Warnung an reformmüde Parteien: Mario Draghi hält Standpauke
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Italiens Ministerpräsident Mario Draghi bei einer Pressekonferenz.
© Quelle: imago images/Insidefoto
Rom. Mario Draghis Verärgerung war derart groß, dass er am Donnerstag vorzeitig ein Gipfeltreffen mit der Afrikanischen Union in Brüssel verließ, sich ins Flugzeug setzte und nach Rom zurückflog, um den Spitzen seiner Regierungskoalition die Leviten zu lesen.
Die Parteien, erklärte der Premier während der Sitzung, sollen ihm klipp und klar sagen, ob sie noch bereit seien, die Reformen mitzutragen und bei der Modernisierung des Landes mitzuwirken. Wenn dies nicht mehr der Fall wäre, dann sei er die falsche Person am falschen Platz. „Ich beabsichtige nicht, hier einfach meinen Sessel zu wärmen“, wurde Draghi von einem Minister zitiert, der beim Eklat dabei gewesen ist.
In der Nacht zuvor hatten Parlamentarier der Koalition gleich bei vier Geschäften gegen die eigene Regierung gestimmt und die Vorlagen damit versenkt. Unter anderem hat die zuständige Kommission der Abgeordnetenkammer verhindert, dass die Obergrenze für Barzahlungen von bisher 2000 auf 1000 Euro gesenkt wird. Dabei handelte es sich um eine der Maßnahmen, mit der Draghi die grassierende Steuerhinterziehung bekämpfen will.
Lega-Chef Matteo Salvini brüstete sich danach auf Facebook, der eigenen Regierung ein Bein gestellt zu haben. „Dank der Lega und den anderen Rechtsparteien ändert sich die Obergrenze beim Gebrauch von Bargeld nicht“, schrieb Salvini triumphierend. Salvinis Lega ist aber nicht die einzige Partei, die bei den Reformen ausschert, und die vier Rückenschüsse im Parlament waren auch nur der berühmte Tropfen, der für Draghi das Fass zum Überlaufen brachte.
Seit Monaten schon werfen die Parteien dem Regierungschef Knüppel zwischen die Beine. Der Grund: Im nächsten Frühling wird das Parlament neu gewählt, und niemand will durch unpopuläre Reformen die Gunst der Wählerinnen und Wähler verlieren. Vielmehr haben die Parteien nun die Spendierhosen an.
Etliche Reformen sind inzwischen seit Monaten blockiert
Besonders augenfällig war dies bereits im Spätherbst bei den Beratungen des Haushalts gewesen: Die Vorlage wurde, natürlich gegen den Willen von Draghi, vollgepackt mit allerlei Wohltaten und Geschenken an alle möglichen Wählergruppen.
Etliche Reformen sind inzwischen seit Monaten blockiert, allen voran die Steuerreform, die mit Blick auf die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit Italiens als eine der wichtigsten gilt. Das Problem für die wahlkämpfenden Parteien: Die Reform sieht auch eine Anpassung der amtlichen Werte der Immobilien vor, die derzeit meist deutlich zu tief liegen.
Und bei den jüngsten Reformen – etwa bei der Neuorganisation der Justiz und beim Versuch, an den Strandbädern mehr Wettbewerb einzuführen – distanzierten sich Parteienvertreter am gleichen Tag von den Maßnahmen, denen ihre Minister noch vor wenigen Minuten an der Regierungssitzung zugestimmt hatten.
Für den 74-jährigen Draghi ist dies alles völlig inakzeptabel. Seine Regierung sei von Staatspräsident Sergio Mattarella vor einem Jahr eingesetzt worden, um Italien voranzubringen, erklärte Draghi während seiner Standpauke. Und nicht zuletzt gehe es auch um die 191 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds: Draghi erinnerte die Parteien daran, dass Brüssel die Freigabe dieser Gelder an die Einhaltung eines sehr anspruchsvollen Reform-Fahrplans geknüpft habe.
Er sei nicht bereit, wegen der anstehenden Wahlen die EU-Hilfen aufs Spiel zu setzen und die einmalige Chance für Italien möglicherweise zu vergeben, betonte Draghi. Der Retter Italiens will nicht als deren unfreiwilliger Totengräber in die Geschichte eingehen.