Wenn Recht zu Unrecht erklärt wird: Die „Querdenker“ kämpfen gegen die Justiz

„Querdenken“-Gründer Michael Ballweg spricht am Karsamstag in Stuttgart.

„Querdenken“-Gründer Michael Ballweg spricht am Karsamstag in Stuttgart.

Berlin. Nach den „Querdenken“-Protesten ohne Abstand und Schutzmasken in Stuttgart ist eine Debatte über Verbote von Corona-Demonstrationen entbrannt. Aussagen des „Querdenken“-Gründers und Demoorganisators Michael Ballweg liefern Befürwortern solcher Versammlungsverbote nun neues Futter.

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In einem Video erklärte Ballweg, sich auch künftig über gerichtlich bestätigte Auflagen hinwegsetzen zu wollen. „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo die Gerichte nicht mehr Recht sprechen“, sagte der Kopf der vom Verfassungsschutz beobachteten Stuttgarter „Querdenken“-Gruppe in einem Interview mit dem szenenahen Journalisten Boris Reitschuster.

Durch behördliche Auflagen, etwa zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, würden Grund- und Menschenrechte „boykottiert“. Deshalb bliebe „nichts anderes übrig, als uns dann in Form unseren Demonstrationen zu widersetzen“.

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Am Karsamstag waren Tausende Menschen in Stuttgart Ballwegs Protestaufruf gefolgt. Wie wenige Wochen zuvor in Kassel hielten sich die Demonstranten nicht an Abstandsregeln und Maskenpflicht, es kam mehrfach zu gewaltsamen Angriffen auf Journalisten. In der Vergangenheit hatten die Organisatoren der „Querdenken“-Proteste die Demonstrationsteilnehmer oft zumindest pro forma um die Einhaltung der Auflagen gebeten.

„Querdenken“-Organisator und Jurist Ralf Ludwig sagte in Stuttgart zwar: „Wir müssen immer den Rechtsweg gehen.“ Er fügte aber hinzu: „Alleine, um das Unrecht zu dokumentieren. Unerträgliches Unrecht ist unanwendbar und damit nichtig.“ Für „unerträgliches Unrecht“ hält Ludwig bereits „Maskenpflicht, Demonstrationsverbote oder Beschränkung von Teilnehmerzahlen“.

„Widerstand gegen die Staatsmacht“

Ludwig, Ballweg und viele andere „Querdenker“ propagieren inzwischen offen den „Widerstand gegen die Staatsmacht“ und führen dazu das grundgesetzliche Widerstandsrecht an. Ende März war Ballweg in einem anderthalbstündigen Livestream des Schweizer Rechtsextremen Ignaz Bearth zu Gast.

Darin diskutierten die beiden unter anderem, was der richtige Weg zur Überwindung des politischen Systems der Bundesrepublik ist. Ballweg erklärte in dem Gespräch, unter Berufung auf das im Grundgesetz verankerte Widerstandsrecht künftig keine Steuern mehr zahlen zu wollen.

In einem Interview mit dem rechtsextremen „Compact-Magazin“ begrüßte Ballweg im Nachhinein das Durchbrechen von Polizeisperren auf der Leipziger „Querdenken“-Großdemonstration im November: „Ich fand es großartig, denn ursprünglich waren ja eine stationäre Kundgebung und ein Aufzug geplant, und die Stadt Leipzig hat den Aufzug verboten. Und daher war die Eigeninitiative natürlich toll!“

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Der Münsteraner Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler hält Verbote von „Querdenken“-Demos nach diesen Aussagen und den jüngsten Erfahrungen für wahrscheinlicher. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagte Achelpöhler, der Mitglied des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht im Deutschen Anwaltverein ist: „Wer als Anmelder einer Demonstration rechtmäßigen behördlichen oder gerichtlichen Auflagen nicht nachkommt, macht sich strafbar. Auflagen sind grundsätzlich ein milderes Mittel als ein Verbot. Wenn aber davon auszugehen ist, dass der Anmelder keine Absicht hat, die Auflagen durchzusetzen, sind sie kein geeignetes Mittel mehr. Dann bliebe nur noch ein Verbot.“

Politiker fordern schärferes Vorgehen

Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, fordert höhere Bußgelder. „Wenn Veranstalter nicht gewährleisten können, dass die Corona-Auflagen eingehalten werden, dann dürfen Demonstrationen von so genannten Querdenkern gar nicht erst genehmigt werden“, sagte er dem RND. Städte und Gemeinden hätten da jegliche Handhabe.

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Fechner fügte hinzu: „Verstöße gegen Corona-Auflagen gefährden die Gesundheit der Bevölkerung, und deshalb muss die Bußgeldobergrenze bei Verstößen gegen Maskenpflicht oder Abstandsgebote verzehnfacht werden, von 250 Euro auf 2500 Euro, etwa in der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg. Die Höhe der Bußgelder, die bislang verhängt wurden, haben offenbar keine Wirkung gezeigt.“

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, sagte dem RND: „Die Versammlungsfreiheit gilt auch während der Pandemie. Ein pauschales Demonstrationsverbot wäre mit dem Grundgesetz und mit dem Charakter einer freiheitlichen Demokratie unvereinbar. Wenn einzelne Gruppen jedoch ihre Freiheit missbrauchen, um zu Lasten Dritter gegen Hygiene- und Abstandsregeln zu verstoßen und Polizisten sowie Journalisten zu attackieren, muss der Staat härter durchgreifen und schärfere Auflagen erlassen.“ Die Innenminister von Bund und Ländern sollten kurzfristig einen gemeinsamen Standard zum Umgang mit solchen Versammlungen beschließen, der sich an der Rechtsprechung orientiert.

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