Ukraine-Konflikt: Botschafter Melnyk fordert Signal von Merkel
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Ein ukrainischer Soldat in einer Stellung an der Frontlinie in der Region Donezk, wo seit sieben Jahren gekämpft wird (Archivfoto).
© Quelle: Vitali Komar/AP/dpa
Berlin. Mit großer Sorge reagieren deutsche Außenpolitiker auf die massiven Truppenverlegungen Russlands an die Grenze der Ukraine. Sie befürchten, dass der seit sieben Jahren andauernde Konflikt erneut eskalieren könnte. Teile der ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk entlang der russischen Grenze werden seit 2014 von moskautreuen Separatisten kontrolliert.
Ein Eingreifen der Nato gilt zwar als ausgeschlossen, da die Ukraine nicht Mitglied ist, denkbar ist aber, dass die USA bei einer Eskalation Unterstützung leisten. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) befragte die Außenexperten des Bundestages und den ukrainischen Botschafter in Berlin nach ihren Ansichten.
„Kriegsvorbereitungen“
- Andrii Melnyk, Botschafter der Ukraine in Berlin, sagte, es sei erschreckend, dass man in Deutschland die von Präsident Putin angeordneten „massivsten Truppenbewegungen in der jüngsten Geschichte Russlands und die größte Konzentration seiner Armee entlang der ukrainischen Staatsgrenzen“ nur als Drohung auf die leichte Schulter nimmt. „Es geht um konkrete Kriegsvorbereitungen und eine sehr ernste Gefahr eines neuen militärischen Angriffs auf die Ukraine“, erklärte der Botschafter. Um einen schrecklichen Flächenbrand in Europa noch zu verhindern, sei dringend „eine megastarke Warnung“ nach Moskau von Bundeskanzlerin Angela Merkel „höchstpersönlich und des Bundestages“ nötig.
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„Schmerzhafte Konsequenzen“
- Für den Fall dass Russland seine Aggression in der Ukraine auszuweiten wagt, forderte Melnyk gegenüber dem RND „schmerzhafte Konsequenzen“: internationaler Boykott und Isolierung Russlands, Ächtung seiner Staatsführung, neue verschärfte Sanktionen, voller Abbruch wirtschaftlicher Beziehungen, komplettes Embargo für Gas-, Öl- und Kohleimporte, endgültiges Verbot der Nord-Stream-2-Pipeline, Einfrieren russischen Staatseigentums. Die Ukraine erwarte von der Bundesregierung, dass das Versprechen des Bukarester Nato-Gipfels von 2008 „endlich eingelöst und die Ukraine schnellstmöglich in die Allianz aufgenommen wird“. Zudem sollte Deutschland als „weltweit viertgrößter Waffenexporteur alle Ausreden ablegen und der Ukraine endlich unter die Arme greifen, um ihre Verteidigungsfähigkeit zu stärken und die Streitkräfte zu modernisieren“, forderte Melnyk.
„Militärisches Säbelrasseln“
- Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU-CSU-Fraktion im Bundestag, nannte die Situation „höchst alarmierend“ und das „militärische Säbelrasseln“ von Russlands Präsident Wladimir Putin „hochgefährlich“. Damit würden die „vom Kreml dirigierten Separatisten im Donbass“ zusätzlich Rückendeckung erhalten, sich nicht an das Minsker Abkommen zu halten. Putin müsse wissen, dass „die transatlantischen Partner fest an der Seite der Ukraine stehen“. Eine neuerliche Aggression Russlands gegen die Ukraine würde die europäische Sicherheitsordnung in ihren Grundfesten erschüttern, sagte Hardt vor dem Hintergrund der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014.
„Gefährliche Missverständnisse“
- Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagte, der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine gefährde die Waffenruhe im Donbass. Durch Desinformationskampagnen in den sozialen Medien erhöhe sich die Gefahr von gefährlichen Missverständnissen. Umso wichtiger seien jetzt Transparenz und ein ungehinderter Zugang von OSZE-Beobachtern. Deutschland habe gemeinsam mit Frankreich angeboten, im Normandie-Format bei Schritten zur Deeskalation zu unterstützen. Auch die ukrainische Seite sollte sich nicht zu unüberlegten Schritten hinreißen lassen. Schmid: „Wir appellieren an beide Seiten, sich mit militärischen Aktivitäten zurückzuhalten und den Weg der Diplomatie fortzusetzen.“
„Zu wenig diplomatisch gedacht“
- Gregor Gysi, Außenpolitiker der Linken im Bundestag, teilte mit: „In der gesamten Politik wird viel zu sehr militärisch und viel zu wenig diplomatisch gedacht. Die Truppenbewegungen innerhalb Russlands sind möglicherweise ein Ausdruck dafür. Die Truppenverlegungen der Nato in Richtung Russland ebenso.“
„Umfassende Sanktionen“
- Alexander Graf Lambsdorff, Außenpolitiker der FDP im Bundestag, kritisiert in seinem Statement Außenminister Heiko Maas (SPD). Anstatt wie Maas „beide Seiten“ zur Beruhigung der Lage aufzurufen, wäre es wichtig, dass Deutschland, Frankreich und die EU Joe Biden folgen und sich gemeinsam mit den USA sehr deutlich an die Seite der Ukraine stellen, so Lambsdorff. Die westlichen Partner müssten sich in den kommenden Tagen eng abstimmen und Präsident Putin glaubhaft deutlich machen, dass ein erneutes russisches Eingreifen in der Ukraine umfassende Sanktionen zur Folge hätte. Die Bundesregierung sollte ihrerseits erklären, dass dies das endgültige Aus für Nord Stream 2 bedeuten würde.
„Kalkulierte Eskalation“
- Manuel Sarrazin, Osteuropaexperte der Grünen im Bundestag, sagte, der Kreml wolle in der Ostukraine mit einer „kalkulierten Eskalation“ Politik machen. Wieder einmal zeige sich, dass Putin jederzeit bereit sei, den Waffenstillstand an der Kontaktlinie zu verletzen, wenn dieser nicht mit internationalem Druck dauerhaft gestützt werde. In dieser Situation an beide Seiten gleichermaßen zur Deeskalation zu appellieren, wie es die Bundesregierung tue, sei fast schon zynisch, sagte Sarrazin. „Dem Kreml muss klar gesagt werden, dass ein Angriff mit weiteren Sanktionen – nicht nur gegen Personen – beantwortet werden würde.“ Eine klare Sprache der Bundesregierung sei wichtiger denn je.