Virologe Streeck: Booster gegen vierte Welle könnte sich als „trügerisch“ erweisen – Israel als falsches Vorbild?

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck kritisiert, dass die kostenlosen Corona-Tests abgeschafft wurden.

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck kritisiert, dass die kostenlosen Corona-Tests abgeschafft wurden.

Die Corona-Fall­zahlen haben zuletzt ein neues Rekord­hoch erreicht. Doch gleich­­zeitig stagniert die Zahl der Impfungen und alle Hoff­nung liegt auf der Booste­rung der vulne­rablen älteren Genera­tion. Doch der Viro­loge Hendrik Streeck warnt im Inter­view mit dem Redak­tions­Netz­werk Deutsch­land (RND), dass sich diese Hoff­nung als trüge­risch erweisen könnte. Streeck ist Direktor am Institut für Viro­logie des Univer­sitäts­klinikums in Bonn.

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Herr Streeck, der Epidemio­loge und SPD-Gesund­heits­poli­tiker Karl Lauter­bach blickt besorgt auf Weih­nachten. Sie auch?

Auch ich sehe mit großer Sorge auf die stark steigenden Infek­tions­zahlen. Beson­ders beun­ruhigt mich, dass wir das Infek­tions­geschehen seit Abschaf­fung der kosten­losen Tests nur noch sehr schlecht erfassen. Ich rechne mit einer enormen Dunkel­ziffer. Das Infek­tions­geschehen kann sich unter dem Radar sehr schnell ausbreiten. Ob es an Weih­nachten Kontakt­beschrän­kungen gibt oder nur die Empfeh­lung einer Kontakt­reduzie­rung, müssen Politiker entscheiden und verant­worten. Ich gehe aber davon aus, dass es ein Gebot geben wird, beson­ders vorsichtig bei Treffen an Weih­nachten zu sein und möglichst wenige Kontakte zu haben.

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Von Corona-Tests bis Booster-Impfung: Was hilft gegen die Winterwelle?

Sollte die Politik jetzt schnell wieder kosten­lose Tests anbieten, gerade auch, um Weih­nachten abzu­sichern?

Ja, wir brauchen unbe­dingt wieder die kosten­losen Tests. Damit können wir auch nicht bis Weih­nachten warten. Denn wir müssen einfach viel, viel mehr testen, um zu verstehen, wie sich das Infek­tions­geschehen entwickelt. Nur so können wir früh die Infizierten heraus­fischen und eine unkontrol­lierte Verbrei­tung des Corona­virus verhindern. Wir brauchen schlicht mehr Daten, und das Testen kann uns die liefern.

Gegen die vierte Welle gilt der Booster als wich­tigstes Instrument, Vorbild ist Israel.

Der Booster kann den Anteil an Impf­durch­brüchen reduzieren. Das ist richtig. Meine Sorge aber ist, dass nicht der Booster für das Brechen der dritten Welle in Israel verant­wort­lich war. Denn genau vor einem Jahr hatte Israel eben­falls sehr niedrige Fall­zahlen, doch im Dezember und Januar nahm die Pandemie dort plötz­lich extrem an Fahrt auf.

„Die Hoffnung auf den Booster als Lösung gegen die vierte Welle könnte sich als trüge­risch erweisen.“

Hendrik Streeck,

Direktor des Instituts für Viro­logie an der Univer­sitäts­klinik Bonn

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Ich fürchte, dass dies jetzt wieder passiert und nicht der Booster, sondern ein bisher unbekannter Faktor die Welle in Israel gebrochen hat. Für uns in Deutschland heißt das: Die Hoffnung auf den Booster als Lösung gegen die vierte Welle könnte sich als trügerisch erweisen. Die Stiko empfiehlt derzeit eine Boosterung für Individuen mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf. Sie berät derzeit, ob eine Ausweitung der Empfehlung auf die Gesamtbevölkerung notwendig ist. Ich sehe es als wichtig an, diese Entscheidung abzuwarten. Ich habe da volles Vertrauen in die Stiko.

Welche weiteren Maß­nahmen sind gegen die Corona-Welle jetzt nötig?

Die vulne­rablen Gruppen müssen besser geschützt werden. Deshalb brauchen wir jetzt schnell die Booster-Impfung für ältere Menschen. Denn was uns Studien aus Israel auch gezeigt haben: Der Booster wirkt und kann schwere Verläufe verhindern. In Alten- und Pflege­heimen müssen systema­tisch Bewohner und Mitarbeiter dreimal in der Woche getestet werden.

„Wenn Unge­impfte am Sozial­leben nicht teil­nehmen dürfen, organisieren sie sich zum Beispiel Feiern zu Hause. Dort lässt sich das Infektions­geschehen dann über­haupt nicht mehr kontrol­lieren.“

Hendrik Streeck,

Direktor des Instituts für Viro­logie an der Univer­sitäts­klinik Bonn

Die am Frei­tag beschlossene Test­pflicht für alle Besucher in Pflege­heimen, ob geimpft oder nicht, ist richtig und wichtig. Denn 2G reicht nicht mehr aus, weil sich auch Geimpfte infizieren können. Deshalb müssen sich aber auch geimpfte Bewohner und das Pflege­personal regel­mäßig testen lassen. Auch Veranstal­tungen sollten wir mit zusätz­lichen Tests für alle absichern.

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Dunkelziffer bei Impfdurchbrüchen

Dass sich auch Geimpfte immer häufiger anstecken, zeigt auch das RKI: Fast 150.000 Impf­durch­brüche sind bereits regis­triert. Unter­schätzen wir diese Dynamik?

Wir unter­schätzen massiv die Dunkel­ziffer bei den Impf­durch­brüchen. Das große Problem ist, dass sich Geimpfte im Normal­fall über­haupt nicht mehr testen lassen. Nur bei Symptomen machen Geimpfte einen Test, doch die vielen asympto­mati­schen Infek­tionen bleiben unent­deckt. Aber die Gefahr ist real, wie immer wieder Corona-Ausbrüche bei 2G-Veran­stal­tungen zeigen, zum Beispiel in Province­town im Juli oder auch in Münster oder im Berliner Berg­hain.

Viele Menschen wiegen sich also in falscher Sicher­heit?

Ja, viele geimpfte Menschen haben das Gefühl, sie seien nicht mehr Teil der Pandemie und es wäre nur noch eine Pandemie der Unge­impften. Doch das ist falsch. Für Geimpfte ist das Virus weniger gefähr­lich, aber die Pandemie machen wir alle durch – ob geimpft oder ungeimpft.

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Die Gesund­heits­minister der Länder haben sich darauf verständigt, in Regionen mit besonders hohen Corona-Fall­zahlen 2G-Regeln einzuführen. Ist das der richtige Schritt?

Bei 2G-Veranstaltungen gibt es mehrere Probleme: Die Geimpften haben das Gefühl, sie sind nicht mehr Teil der Pandemie, und verhalten sich auch entspre­chend risiko­reich. Sie haben zahl­reiche Kontakte und eine erhöhte Mobi­lität.

Das zweite Problem sind die Ungeimpften, die ausge­schlossen werden und sich noch weniger testen lassen, unter anderem auch deswegen, weil Tests jetzt kosten­pflichtig sind und weniger Test­zentren existieren. Bis vor kurzer Zeit konnte man sich noch an jeder Ecke testen lassen, zum Beispiel noch kurz vor einem Restau­rant- oder Bar­besuch. Das ist jetzt vorbei. Dadurch kann es folg­lich zu mehr unkon­trol­lierten Ausbrüchen kommen.

Außerdem schließt 2G nicht auto­matisch die Impf­lücke. Wenn Unge­impfte am Sozial­leben nicht teil­nehmen dürfen, organi­sieren sie sich zum Beispiel Feiern zu Hause. Dort lässt sich das Infek­tions­geschehen dann über­haupt nicht mehr kontrol­lieren.

Unge­impfte lassen sich derzeit aber nur noch selten impfen. Die Impf­quote stagniert schon länger. Haben Sie dafür eine Erklä­rung?

Es fehlt an effek­tiver Aufklä­rung über die Impf­stoffe und Impfungen. Viele der Unge­impften haben Sorgen und Ängste. Ich erhalte jeden Tag mehr als ein Dutzend E-Mails von Unge­impften, die sich noch unsicher sind. Das liegt an vielen Falsch­infor­mationen über Impf­stoffe, denen wir mit sach­lich fundierter Aufklä­rung entgegen­treten müssen.

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Gleich­zeitig gibt es mit Rege­neron und Molnu­piravir neue gute Behand­lungs­möglich­keiten. Ist das ein Durch­bruch, der uns gegen die Winter­welle hilft?

Als Durch­bruch würde ich dies nicht bezeichnen, aber es sind zusätz­liche Werk­zeuge in der Pandemie­bekämpfung. Diese Präpa­rate müssen aber sehr früh gegeben werden. Das ist eine Chance, wenn regel­mäßige Tests in Pflege­heimen statt­finden und Infek­tionen früh erkannt werden. Denn so lassen sich dort schwere Krank­heits­verläufe verhindern.

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