den Nordosten zu Lasten des Südens. Wie das Ministerium schreibt, hätte ein Erfolg im Donbass großen ideologischen Wert für die russische Regierung. So soll es derzeit den Befehl geben, die dortige Operation bis zum 15. September abzuschließen. Dass dieses Ziel erreicht wird, sei aber höchst unwahrscheinlich.
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Die Hauptachsen des russischen Vormarschs lägen bei Awdijiwka nördlich der Großstadt Donezk sowie rund um die Stadt Bachmut weiter nördlich, teilte das Verteidigungsministerium in London am Montag unter Berufung auf seine Geheimdienste mit.
Zwar hätten die russischen Truppen in dieser Gegend zuletzt den meisten Erfolg gehabt. Sie stießen dennoch nur einen Kilometer pro Woche auf Bachmut vor. Doch auch im Gebiet Donezk sollen die ukrainische Truppen Medienberichten zufolge die Ortschaft Oserne zurückerobert haben. Von unabhängiger Seite waren diese Angaben nicht überprüfbar.
Alle Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Dafür, dass die Russen große Probleme im Gebiet Cherson haben, spricht die Entscheidung von Montagmittag, die Vorbereitungen für ein „Referendum“ zur Eingliederung Chersons in russisches Staatsgebiet vorübergehend zu unterbrechen, wie die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS berichtete. Hintergrund sei die Sicherheitslage.
RND/dpa/AP/stu