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Kommentar

Wer verteidigt in Zukunft Europa?

Europa ist aktuell von den USA abhängig.

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Keine Atempause, Geschichte wird gemacht. Heute, kurz nach seiner Vereidigung, empfängt der neue deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius seinen Amtskollegen aus den USA, Lloyd Austin.

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Den Termin in Berlin hatte das Pentagon vor Kurzem einfach mal eingeplant, trotz der noch laufenden Krise um Christine Lambrecht. Zeitweise wussten Austins Leute in Washington nicht, wen ihr Chef am Ende in Berlin treffen würde. Klar war aber auch: Irgendjemanden würde Europas wichtigste Wirtschaftsnation schon noch aufbieten. Es gibt ja viel zu besprechen in diesen Zeiten. Schon am Freitag folgt, im Kreis von mehr als 30 Staaten, die nächste militärische Geberkonferenz für die Ukraine in Ramstein. Auch hier schlagen die USA den Takt.

Oft reden die Deutschen derzeit vom Besonderen der Situation, die man gerade durchlebe. Seufzend sagen viele, man habe nie gedacht, noch einmal in Europa einen so furchtbaren Krieg zu sehen. Weiter geht es dann oft mit nationaler Nabelschau: Immerhin gebe es jetzt ein 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr und einen neuen Minister. Das alles sei doch eine Art Befreiungsschlag. Oder etwa nicht?

Liegt in seiner Berufung bereits ein Befreiungsschlag? Boris Pistorius (SPD), Innenminister von Niedersachsen und künftiger Bundesverteidigungsminister.

Liegt in seiner Berufung bereits ein Befreiungsschlag? Boris Pistorius (SPD), Innenminister von Niedersachsen und künftiger Bundesverteidigungsminister.

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Glatt übersehen wird, wie die aus deutscher Binnensicht dramatisch wirkenden Veränderungen von außen betrachtet werden. Vieles, was in Berlin als spektakuläres neues Manöver empfunden wird, gilt unter den Partnern in der Nato lediglich als überfällige Korrektur schwer nachvollziehbarer deutscher Positionen.

Joe Biden leistet derzeit Großes

Zudem verkennen viele Deutsche eine weitere historische Besonderheit der aktuellen Lage. Die USA kümmern sich derzeit um Europa in einem Maß, das schon niemand mehr von ihnen erwarten konnte.

Joe Biden, ein Idealist mit irischen Wurzeln, leistet dabei Großes. Er geht nicht nur in eine völlig andere Richtung als der materialistische Donald Trump, der die Nato schon auflösen und die Truppen aus Deutschland abziehen wollte. Der heutige Präsident gibt sich mit Europa auch mehr Mühe als sein demokratischer Vorgänger Barack Obama. Der hatte das Thema Ukraine und die Minsk-Verhandlungen achselzuckend den Europäern und Europäerinnen überlassen in der irrigen Annahme, Berlin und Paris würden sich schon nicht von Moskau übers Ohr hauen lassen. Die Aggressivität Putins hat Obama dabei einmal mehr, wie schon in Syrien, unterschätzt.

Jetzt, mit Biden, erleben die Europäerinnen und Europäer etwas, das angenehm ist und gefährlich zugleich. Ja, die Supermacht USA hilft uns. Und ja, sie beruhigt uns auch. Aber sie nimmt uns eben auch an die Hand. Und zentrale Fragen bleiben leider offen: Wo ist die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäer und Europäerinnen? Und wer, Hand aufs Herz, verteidigt am Ende Europa?

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Ein leider noch langer Weg

In Nato-Kreisen kursiert das Szenario, Wladimir Putin könne eines Tages einen europäischen Nato-Staat angreifen und dies mit der ausdrücklichen Zusage an Washington verbinden, Moskau wolle deswegen keinen Konflikt mit den USA. Was, wenn Washington bis dahin fest in der Hand der Egoisten und Egoistinnen und Isolationistinnen und Isolationisten ist, die den Europäern und Europäerinnen nur noch alles Gute wünschen?

Im Repräsentantenhaus gewinnt genau diese Haltung bereits immer mehr Anhänger und Anhängerinnen, nicht nur im rechten Lager. Und die nächsten amerikanischen Präsidentschaftswahlen sind bereits im November 2024.

Die Europäer und Europäerinnen müssen dringend lernen, nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern endlich auch militärisch auf eigenen Füßen zu stehen. Darin liegt, jenseits der richtigen und wichtigen Waffenhilfe für die Ukraine, die wahre verteidigungspolitische Herausforderung dieser Zeit. Wer aufhört mit der Nabelschau und sich umsieht in der Welt, stellt fest: Das 100-Milliarden-Programm in Deutschland und die Suche nach einer geeigneten Führungspersönlichkeit fürs Verteidigungsressort waren späte erste Schritte auf einem Weg, der leider noch lang sein wird.

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