Was die Türkei von der neuen Bundesregierung zu erwarten hat

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Athen. Der 178 Seiten umfassende Koalitionsvertrag, auf dessen Grundlage SPD, Grüne und FDP die nächsten vier Jahre in Deutschland regieren wollen, geht mit ganzen acht Zeilen auf die Beziehungen zur Türkei ein. Er unterstreicht die Rolle des Landes als „wichtiger Partner“ der EU und der Nato, notiert aber auch „besorgniserregende innenpolitische Entwicklungen“. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschen-, Frauen- sowie Minderheitenrechte seien „massiv abgebaut worden“. Die EU-Beitrittsverhandlungen sollen deshalb eingefroren bleiben.

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Das ist der kleinste gemeinsame Nenner. Vor allem die Grünen, die mit Annalena Baerbock die Außenministerin stellen, begegneten vor der Wahl Erdogan noch deutlich klarer. Baerbock nannte ihn einen „antidemokratischen Akteur“, der Europäerinnen und Europäer zu seinem „Spielball“ gemacht habe. Mit Cem Özdemir sitzt jetzt einer der schärfsten Erdogan-Kritiker am Kabinettstisch. Er bezeichnete den türkischen Staatschef 2017 als „Diktator aus Ankara“.

Merkel betonte bei ihrem Abschiedsbesuch in Istanbul die Kontinuität der deutsch-türkischen Beziehungen. Aber einiges dürfte sich ändern. Von seinem Wunsch, die 1996 mit der EU geschlossene Zollunion zum Vorteil der türkischen Wirtschaft auszubauen, muss sich Erdogan wohl verabschieden. Merkel befürwortete die Verhandlungen, FDP und Grüne sind dagegen.

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Restriktiver könnte es auch bei den deutschen Rüstungsexporten in die Türkei zugehen. Im vergangenen Juni scheiterte zwar ein gemeinsamer Vorstoß der Grünen und der Linken zu einem Waffenembargo im Bundestag an CDU, SPD und FDP. Aber Erdogans Militärinterventionen in Syrien, Libyen, dem Nordirak und Bergkarabach machen Waffenlieferungen an Ankara für die neue Bundesregierung zu einem heiklen Thema.

Nicht minder brisant sind die türkischen Gebietsansprüche gegenüber Griechenland und Zypern im östlichen Mittelmeer. Hier könnten der Türkei in der EU künftig jene Sanktionen drohen, die Merkel bisher stets abzuwenden verstand.

Explosiv sind diese Themen, weil Erdogan in regelmäßigen Abständen damit droht, den Flüchtlingsdeal mit der EU aufzukündigen, wenn die EU sich ihm nicht fügt.

Wie zerrüttet die Beziehungen mittlerweile sind, zeigt der Fall Osman Kavala. Der Bürgerrechtler sitzt seit über vier Jahren ohne Gerichtsurteil in Haft – entgegen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR), der schon Ende 2019 seine Freilassung anordnete. Diese Woche erklärte Erdogan, für sein Land seien die Urteile des EGMR „null und nichtig“. Nun droht der Türkei ein Ausschlussverfahren aus dem Europarat, dessen Organ der EGMR ist.

Die Causa Kavala entwickelt sich damit nicht nur zu einer immer größeren Belastung für das Verhältnis der Türkei zur EU. Sie wird auch zu einem Prüfstein für die Türkei-Politik der Ampelkoalition.

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