Bremsen Regen und Schlamm die ukrainische Frühjahrsoffensive aus?
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Zwei ukrainische Soldaten stehen in der Region Donezk auf einem Panzer, der auf einem Feld steht. (Archivfoto)
© Quelle: Vadim Ghirda/AP/dpa
Hannover. Mit einer Gegenoffensive will die Ukraine russische Truppen in den kommenden Wochen in den besetzten Gebieten im Osten und Süden des Landes zurückdrängen. Über den Beginn der Vorstöße wird aktuell viel spekuliert. Doch überdurchschnittliche Regenfälle in den vergangenen Wochen könnten die ukrainischen Pläne vorerst durchkreuzen.
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Die in der Ukraine „Bezdorischschja“ und in Russland „Rasputiza“ (zu Deutsch „Wegelosigkeit“) genannte Schlammperiode scheint in diesem Frühjahr besonders stark ausgeprägt zu sein. Starke Regenfälle seit Ende März weichen die Böden vor allem im Osten und Süden der Ukraine auf. Selbst Kettenfahrzeuge haben es in einem solchen Terrain schwer. „Bezdorischschja“ setzt zweimal im Jahr ein: im Herbst, wenn es besonders starke Niederschläge gibt, und im Frühjahr, wenn die vom Winter gefrorenen Böden wieder auftauen.
Luhansk und Donezk: mehr als doppelt so viel Niederschlag wie üblich
Laut David Helms, einem ehemaligen Meteorologen des US-Militärs, könnten besonders die Gebiete Luhansk und Donezk erst ab der zweiten Maihälfte, möglicherweise aber auch erst ab den ersten Junitagen wieder problemlos für Militärgerät passierbar sein. Beide Regionen würden den April vermutlich mit doppelt so viel Niederschlag abschließen, wie normalerweise erwartet wird, schreibt Helms auf Twitter. Daten von den Wetterdiensten Wetterkontor und Wetter.de bestätigen seine Annahme weiterer Regenfälle zumindest in den kommenden Tagen. In den südlichen Gebieten Cherson und Saporischschja werden dem Meteorologen zufolge etwas früher verbesserte Bodenverhältnisse prognostiziert.
Selenskyj fordert Rückkehr verschleppter Kinder
Laut Kiew wurden fast 20.000 ukrainische Kinder seit Kriegsbeginn nach Russland verschleppt.
© Quelle: dpa
Auch das britische Verteidigungsministerium schätzt die Bedingungen in den besetzten Gebieten als schwierig ein. „Aufgrund der weichen Bodenverhältnisse in weiten Teilen der Ukraine ist es sehr wahrscheinlich, dass schwerer Schlamm die Operationen beider Seiten im Konflikt verlangsamt“, schreibt das Ministerium im Ukraine-Update am vergangenen Freitag. „In den kommenden Wochen“ sei jedoch mit einer Verbesserung der Oberflächenbedingungen zu rechnen. Größere Gefahr beim Manövrieren abseits von Straßen dürften laut London Landminen darstellen.
Bilder und Videos aus den Gebieten zeigen die widrigen Verhältnisse, in denen die Truppen kämpfen müssen. In einem Video, das nahe der seit Monaten umkämpften Stadt Bachmut im Gebiet Donezk aufgenommen worden sein soll, sind ukrainische Soldaten zu sehen, die durch einen Schützengraben waten, der bis auf Kniehöhe mit Wasser vollgelaufen ist. Weitere Ausschnitte demonstrieren die schlammigen Bedingungen, mit denen schwere Fahrzeuge der ukrainischen Streitkräfte zu kämpfen haben.
Wie könnte die Ukraine eine Frühjahrsoffensive in der Schlammperiode starten?
Am vergangenen Wochenende hatte es Berichte darüber gegeben, dass die Ukrainer im Gebiet Cherson mit kleinen Einheiten den Fluss Dnipro überquert haben sollen. Das Gewässer stellt in der Region seit den Rückeroberungen der ukrainischen Streitkräfte im Herbst die Frontlinie dar. Nahe der Stadt Cherson ist der Dnipro gut einen Kilometer breit – ein großes Hindernis für schweres Militärgerät. Militärexperten schätzten gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) deshalb eine ukrainische Gegenoffensive an dieser Stelle als wenig wahrscheinlich ein.
Die Russen hatten bei ihrem Rückzug aus der Region im November mehrere Brücken über den Fluss gesprengt. In dem Abschnitt des Dnipro verteilt gibt es mehrere kleinere Inseln, auf denen sich die beiden Kriegsparteien in den vergangenen Monaten regelmäßig Gefechte lieferten. Die Ukraine hat in dem Gebiet sämtliche Fahrten von Booten und Schiffen, die nicht zum Militär gehören, verboten.
Oberstleutnant Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer sagte dem RND kürzlich dazu, das Ziel einer ukrainischen Gegenoffensive in diesem Frühjahr könnte sein, „an der fast 1300 Kilometer langen Front an möglichst vielen Stellen russische Kräfte zu binden und über die Absicht, wo der eigentliche Hauptstoß geführt werden könnte, zu täuschen“. Vorgetäuschte Angriffe im Süden könnten zu Truppenverlagerungen der Russen in diese Gebiete führen, woraufhin die Ukraine an anderer Stelle tatsächlich zuschlagen könnte. Begünstigen die Bedingungen in der Schlammperiode, die im Süden wohl früher enden wird als im Osten, diesen Ansatz?
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Der Krisen-Radar
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Das ist kaum absehbar. Russland zumindest scheint sich auf dem östlichen Dnipro-Ufer in relativer Sicherheit zu wähnen, wie westliche Beobachter die Situation analysieren. Am südlichen Ende des Flusses haben die Russen deshalb offenbar ihre stationierten Truppen deutlich reduziert. Der Fluss wäre wohl zu breit für die Ukrainer, um ihn mit großen Truppenteilen zu überqueren.
Stattdessen verlegt Moskau seine Truppen offenbar mehr in Richtung des Atomkraftwerks Saporischschja. Dort seien laut Angaben des britischen Verteidigungsministeriums anhand von Satellitenbildern Verteidigungsstellungen auf den Dächern der Reaktoren auszumachen. „Russland hat diese Stellungen wahrscheinlich errichtet, weil es zunehmend besorgt ist über die Aussicht auf eine große ukrainische Offensive“, teilten die Briten am Donnerstag mit.
Wie wirkte sich die Regenzeit im vergangenen Jahr auf den Krieg aus?
Schon zu Beginn der Invasion in die Ukraine ab dem 24. Februar 2022 hatten die russischen Truppen mit der Schlammperiode zu kämpfen. Damals machten für diesen Monat ungewöhnlich hohe Temperaturen um den Gefrierpunkt die Böden in den Aufmarschgebieten zu einem Hindernis selbst für die moderneren russischen Panzer. Bilder aus der nördlichen Region Sumy zeigen einen russischen T-72-Kampfpanzer, der im Schlamm stecken geblieben war.
Analysten sahen in der Schlammperiode einen großen Faktor dafür, dass die russische Offensive vor allem im Norden der Ukraine schnell ins Stocken kam. Dies sorgte damals für Verwunderung, da die Angreifer eigentlich Kenntnis von diesen Bedingungen haben, denn auch in Russland macht „Rasputiza“ in einigen Regionen unbefestigte Wege in dieser Zeit nicht befahrbar.
Welchen Einfluss die Schlammperiode in diesem Frühjahr auf den Krieg in der Ukraine haben wird, lässt sich kaum vorhersagen. Jedoch werden mit hoher Wahrscheinlichkeit beide Kriegsparteien Probleme mit der Witterung und den Bodenverhältnissen bekommen. Hinzu kommt ein weiterer Faktor: der Nachschub an Munition, mit dem ebenfalls beide Seiten Schwierigkeiten haben. Der Ukraine fehlt es insbesondere an Artilleriegeschossen.
Zudem gibt es mit dem wohl bevorstehenden erstmaligen Einsatz westlicher Kampfpanzer bei einer ukrainischen Offensive eine weitere Unbekannte. Wie wird sich das Gerät unter den widrigen Bedingungen der Schlammzeit schlagen? Denkbar ist auch, dass die Ukraine den Einsatz verschiebt, um die lang herbeigesehnten Panzer vorerst zu schonen. Vieles davon unterliegt jedoch dem Nebel des Krieges.