Was bringt Robert Habecks Windkraftpaket wirklich?
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Windräder drehen sich bei Marksuhl in Thüringen.
© Quelle: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dp
Liebe Leserinnen und Leser,
während das EU‑Parlament sich diese Woche gegen die Widerstand der Konservativen auf ein Enddatum für Verbrennungsmotoren geeinigt hat, schlägt in Deutschland ein Vorschlag des FDP-Chefs größere Wellen – obwohl er keinerlei Auswirkungen haben dürfte: Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat zu einer Debatte über eine Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke aufgerufen – stieß damit aber fast durchgängig auf Irritation.
Immerhin sollen auch die drei letzten noch in Deutschland verbliebenden Meiler bis Ende des Jahres abgeschaltet werden. Die Verträge dafür sind längst geschlossen, die Entschädigungen gezahlt. Eine Reaktivierung wäre also vor allem eine ziemlich teure Angelegenheit.
Klimaschutz geht anders
Auch die klimabewegte Jugend dürfte mit der Debatte wenig anfangen können, liegen doch die Entscheidungen zum deutschen Atomausstieg zumeist vor dem politischen Bewusstsein der heutigen Friday-for-Future-Generation. Und während Lindner Anfang des Jahres den Klimaschutz noch nicht als Argument für längere Atomkraft gelten lassen wollte, sprachen für ihn die hohen Energiepreise infolge des Ukraine-Krieges zumindest dafür, die Forderung in den Raum zu stellen.
Apropos Energie: Sowohl der Energieunabhängigkeit als auch dem Klimaschutz wäre mehr geholfen, wenn die Bundespolitik ihre Energie stattdessen in die Frage stecken würde, wie die erneuerbaren Quellen schneller ausgebaut werden können. RND-Wirtschaftschef Andreas Niesmann geht dem Problem in dieser Woche in unserem Faktencheck nach: Wie können die Ausbauziele der Bundesregierung für Windenergie erreicht werden?
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Windpark in Schleswig-Holstein.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
Faktencheck der Woche
Seit Jahren gibt es massive Klagen darüber, dass der Windkraftausbau in Deutschland stockt. Zu hohe Umweltschutzauflagen, zu lange Genehmigungswege und zu viele Bürgerproteste haben den Bau neuer Windräder beinahe zum Erliegen gebracht und viele Anlagenbauer in eine existenzielle Krise gestürzt.
Bei seiner Amtsübernahme hat Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck versprochen, den Ausbau wieder in Gang zu bringen und damit sowohl die Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland zu reduzieren als auch die deutsche Klimabilanz zu verbessern. In dieser Woche nun hat Habeck dafür ein Gesetzespaket vorgelegt.
Was ist Habecks Ziel?
Der Wirtschaftsminister denkt groß. Bis 2026 sollen insgesamt 1,4 Prozent und bis 2032 2 Prozent der Bundesfläche für Windräder zur Verfügung stehen. Aktuell sind nur 0,8 Prozent der Bundesfläche für Windanlagen ausgewiesen, wobei lediglich 0,5 Prozent der Bundesfläche tatsächlich zur Verfügung stehen. Das Problem: Zwar haben die Landesregierungen potenzielle Ausbauflächen definiert, gleichzeitig aber in vielen Fällen strenge Abstandsregeln zu Wohnhäusern beschlossen. Dadurch stehen zahlreiche Flächen zwar in der Theorie, nicht aber in der Praxis zur Verfügung.
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Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck, hier beim Start seiner Energiewechselkampagne an diesem Freitag in Berlin.
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
Wie will die Bundesregierung dieses Problem lösen?
Das neue Windflächenbedarfsgesetz schreibt für jedes einzelne Bundesland verbindlich fest, welchen Beitrag es leisten muss, damit Deutschland als Ganzes das 2‑Prozent-Ziel bei den Windflächen erfüllt. Die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin müssen in den kommenden zehn Jahren 0,5 Prozent ihrer Landesfläche für Windkraft zur Verfügung stellen, Flächenländer wie Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Brandenburg 2,2 Prozent. Die übrigen Länder bewegen sich dazwischen.
Dürfen Landesregierungen keine Regeln mehr für den Abstand zwischen Windkraftanlagen und Wohnhäusern erlassen?
Doch, die Länder haben nach wie vor die Möglichkeit, von den sogenannten Öffnungsklauseln Gebrauch zu machen und eigene Mindestabstände festzulegen. Die Abstandsregeln dürfen aber nicht mehr zu Flächenbeschränkungen führen, die dem Gesamtziel zuwiderlaufen. Eine sogenannte Verhinderungsplanung soll es nach dem Willen von Robert Habeck künftig nicht mehr geben. Bislang gilt zum Beispiel in Brandenburg und Sachsen ein Mindestabstand von 1000 Metern zwischen Windrädern und Wohnbebauung. In Bayern gibt es die sogenannte 10‑H‑Regel, wonach der Abstand das Zehnfache der Höhe des Windrades betragen muss. Bei modernen Windrädern mit 200 Metern Höhe sind das zwei Kilometer.
Was passiert, wenn ein Land seine Ziele reißt?
Erreicht ein Land seine Flächenziele nicht, sollen landesrechtliche Abstandsregelungen automatisch außer Kraft gesetzt werden, um kurzfristig zusätzliche Flächen für den Bau von Windkraftanlagen zu schaffen. In diesem Fall wären Windanlagen im gesamten Landesgebiet im Außenbereich privilegiert. Die Anlagen sind dann auch außerhalb ausgewiesener Flächen so lange zulässig, bis das Land seine Flächenziele erreicht. In Berliner Regierungskreisen geht man davon aus, dass es die Länder so weit nicht kommen lassen werden und rechtzeitig ausreichend Flächen ausweisen – auch, weil die Verfügbarkeit von Ökostrom inzwischen ein Standortfaktor im Wettbewerb der Länder untereinander geworden ist.
Blockade zwischen Windkraft und Artenschutz soll aufgelöst werden
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesumweltministerin Steffi Lemke stellen neue Eckpunkte für die zukünftige Windkraft und den Artenschutz vor.
© Quelle: Reuters
Was passiert, wenn Länder ihre Ziele übererfüllen?
Länder, die ihre Ziele übertreffen, sollen anderen Ländern ihre Windflächen übertragen können – also etwa das windreiche Schleswig-Holstein an Bayern. Dazu soll bis zum Sommer 2024 ein Staatsvertrag geschlossen werden. Die Frage ist, welche Gegenleistung es dann für Länder gibt, die viel ausbauen. Die Übertragung ist für die Flächenländer auf einen Umfang von 25 Prozent des jeweiligen Flächenwerts begrenzt.
Wie groß ist der Widerstand von Anwohnern?
Dass durch die neuen Regelungen auch zusätzliche Konflikte mit betroffenen Bürgerinnen und Bürgern entstehen könnten, räumen Vertreter der Ampelregierung zwar ein. Diese müssten aber so oder so geführt werden, wenn die Energiewende weitergehen und die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland reduziert werden solle, heißt es.
Und was ist mit dem Schutz bedrohter Vögel?
Auch beim Artenschutz hat sich die Bundesregierung auf neue Regeln verständigt. Das Bundesnaturschutzgesetz soll so angepasst werden, dass der Tod einzelner Vögel dem Bau einer Windanlage nicht mehr prinzipiell im Wege steht, solange die Entwicklung der ganzen Population einer Art stabil ist. Die Abstandsregeln zu Brutnestern werden großzügiger. Außerdem sollen bundeseinheitliche Standards für die artenschutzrechtliche Prüfung festgelegt werden, um die Planungen zu beschleunigen.
Infografiken der Woche
Das geplante Gesetz von Robert Habeck nehmen wir zum Anlass, den Istzustand der für Windkraftanlagen ausgewiesenen Flächen in allen Bundesländern zu vergleichen – und die Ziele der Bundesregierung damit zu vergleichen:
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Ausgewiesene Flächen für Windkraftanlagen in den Bundesländern.
© Quelle: dpa
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Windkraft-Flächenziele der Bundesregierung für die Bundesländer – und was noch getan werden muss.
© Quelle: dpa
Öko-Ökonomie-Kolumne: Greenformation
Anstatt Autofahrer zu entlasten, steigert der Tankrabatt die Gewinne der Ölkonzerne. Eine absurde Umverteilung, kritisiert Claudia Kemfert. In ihrer Kolumne „Greenformation“ fordert die DIW-Ökonomin stattdessen eine echte Übergewinnsteuer für die Mineralölbranche – durch höhere Steuern auf Energie. Lesen Sie hier die Öko-Ökonomie-Kolumne dieser Woche.
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Claudia Kemfert
© Quelle: r / Murmann Verlag
Verbrauchertipp der Woche
Was ist besser – Grillen mit Gas oder Holzkohle? Um diese Frage entfacht sich in deutschen Kleingärten nicht selten ein Kulturkampf. Die Grillgemeinde ist dabei laut Umfragen fast zu gleichen Teilen in beide Lager gespalten. In Sachen Klimabilanz hat das Gas klar die Nase vorn. Verbrennung von Kohle stößt nämlich deutlich mehr Treibhausgase aus als der Betrieb mit Gas.
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© Quelle: Pexels
Während man mit den CO₂‑Äquivalenten eines zwei Stunden lang betriebenen Holzkohlegrills 50 Kilometer mit dem Auto fahren könnte, sind es bei einem Gasgrill nur 16 Kilometer. Viel wichtiger ist allerdings, was auf den Grill kommt. Eine Übersicht:
- 200 Gramm Rindfleisch belasten das Klima mit 2,9 Kilogramm CO₂-Äquivalenten
- Anderes Fleisch und und Käse schlagen mit 1,9 Kilo pro 200 Gramm zu Buche
- Am klimafreundlichsten ist pflanzliches Grillgut, ein Maiskolben ist für nur 50 Gramm Treibhausgase verantwortlich.
Der RND-Klima-Podcast – hier hören
Brauchen wir Kernenergie für die Klimawende? Die Atomkraft erlebt gerade einen ungewöhnlichen Rollenwechsel – von der einstigen Ablehnung in der Umweltbewegung zum möglichen Klimaretter der Zukunft. Jetzt will die EU Kernenergie und Gas in ihrer Taxonomie als nachhaltige Energieträger einstufen. Doch wie nachhaltig ist Kernkraft wirklich? In dieser Folge des RND-Podcasts „Klima und wir“ hat Ben Wealer, Experte für Atompolitik und Forscher an der TU Berlin, erörtert, warum Atomstrom keine Lösung für die Bewältigung der Klimakrise ist.
Klima und wir: Der RND-Tiktok-Kanal
Wie schmeckt das Essen in der Bundestagskantine – und was macht eine Politikerin eigentlich Tag für Tag? Diese und andere Fragen haben wir der jüngsten Bundestagsabgeordneten, Jugend- und Klimapolitikerin Emilia „Milla“ Fester (Grüne), im neuesten Tiktok-Video gestellt.
Die gute Nachricht
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Balistare (Bali-Mynah Leucopsar rothschildi) wurden über 100 Jahre exzessiv gejagt und so fast ausgelöscht.
© Quelle: imago images/blickwinkel
Gute Aussichten für die fast ausgestorbenen Balistare: Auf der indonesischen Urlaubsinsel, die bereits jetzt stark vom ansteigenden Meeresspiegel bedroht ist, ist es Ornithologen gelungen, dass sich die stark dezimierte Vogelpopulation erholt. In einem gemeinsamen Projekt mit Vogelzüchtern und ‑händlern konnten neue Stare freigelassen und die Wilderei eingedämmt werden. So konnte die frei lebende Population von sechs Tiere im Jahr 2001 auf 420 Exemplare im dortigen Nationalpark gesteigert werden.
Aktuelle Hintergründe
„Wenn die Sache, für die sie kämpfen, es wert ist, geben Sie nicht auf“ – so beschreibt die weltberühmte Naturforscherin Jane Goodall die Motivation für ihren Kampf für mehr Umweltschutz, der bereits ein Vierteljahrhundert dauert. Goodall spricht im RND-Interview mit Anna Schughart auch darüber, was jeder und jede Einzelne für den Klimaschutz tun kann und warum sie mit 88 Jahren die Hoffnung trotz vieler Rückschläge noch immer nicht aufgegeben hat. Das komplette Interview lesen Sie hier (RND+).
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Das belgische Atomkraftwerk Tihange steht schon lange in der Kritik. Eine RND-Analyse hat ergeben, dass Staaten ihre Reaktoren besonders gern an Grenzen zu anderen Staaten errichten.
© Quelle: dpa
Während diese Woche in Deutschland mit der Debatte über die Laufzeit für Kernkraftwerke der quasi vollzogene Atomausstieg noch einmal zur Disposition gestellt wurde, werden in Europa und auch in anderen Erdteilen neue Meiler errichtet. RND-Autor Johannes Christ hat deren Standorte genauer untersucht und dabei eine Übersicht aller Atomkraftwerke weltweit erstellt. In den Übersichten können Sie dabei mit der Suchfunktion herausfinden, welche ausländischen Reaktoren sich besonders nah an der deutschen Grenze befinden.
Müssen wir gezielt in das Erbgut von Pflanzen eingreifen, um auf Klimaveränderungen zu reagieren? Unser Kollege Jan Sternberg hat einen Landwirt in der trockensten Region Deutschlands besucht, der sich den Einsatz neuer, moderner Gentechniken wünscht. Lesen sie seine Reportage mit RND+.
Bild der Woche
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Im Süden Spaniens wüten derzeit wieder verheerende Waldbrände. In der Nacht auf Donnerstag mussten sich deshalb mehr als 3000 Menschen in der Touristenhochburg Costa del Sol in Sicherheit bringen. Expertinnen und Experten zufolge droht auch in Deutschland wegen der Trockenheit wieder eine schwere Waldbrandsaison.
© Quelle: Alex Zea/Europa Press/dpa
Übrigens gab es in dieser Woche noch eine weitere wichtige Entscheidung auf EU‑Ebene: Parlament, Kommission und Europäischer Rat haben sich auf ein Ende des Kabelsalats geeinigt. So sollen zukünftig mobile Endgeräte in EU‑Staaten nur noch mit dem USB‑C-Kabel geladen werden. So wird ab Mitte 2024 auch der spezielle iPhone-Stecker der Vergangenheit angehören.
Darüber, inwieweit bald auch weitere Verwirrungen in der Klima- und Umweltpolitik gelöst werden können, werden wir Sie natürlich auf dem Laufenden halten.
Falls Sie Anregungen oder Kritik haben, melden Sie sich gern direkt bei unserem Redaktionsteam: klima@rnd.de Wir freuen uns auf Ihr Feedback!
Nachhaltige Grüße
Jan Kuipers und Andreas Niesmann