Wahlen im Südwesten: Corona sorgt für Rekord bei Briefwählern

Eine Wahlhelferin sortiert in Stuttgart Wahlbriefe.

Eine Wahlhelferin sortiert in Stuttgart Wahlbriefe.

Berlin. Einen Rekord werden die ersten beiden Landtagswahlen unter Corona-Bedingungen auf jeden Fall erreichen: Der Anteil an Briefwählern bei den Urnengängen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird nach aller Voraussicht Höchststände erreichen – eben weil so viele Bürger wegen Infektionsrisiko, Kontaktbeschränkungen und Hygienemaßnahmen nicht wirklich zur Urne gehen mochten.

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Mit bis zu 63 Prozent Briefwahlanteil – je nach Höhe der Wahlbeteiligung insgesamt – hatte die Landeswahlleitung in Rheinland-Pfalz bereis vor dem Sonntag gerechnet, und auch in Baden-Württemberg war man von etwa 50 Prozent postalisch eingesandter Wahl­zettel ausgegangen. Zum Vergleich: Bei der Landtagswahl 2016 hatte ein Fünftel der Wähler in Baden-Württemberg per Brief abgestimmt. In diesem Jahr waren in zahlreichen Wahlkreisen vorab schon mehr Briefwahlunterlagen beantragt worden als vor fünf Jahren im ganzen Land, vielerorts waren laut einer DPA-Umfrage doppelt so oft Briefwahlzettel bestellt worden wie 2016.

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Das hat auch einen Effekt auf die erste Prognose der Wahlergebnisse, die in Deutschland erst mit Schließung der Wahllokale um genau 18 Uhr veröffentlicht werden darf: Für diese Prognose werden die Wähler nach der Wahlabgabe in den Lokalen vor Ort nach ihrem Stimmergebnis befragt. Die Briefwähler sind dann nicht enthalten. Wenn Briefwähler anders wählen als Vor-Ort-Wählende, weicht also das Ergebnis dieser Nachwahlbefragungen – auch „Exit Polls“ – vom echten Wahlergebnis ab. Erst in die Hochrechnungen, die im Laufe des Abends veröffentlicht werden, fließen die echten, ausgezählten Wahlergebnisse ein.

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Durch Corona ist dieser Effekt stark wie nie bei einer Landtagswahl. Zwar war die Zahl der Briefwähler zuletzt ohnehin stetig gestiegen. In Baden-Württemberg lag ihr Anteil vor 25 Jahren noch bei 11 Prozent, vor fünf Jahren war er bereits auf 21 Prozent gestiegen, in Rheinland-Pfalz auf 31 Prozent. Das entspricht dem Trend bei den Bundestagswahlen: Als die Briefwahl 1957 erstmals möglich war, nutzten sie nur 4,9 Prozent der Wähler.

Nach der Bestätigung ihrer Rechtmäßigkeit durch das Bundesverfassungsgericht 1967 und 1981, blieb der Anteil bis 1990 unter 11 Prozent, stieg danach aber peu à peu an, bis er 2009 bereits 21,4 Prozent erreichte. In Großstädten ist die Briefwahl besonders beliebt. Auf die Wahlbeteiligung insgesamt wirkt sich die Zahl der Briefwähler erfahrungsgemäß aber kaum aus. Dieselben Wähler nutzen nur einen anderen Weg.

Maskenpflicht an der Wahlurne

Doch durch Corona erfuhr die Briefwahl nun einen Schub. Vorbereitet waren die Landeswahlleitungen in Mainz und Stuttgart. Nicht nur trugen die Wahlhelfer Gesichtsvisire, saßen hinter Plexiglasscheiben, und es herrschte für Wählende Maskenpflicht. Zugleich hatte allein Rheinland-Pfalz auch 3,2 Millionen Briefwahlunterlagen drucken lassen – mehr, als es Wahlberechtigte hat.

Zudem hatte der Landtag mit einer Gesetzesänderung dafür gesorgt, dass die Wahl auch gültig wäre, wenn sie ausschließlich als Briefwahl stattgefunden hätte. Auch Sachsen-Anhalt hat für seine Wahlen im Juni so vorgesorgt. Nach den bisherigen Erfahrungen in Deutschland und den USA stellen sich Bundesinnenministerium und Bundeswahlleiter auch auf einen hohen Briefwahlanteil ein – etwa, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Post und in den Wahlbehörden.

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Von der Vorstellung einer reinen Briefwahl sind Verfassungsrechtler allerdings wenig begeistert, und auch Bundeswahlleiter Georg Thiel hatte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) gesagt: „Die Urnenwahl sollte der Regelfall sein.“ Zwar sei die Briefwahl eine akzeptable Alternative, berge aber Restrisiken: „Kommt der Stimmzettel wirklich an? Hat der Wähler selbst gewählt?“

Wahlforscher Thorsten Faas von der FU Berlin betont, dass geheimes Wählen im Wahllokal auch die freie Wahl sichert: „Beim Wählen zu Hause lässt sich nicht in gleichem Maße sicherstellen, dass jeder eine geheime Wahlentscheidung treffen kann“, sagte Faas der DPA.

Zwar sei es besser, per Brief abzustimmen als gar nicht, sagte Thiel dem RND. Der Gang ins Wahllokal sei aber am besten, zumal mit Hygienevorkehrungen.

Wer von der Briefwahl profitieren könnte

Dass ein hoher Anteil an Briefwählern die Auszählungen verzögern kann, die stets erst 18 Uhr beginnen, ist absehbar. Wie er sich aufs Wahlergebnis auswirkt, war zunächst noch unklar. „Natürlich sehen wir für manche Parteien höhere Anteile bei Brief- als bei Präsenzwählerinnen und umgekehrt“, so Wahlforscher Faas. „Das Misstrauen in Briefwahlen ist an manchen Stellen höher als bei anderen, gerade AfD-Wähler wählen daher wohl seltener per Brief.“ Zudem kümmere sich der weniger politikinteressierte, spontane Protestwähler weniger um Anträge im Vorfeld.

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Nach Studien des Politikwissenschaftlers Uwe Jun von der Universität Trier profitieren von der Briefwahl vor allem CDU und Grüne: Für viele CDU-Wähler sei Wählen eine Staatsbürgerpflicht, während Grünen-Wähler das größte Politikinteresse hätten und deshalb früh abstimmten. Der SPD falle es traditionell schwer, ihre vergleichsweise älteren Wähler zur Briefwahl zu bewegen. Doch sie hatte gegengesteuert und etwa in Rheinland-Pfalz intensiv zur Briefwahl aufgerufen.

Auch der Wahlkampf verändert sich so: Die Dramaturgie, die früher stark auf die letzten zwei Wochen vor der Wahl konzentriert war, musste angesichts so vieler Frühzeitwähler flexibler werden, sagte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte gegenüber tagesschau.de. So steige die Bedeutung der TV-Duelle, während ein klassisches Finale vor dem Wahlsonntag für viele Wähler zu spät komme.

RND/sgey./mit dpa

Anmerkung: In einer früheren Fassung des Textes war das Zitat von Karl-Rudolf Korte einer falschen Quelle zugeschrieben. Wir haben das korrigiert.

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