Umstrittenes Urteil in Polen: Botschafter schließt Polexit aus – von der Leyen ist besorgt
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Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin.
© Quelle: Getty Images For Global Citizen
Brüssel. Immer wieder hatte Polens Verfassungsgericht seine Entscheidung zu der brisanten Frage vertagt: Was hat Vorrang: nationales Recht oder EU-Recht? Am Donnerstag urteilten die Richter dann: Teile des EU-Rechts seien nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar. „Der Versuch des Europäischen Gerichtshofs, sich in das polnische Justizwesen einzumischen, verstößt gegen (…) die Regel des Vorrangs der Verfassung und gegen die Regel, dass die Souveränität im Prozess der europäischen Integration bewahrt bleibt“, hieß es.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will mit allen verfügbaren Mitteln auf das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts zum Status von EU-Recht reagieren. „Ich bin zutiefst besorgt über das gestrige Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofs“, teilte die deutsche Politikerin am Freitag in einer Stellungnahme mit. Sie habe die Dienste der Brüsseler Behörde angewiesen, das Urteil gründlich und zügig zu analysieren. Auf dieser Grundlage werde man über nächste Schritte entscheiden.
Polens Botschafter versucht zu beruhigen
Der polnische Botschafter Andrzej Przylebski betonte gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Das gestrige Urteil des polnischen Verfassungsgerichts weder bedeutet einen Polexit noch führt zu einem Polexit.“ Es sei lediglich die Bestätigung der polnischen Souveränität und eine Verteidigung der Demokratie, die im Einklang mit ihrem Wesen nur in einem Nationalstaat gut funktioniere.
Przylebski verweist auf die EU-Verträge, die den Mitgliedsstaaten Souveränität zusichern. Daher bekräftigt der Botschafter: „Internationale Abkommen haben keinen Vorrang vor der polnischen Verfassung.“ Wenn die Europäische Kommission, der Europäische Gerichtshof oder das Europäische Parlament in Bereiche eingreifen, die von europäischen Verträgen nicht geregelt werden, sei ihr Handeln „immer ein verfassungswidriger Rechtsbruch“, so Przylebski. „Das Urteil dient auch als Warnung für den EuGH von Eingriffen in die Bereiche, die in die Zuständigkeit der Nationalstaaten fallen.“
Polens Botschafter stellt klar, dass es dem polnischen Verfassungsgericht um die Anwendung und Auslegung des EU-Vertrags gehe und nicht darum, ihn anzufechten. Allerdings sei Polen mit der juristischen Aktivität der EuGH-Richter nicht einverstanden. Der Wertekatalog aus dem EU-Vertrag sei „keine direkte Rechtsquelle“.
Von der Leyen betont Bindung der EuGH-Urteile
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte dagegen, die EU sei eine Werte- und Rechtsgemeinschaft und den EU-Verträgen zufolge seien alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für die Behörden und Gerichte der Mitgliedsstaaten bindend. „EU-Recht hat Vorrang vor nationalem Recht, einschließlich verfassungsrechtlicher Bestimmungen.“ Dazu hätten sich alle EU-Staaten als Mitglied der EU verpflichtet.
Sie kündigte an: „Wir werden alle Befugnisse nutzen, die wir unter den Verträgen haben, um dies sicherzustellen.“ Welche Schritte die Brüsseler Behörde nun einleiten könnte, ließen sowohl von der Leyen als auch ein Sprecher am Freitag offen.
Denkbar wäre zum Beispiel die Einleitung eines sogenannten Vertragsverletzungsverfahrens, das mit einer weiteren Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und am Ende mit Finanzsanktionen enden könnte. „Unsere oberste Priorität ist es, sicherzustellen, dass die Rechte der polnischen Bürger geschützt sind“, so die EU-Kommissionspräsidentin.
Zudem würden EU-Bürger sowie Unternehmen, die in Polen geschäftlich tätig sind, Rechtssicherheit benötigen, dass die EU-Vorschriften und Urteile des Europäischen Gerichtshofs in Polen vollständig angewendet werden.
Das polnische Verfassungsgericht hatte am Donnerstagabend geurteilt, dass Teile des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar seien. Diese Grundsatzentscheidung stellt einen Eckpfeiler der europäischen Rechtsgemeinschaft infrage.
RND/jps/scs mit dpa