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Union am Abgrund

Anstecker von CDU und CSU zwischen Schutzmasken, Geldscheinen und Euro-Münzen.

Anstecker von CDU und CSU zwischen Schutzmasken, Geldscheinen und Euro-Münzen.

Berlin. Geldgierig. Verwerflich. Unerträglich. Ekelhaft. Der gemeinsame Nenner von Unionspolitikern, die am Montag in Gesprächen ihre Sicht auf die Maskenaffäre in den eigenen Reihen schildern, ist dieser: eine Riesenschweinerei. Und zwar in jeder Hinsicht.

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Die langfristigen Folgen für die Union im Superwahljahr sind noch nicht absehbar. Aber bei den Landtagswahlen an diesem Sonntag in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg wird mit einer Quittung gerechnet. Manche Unionspolitiker sehen die CDU bereits „im freien Fall“. Und es bestehen Zweifel, dass die Affäre aus dem Bundestagswahlkampf herausgehalten werden kann. Auch die Kanzlerin werde es nicht mehr rausreißen können, heißt es, weil die Wählerinnen und Wähler wüssten: Angela Merkel, die skandalfreie Regierungschefin, tritt nach 16 Jahren nicht mehr an.

An der Not der anderen bereichert

Der Schaden der Affäre wird in der Fraktion so beschrieben: Zwei Bundestagsabgeordnete der Union – Hinweise auf mindestens einen weiteren Politiker verdichten sich – hätten sich an der Not in der Corona-Pandemie, an dem Mangel an Schutzausrüstung bereichert, während unzählige Menschen unter den Folgen des Lockdowns litten. Viele Familien verdienten zu wenig Geld, ihre wirtschaftliche Existenz stehe auf dem Spiel oder sie könnten die Doppelbelastung von Homeschooling und Homeoffice nicht mehr stemmen.

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Da ist von Alleinerziehenden die Rede, die mit dem einmaligen Kinderbonus von 150 Euro kaum die Masken bezahlen könnten, für deren Lieferung die Unionspolitiker Georg Nüßlein (CSU) und Nikolas Löbel (CDU) sechsstellige Provisionen kassiert hätten. Und von Geringverdienern, die viele, sehr viele Jahre arbeiten müssten, um auf die Höhe der Provision über 660.000 Euro zu kommen, die der bisherige Unionsfraktionsvize Nüßlein bekommen haben soll.

Nüßlein erklärt am Montag seinen Austritt aus der CSU. „Dieser Schritt war unausweichlich, auch um weiteren Schaden von der CSU abzuwenden“, sagt CSU-Generalsekretär Markus Blume kühl. Sein Mandat will Nüßlein aber offenbar behalten. Das können ihm weder Partei noch Fraktion entziehen. Blume fordert, Nüßlein müsse „Wiedergutmachung leisten“. Wie die aussehen soll, bleibt offen. Löbel erklärt unterdessen seinen Mandatsverzicht.

Christdemokraten befürchten „freien Fall“ der Union

Das Entsetzen in der Fraktion ist auch deshalb groß, weil unbescholtene Unionspolitiker mit in den Abgrund gerissen würden. Jene, die in der Corona-Krise versuchten, das Land zusammenzuhalten. Sie würden durch die Affäre in Mitleidenschaft gezogen, weil insgesamt das Vertrauen in die Union zerstört werde. Denn zumindest bisher sind in keiner anderen Bundestagsfraktion solche Fälle bekannt geworden.

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„Freier Fall“, sagt ein einflussreicher Christdemokrat. Diese Affäre könne schlimmer werden als die Spendenaffäre der CDU, die nach der Bundestagswahl 1998 die Partei zutiefst erschütterte. Denn jetzt gehe es darum, ob die Wähler der Union eine Volksvertretung mit Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern und mit Anstand zutrauten. Sich an der Corona-Krise zu bereichern wird als „niederträchtig“ bezeichnet.

Es werde viel in Bewegung geraten – weg von der Union, befürchten Christdemokraten. Eine solche Maskenaffäre, durch die sich vor allem die „kleinen Leute“ ausgebeutet fühlten, setze Fliehkräfte frei. „Was wir leisten, wird durch Einzelpersonen in den Schmutz gezogen, die das Mandat nicht richtig verstanden haben“, sagt ein Vorstandsmitglied der CDU. „Das schadet uns allen massiv.“

Laschets spätes Vorgehen

Parteichef Armin Laschet habe offenbar lange versucht, Löbel zum gänzlichen Rückzug zu drängen, und sich deswegen erst spät geäußert. Seine Position sei aber „völlig klar“. Andere hingegen finden, dass Laschet viel zu spät in die Offensive gegangen sei.

Christian Baldauf, CDU-Spitzenkandidat und Herausforderer von SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz, klagt: „Es ist höchst unanständig, beschämend und moralisch verwerflich, wie hier Mitglieder des Bundestags versucht haben, ihr Mandat zu nutzen, um hohe Provisionen zu erzielen. Und das in der größten Krise Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Das schadet dem Ansehen des Parlamentarismus insgesamt.“ Das sei wahrlich kein Rückenwind für die Landtagswahl. „Eine solche Affäre auf den letzten Metern im Wahlkampf braucht kein Mensch.“ In Baden-Württemberg sehen die CDU-Wahlkämpfer das genauso.

Die Unionsfraktion will sich nun einen „Verhaltenskodex“ geben. „Wir werden Maßnahmen ergreifen, um aufzuklären, ob weitere Bundestagsabgeordnete Geldleistungen für die Vermittlung von Schutzausrüstung oder Ähnlichem entgegengenommen haben“, heißt es in einem von Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus und dem CSU-Landesgruppenvorsitzenden Alexander Dobrindt unterschriebenen Beschuss des geschäftsführenden Fraktionsvorstands vom Montag. „Wer versucht hat, aus der pandemischen Notsituation bei der Beschaffung von Schutzausrüstung einen finanziellen Vorteil zu ziehen, hat in unseren Reihen kein Platz.“

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Die Maßnahmen werden nicht weiter beschrieben, aus der Fraktion verlautete aber, dass es eine Art Ehrenerklärung geben solle, wonach versichert wird, sich nicht bereichert zu haben. Für alle gelte: „Entgeltliche Beratungs- oder Vermittlungstätigkeiten, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Aufgabengebiet, das in der Fraktion betreut wird, stehen, sind auszuschließen.“

Dem moralisch-ethischen Anspruch nicht gerecht geworden

Mitglied des Deutschen Bundestags sein zu dürfen sei eine Ehre und Verpflichtung zugleich. „Wer dieses Amt ausüben darf, muss sich dabei allein am Nutzen für das Gemeinwohl orientieren.“ Haltung, Anstand und Integrität seien unverzichtbare Voraussetzungen für die Tätigkeit. „Zur Wahrheit gehört aber auch, dass einige Mitglieder unserer Fraktion diesem moralisch-ethischen Anspruch nicht gerecht geworden sind.“

Es gab und gibt etwa dies: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt gegen die Bundestagsabgeordnete Karin Strenz und den Ex-Abgeordneten Eduard Lintner wegen mutmaßlicher Korruption. Hintergrund sind offenbar fragwürdige Verbindungen nach Aserbaidschan – in diesen Verdacht ist jüngst auch der Abgeordnete Axel Fischer geraten. Und sowohl im Zusammenhang mit Aserbaidschan als auch mit dubioser Maskenvermittlung macht in der Fraktion ein weiterer Name die Runde. Der Mann stammt aus Ostdeutschland. Ein Landkreis hat nach RND-Informationen dessen Kaufangebot als unseriös abgelehnt.

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Linksfraktionschef Dietmar Bartsch forderte eine Ehrenerklärung für alle Bundestags­abgeordneten. Er sagte dem RND: „Um das Vertrauen der Bürger in das Parlament und die Abgeordneten wiederherzustellen, sollten alle Abgeordneten eine Ehrenerklärung abgeben, dass sie in der Pandemie nirgendwo abkassiert haben. Die Linke ist zu allen Maßnahmen, die Transparenz und Aufklärung bringen, bereit.“

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Spahn erhöht den Druck

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erhöht den Druck auf mögliche weitere unseriöse Politiker: Er will nach Rücksprache mit der Bundestagsverwaltung die Namen aller Abgeordneten veröffentlichen, die im Zusammenhang mit der Maskenbeschaffung gegenüber dem Ministerium in Erscheinung getreten sind. „Wir wollen volle Transparenz in einem geordneten Verfahren ermöglichen. Da die Persönlichkeitsrechte von Abgeordneten berührt sind, habe ich den Bundestag gebeten, mit uns einen Verfahrensvorschlag zu entwickeln“, sagte Spahn dem RND.

Ralph Brinkhaus (CDU) hebt ablehnend die Hand auf dem Weg ins Plenum bei der 215. Sitzung des Deutschen Bundestags in Berlin.

Ralph Brinkhaus (CDU) hebt ablehnend die Hand auf dem Weg ins Plenum bei der 215. Sitzung des Deutschen Bundestags in Berlin.

In einem Brief von Gesundheits­staatssekretär Thomas Steffen an Bundestagsdirektor Lorenz Müller heißt es, dem Gesundheits­ministerium lägen zahlreiche Anfragen aus der Mitte des Parlamentes und von der Presse vor. Dabei gehe es im Kern um die Bitte der Mitteilung, welche Mitglieder des Bundestages im Zusammenhang mit der Maskenbeschaffung gegenüber dem Ministerium in Erscheinung getreten seien. „Das BMG ist im Sinne der Transparenz grundsätzlich bereit, eine Liste entsprechender Abgeordneter dem Parlament und auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen“, schreibt Steffen.

Spahn weist gegenüber dem RND darauf hin, dass das „Prüf- und Zuschlagsverfahren sowie die Vertragsabwicklung auf Fachebene in einem standardisierten Verfahren“ durchgeführt worden sei. Das sei unabhängig davon erfolgt, „durch oder von wem ein Angebot abgegeben wurde“.

Lobbycontrol beklagt tatenloses Zusehen der Unionsfraktion

Der stellvertretende SPD-Fraktions­vorsitzende Dirk Wiese findet: „CDU und CSU haben ein ernstes Korruptions­problem in ihren eigenen Reihen. Dies fügt dem Ansehen der parlamentarischen Demokratie erheblichen Schaden zu. Statt durchzugreifen und Konsequenzen zu ziehen, macht man in so einer Lage dann auch noch Herrn Amthor zum Spitzenkandidaten der CSU in Mecklenburg-Vorpommern.“

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Der junge Abgeordnete Philipp Amthor steht in der Kritik, weil er sich Lobbydienste für das US-amerikanische IT-Unternehmen Augustus Intelligence mit teuren Reisen und Aktienoptionen im Wert von rund einer Viertelmillion Euro entlohnen lassen haben soll. Nachdem die Vorgänge im vergangenen Jahr bekannt geworden waren, ließ der CDU-Politiker seine Kandidatur für den Landesvorsitz der CDU in Mecklenburg-Vorpommern fallen. Nun ist er zurück auf Platz eins.

Ulrich Müller von Lobbycontrol sagt, das sei genau das Problem der Union. Die Fraktion habe frühere Affären wie um Amthor nicht aufgearbeitet und damit das Problem nie bei der Wurzel gepackt. Es habe sie nicht gegeben, die Signale des Einhalts, der Kontrolle und des Anstands.

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