Bald neue Mobilisierungswelle?

Boni, Steuererleichterungen, Krediterlass: So will der Kreml neue Rekruten in den Krieg locken

Ein russischer Rekrut spricht mit seinem Sohn, bevor er einen Zug am Bahnhof in der Region Wolgograd nimmt (Archivbild).

Ein russischer Rekrut spricht mit seinem Sohn, bevor er einen Zug am Bahnhof in der Region Wolgograd nimmt (Archivbild).

Tallinn. Anzeigenwerbung verspricht Bargeldboni und andere verlockende finanzielle Wohltaten. Männer, die infrage kommen, erhalten unerwünschte Anrufe, die sie über die Angebote informieren und sie überzeugen sollen. Rekrutierungsbüros arbeiten mit Universitäten und Sozialbehörden zusammen, um Studenten und Arbeitslose zu gewinnen.

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Russland hat in diesem Frühling eine neue Kampagne gestartet, um seine Truppen im Krieg in der Ukraine aufzufüllen. Nach mehr als einem Jahr Krieg mit hohen Verlusten und anhaltenden schweren Kämpfen auf Schlachtfeldern wie Bachmut benötigt die Kriegsmaschine des Kremls dringend neue Kräfte – zumal in einer Zeit, in der sich beide Seiten auf Offensiven vorbereiten, die noch mehr Menschenleben kosten könnten.

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Putins „Teilmobilisierung“ sorgte für Panik in Russland

Eine Mobilisierung von 300.000 Reservisten im September, von Moskau als „Teileinberufung“ bezeichnet, hatte in Russland Panik ausgelöst, denn die meisten Männer unter 65 Jahren sind formal Teil der Reserve. Zehntausende flohen aus ihrer Heimat, statt sich bei den Rekrutierungsämtern zu melden. Angesichts der seinerzeitigen negativen Reaktionen setzt die Regierung jetzt – oder zumindest erst einmal – darauf, Männer mit finanziellen Anreizen als Freiwillige anzuwerben.

Auf diese Weise könne Moskau „es vermeiden, eine formale zweite Mobilisierungswelle zu verkünden“, nachdem sich die erste als so unpopulär erwiesen habe, heißt es in dem jüngsten Bericht der in den USA beheimateten Denkfabrik Institute of the Study of War.

Ein Moskauer Einwohner sagte der Nachrichtenagentur AP, dass sein Arbeitgeber – eine staatlich finanzierte Einrichtung – die militärischen Registrierungskarten aller männlicher Beschäftigten im kampffähigen Alter eingesammelt und ihnen gesagt habe, dass man ihnen Zurückstellungen besorgen werde. Aber das habe trotzdem Angst bei ihm ausgelöst. „Es macht dich nervös und erschreckt dich – keiner möchte plötzlich in einem Krieg mit einem Gewehr in der Hand enden“, sagt der Mann, der aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen anonym bleiben wollte. „Die spezielle Operation (die Moskauer Bezeichnung für die Invasion) zieht sich hin, da kann man von den russischen Obrigkeiten jede Überraschung erwarten.“

In Anzeigen werden Freiwilligen Boni für die Teilnahme am Krieg versprochen

Russischen Medienberichten zufolge erhalten Männer in allen Teilen des Landes Vorladungen von Rekrutierungsbüros. In den meisten Fällen wurden sie lediglich aufgefordert, ihre Unterlagen auf den neuesten Stand zu bringen, in anderen erhielten sie den Befehl, an einem Militärtraining teilzunehmen.

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Nach anderen unbestätigten Medienberichten haben russische Stellen Regionalregierungen angewiesen, eine bestimmte Zahl von Freiwilligen zu rekrutieren. Auf Regierungswebsites und den Social-Media-Accounts staatlicher Einrichtungen und Organisationen, darunter Bibliotheken und Oberschulen, sind diverse Anzeigen erschienen. Eine, gepostet von einer Stadtverwaltung in der westlichen Region Jaroslawl, versprach einen einmaligen Bonus von umgerechnet ungefähr 3500 Euro für jeden, der sich einschreibt, und, wenn er in die Ukraine geschickt wird, einen monatlichen Sold von bis zu 2300 Euro plus gut 90 Euro pro Tag für „Beteiligung an aktiven offensiven Operationen“ und 600 Euro „für jeden Kilometer des Vorrückens innerhalb eines Angriffsteams“.

Der Anzeige zufolge winkten zudem Erleichterungen bei Steuern und dem Rückzahlen von Krediten, bevorzugte Zulassung zu Universitäten für die Kinder des betreffenden Soldaten, großzügige Entschädigungen für seine Familie im Fall, dass er in Kämpfen verletzt oder getötet wird, und der Status eines Kriegsveteranen mit noch mehr Wohltaten.

Russische Rekruten werden in Kasan zu ihrem Einsatz in der Ukraine verabschiedet (Archivbild).

Russische Rekruten werden in Kasan zu ihrem Einsatz in der Ukraine verabschiedet (Archivbild).

Noch übt der Kreml offenbar kaum Druck auf die Bevölkerung aus

In der sibirischen Stadt Nowosibirsk wurden Universitäten und Berufsfachschulen aufgerufen, auf ihren Websites Rekruten anzuwerben, wie Sergej Tschernyschow, Gründer einer privaten Berufsschule, sagt. Rekrutierungsbeamte kommen mit Studenten und Arbeitslosen zusammen oder rufen bei geeigneten Kandidaten für einen Militäreinsatz an. Ein Mann in Moskau, der einen solchen Anruf erhielt und ebenfalls aus Sicherheitsgründen anonym bleiben wollte, sagte, er sei überrascht von der Höflichkeit des Rekrutierers gewesen. „Nach meinem ‚Nein‘ gab es keine Drohungen oder Versuche, mich zu überreden.“

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Tatsächlich habe es bislang nur einige isolierte Fälle gegeben, in denen wirklicher Druck auf Männer ausgeübt wurde, sich für den Dienst zu verpflichten, sagt Grigori Swerdlin von der Gruppe Go By the Forest, die Männern hilft, der Einberufung zu entgehen. Die Organisation erhält nach seinen Angaben derzeit täglich bis zu 100 Botschaften von Männern, die um Rat im Umgang mit Vorladungen oder Rekrutierungsbeamten bitten. In den meisten Fällen ging es um eine Aktualisierung von Unterlagen.

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Aber es gibt auch andere Fälle, wie Swerdlin sagt. In der Region Wologda etwa 400 Kilometer nördlich von Moskau gingen bei der Gruppe Botschaften ein, nach denen jeder, der nach Vorladungen das Rekrutierungsbüro aufsuchte, „gezwungen wird, ein Papier zu unterschreiben, das ihm verbietet, die Region zu verlassen“.

Vor der Teilmobilisierung im September ging Moskau ähnlich vor

Die gegenwärtige Rekrutierungskampagne ähnelt jener, die Moskau im vergangenen Sommer gestartet hatte, vor der Teileinberufung im September, wie Kateryna Stepanenko, eine russische Analystin am Institute of the Study of War, sagt. Auch damals hatten russische Stellen finanzielle Anreize benutzt, und es wurden verschiedene Freiwilligenbataillone gebildet, aber die Sache war offensichtlich nicht erfolgreich, denn Präsident Wladimir Putin griff wenig später dann zur Reservistenmobilisierung.

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Ob die jetzige Kampagne besser für ihn verläuft, ist unklar. Aber sie zeigt auf jeden Fall eines – dass sich Moskau des Bedarfes an Manpower in der Ukraine bewusst ist, wie Stepanenko sagt. Die Einberufung von 300.000 Kräften im September sei offensichtlich nicht genug gewesen, um eine „ausreichende Kampfgruppe zu bilden, die Russland mit seinen offensiven Operationen vorangebracht hätte“.

RND/AP

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