Verfassungsschützer zu Corona-Leugnern: Keine Unterwanderung durch Rechtsextreme – ganze Bewegung driftet nach rechts
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Ein Mann trägt auf einer Demonstration der Initiative „Querdenken“ ein Schild mit einem durchgestrichenen „Impfpflicht“-Schriftzug.
© Quelle: Christoph Schmidt/dpa
Dresden. Der niedersächsische Verfassungsschutz beobachtet einen „Schulterschluss konträrer Milieus“ von Corona-Leugnern und Querdenkern bis hin zu Reichsbürgern und Rechtsextremen. Das berichtet die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ (HAZ) unter Berufung auf einen aktuellen Bericht der Landesbehörde.
Die Behörde hatte für ihre Analyse Demonstrationen sowie Aussagen der Protestbewegung untersucht. Zwar engagierten sich demnach bei den Demonstrationen sowohl Extremisten wie auch Nichtextremisten, es gebe jedoch eine „gefährliche Radikalisierung“. Gewalttaten schloss der Verfassungsschutz auch in Niedersachsen nicht mehr aus. Der Mord an einem Tankstellenkassierer im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein sei ein Beispiel für die Gefahr, die von einer extremistischen Radikalisierung ausgehe, so der Verfassungsschutz.
Austausch überwiegend über Messengerdienste wie Telegram
Trotz der Gegensätzlichkeit der Milieus schaffe die Pandemie vier Verbindungselemente, die die Protestgruppe zusammenhalte, so der Bericht. Zum einen teilten alle den Hang zu „Verschwörungstheorien und eine darauf basierende Weltsicht“, zum anderen einen Bezug zu rechter Esoterik. Die Ablehnung der Demokratie ergebe sich außerdem sowohl aus einer grundsätzlichen Ablehnung der Moderne als auch aus einem Freiheitsnarrativ, dass das unterdrückte Volk als Gegenstück zur machthabenden Elite zeichne. Im Austausch bleibe man dabei überwiegend über Messengerdienste wie Telegram.
Ganze Bewegung rutscht nach rechts
Damit kommt der Verfassungsschutz auch zu einer deutlich kritischeren Einschätzung als die politische Debatte zuletzt. Die Behörde glaubt demnach nicht, dass die Bewegung von Rechtsextremisten instrumentalisiert werde, vielmehr verschiebe sich der gesamte Protest Richtung rechts – das zeige sich nicht zuletzt auch in den präferierten Parteien der Corona-Demonstranten, so die HAZ.
Auch in Sachsen wächst das Problem der zunehmenden Aggressivität bei Corona-Demonstrationen. „Die Rechtsradikalen bedienen sich ausgiebig der sozialen Medien, um Propaganda zu betreiben und Massen zu mobilisieren. Viele Bürgerinnen und Bürger grenzen sich weder im Netz noch auf der Straße von solchen Inhalten und Personen ab“, beschrieb der sächsische Innenminister Roland Wöller am Dienstag die aktuelle Lage. In Hetzkampagnen finde das Misstrauen gegen den Staat einen Nährboden, auf dem Verschwörungsideen und weitere Radikalisierungstendenzen gediehen.
Wöller: Risse in der Gesellschaft
Wöller zufolge offenbart die Pandemie Risse in der Gesellschaft. Es gebe Versuche, solche Risse zu vertiefen. „Mir machen nicht die Menschen Sorgen, die skeptisch sind, ob Impfen wirklich hilft und ob wir die Pandemie optimal bekämpfen. Mit diesen Skeptikern können und wollen wir diskutieren, wir wollen sie überzeugen. Wir sind selber überzeugt, dass wir die besseren Argumente und vor allem die Wissenschaft auf unserer Seite haben.“
Es gebe aber auch Gegner des Gemeinwesens, denen es nicht um die bestmögliche Bekämpfung der Pandemie gehe, sondern um die Bekämpfung des Rechtsstaats. Für diese meist rechtsextremen Gruppen seien die Demonstrationen nur ein willkommener Vorwand, ein Vehikel, um Lügen unter die Leute zu bringen und Leute aufzuhetzen, erklärte Wöller. Nicht selten würden die verbalen Radikalisierungen im Netz in radikalen Aktionen auf der Straße münden. „Das ist gefährlich für die Sicherheit und Ordnung in Deutschland“, sagte Wöller.
Kritik vom Koalitionspartner
Auch Wöller forderte mehr Befugnisse der Sicherheitsbehörden etwa bei der Überwachung von verschlüsselter Kommunikation. „Wir brauchen dringend eine erleichterte Überwachung von Mobiltelefonen und Laptops.“ Die Diskussion um den Messengerdienst Telegram zeige, wie notwendig eine solche Regelung sei. Das löste bei einem Koalitionspartner der CDU – dem Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann – Widerspruch aus. „Wem als Reaktion auf die gegenwärtige Enthemmung im Netz nur zwei Reaktionen einfallen, einerseits das Fingerzeigen auf Telegram und andererseits das pathetische Anstimmen des Klageliedes der mangelnden Befugnisse, wird eigener Verantwortung nicht gerecht.“
Thomas Strobl, baden-württembergischer Innenminister, warnte am Dienstag im Landtag in Stuttgart, dass die gewaltsamen Auseinandersetzungen unvermindert zu einer hohen Zahl von Polizeieinsätzen bei den Versammlungen von Gegnern und Gegnerinnen der Corona-Maßnahmen führen werde. Das werde sich aus seiner Sicht „auf nicht absehbare Zeit nicht ändern“, sagte Strobl.
Am Montagabend waren bei einer unangemeldeten Demonstration in Mannheim nach Angaben Strobls 13 Polizisten verletzt worden. Protestierende hatten laut Polizei das Versammlungsverbot ignoriert und Widerstand geleistet, als die Ordnungskräfte ihren Aufzug beenden wollten. Auch in Weinheim (Rhein-Neckar-Kreis) gab es einen Protest mit 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Weitere Demonstrationen etwa in Heidelberg verliefen friedlich. Laut Strobl wurden am Montag insgesamt 17 Polizistinnen und Polizisten verletzt, am vergangenen Wochenende sei es „rund ein Dutzend“ gewesen. Insgesamt waren mehrere Tausend Beamte im Einsatz.
RND/dre/dpa