Wie Merkel im Bundestag vor weiteren Tausenden Corona-Toten warnt

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) während ihrer Regierungs­erklärung im Bundestag.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) während ihrer Regierungs­erklärung im Bundestag.

Berlin. Manchmal wirkt Angela Merkel wie eine Maschine. Als hätte es diese jüngsten Turbulenzen, die Schlaf- und Rastlosigkeit und ihre denkwürdige Bitte um Verzeihung nicht gegeben, wirft die Bundeskanzlerin am Donnerstag im Bundestag den Motor für eine Ruck-Rede an. Für den Blick nach vorn, trotz allem.

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Sie benennt die Schwächen in Deutschland, die Versäumnisse bei der Bekämpfung der Pandemie. Aber sie macht auch ganz deutlich: Es wird einen neuen, schärfen Lockdown geben, wenn die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nicht ausreichen.

Und das tun sie ganz offensichtlich nicht, wenn man die neuen Zahlen des Robert-Koch-Instituts betrachtet. Mehr als 22.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden meldete die Behörde am Donnerstag. Merkel mahnt: Deutschland ist in einem exponentiellem Wachstum.

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Merkels Regierungs­erklärung ist eigentlich als Vorschau auf den digitalen EU-Gipfel am Donnerstag angesetzt. So verteidigt sie erneut ihre Entscheidung im vorigen Jahr, mit der Europäischen Union gemeinsam Impfstoffe zu beschaffen. So halte die EU zusammen.

Sie verweist auf die Zerwürfnisse selbst bei kleinen Unterschieden in der Verteilung. Sie wolle sich nicht vorstellen, was wäre, wenn einzelne EU-Staaten Impfdosen hätten und andere nicht. Dann stellt sie es sich doch vor: „Das würde den Binnenmarkt in seinen Grundfesten erschüttern.“

Merkel nimmt Tübingen und Rostock zum Vorbild

Aber Merkel kommt schnell wieder zur Lage im Inland. Wie geht es nun weiter, nachdem sie den Beschluss der Minister­präsidenten­konferenz zum Oster­lockdown am Mittwoch als ihren persönlichen Fehler benannt und ihn einkassiert hat? Sie verweist auf die bestehenden Möglichkeiten zu Kontakt­beschränkungen, auch zu Ausgangs­sperren. Denn: „Ich kann in bestimmten Situationen nicht nichts machen.“

Sie mahnt Verbesserungen beim gesamten Corona-Krisen­management in Deutschland an – bis hin zu den Ländern und Kommunen und jedem Einzelnen vor Ort. „Keinem Oberbürger­meister oder Landrat ist verwehrt, das zu tun, was in Tübingen und Rostock getan wird.“ Dort wird vor allem viel getestet, die Inzidenzwerte sind niedrig.

Merkels Wunsch ist eindeutig: mehr Eigeninitiative, mehr Selbstverantwortung. Von jedem Einzelnen.

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Sie wisse, wie schwer es viele Menschen hätten, beteuert sie. „Wenn bei der Frage, wie wir jetzt vorgehen, der Oster­lockdown einzig und allein eine wirklich positive Resonanz bei den Intensiv­medizinern gefunden hat, dann sehen Sie, wie groß dort die Sorge ist.“

Sie ruft die Bürger dazu auf, die angebotenen kostenlosen Corona-Tests stärker zu nutzen. Man ermögliche es, dass sich jeder mindestens einmal in der Woche testen lassen könne. Die besten Angebote nützten aber nichts, wenn sie nicht wahrgenommen würden.

Wenn in Schulen und Betrieben nur 30, 40 Prozent der Testmöglichkeiten genutzt würden, dann helfe das nicht. Und die Arbeitgeber müssten ihren Beschäftigten Testangebote machen: Wenn nicht, müsse es „regulatorische Maßnahmen“ geben. Testen sei die Brücke, bis die Impfquote hoch sei.

An allem will die Kanzlerin nicht schuld sein

So viel Schutt und Asche, wie sie auch am Vortag über sich ausgekübelt hat – an allem will sie nicht schuld sein. Für 40.000 Schulen und Tausende Kitas könne der Bund nicht von Berlin aus die Testinfrastruktur vorhalten, sagt sie.

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Die Landes­regierungen hätten versichert, dass für März und April ausreichend Tests bestellt seien. Wenn der Bund helfen könne, tue er das gern. „Aber wir können es nicht alles organisatorisch umsetzen.“ Und wenn Impftermine trotz vorhandenen Impfstoffs nicht vergeben würden, sei das nicht in Ordnung.

Gegen Ende ihrer Rede ballt sie die Fäuste und drückt dann ihre Handflächen gegeneinander wie zum Gebet und bittet um Mithilfe, Tausende weitere Tote durch Corona zu verhindern: „Und es werden jetzt nicht mehr 90-Jährige sein, die in den Krankenhäusern liegen. Es werden 50-, 60- und 70-Jährigen sein. Und das sind Menschen mit sehr vielen Jahren Lebens­erwartung.“

Warnung vor Tausenden Toten

10 Prozent der Erkrankten hätten laut Experten­einschätzung Corona-Langzeitfolgen. „Das heißt, es lohnt sich, um jeden zu kämpfen, dass er die Infektion nicht bekommt.“ Das sei die gemeinsame Aufgabe. „Mit möglichst viel Freiheit für jeden, mit möglichst viel Normalität für jeden. Aber auch mit möglichst viel Rücksicht darauf, dass nicht Tausende von Menschen noch sterben müssen.“

Und dann versucht sie noch Mut zu machen: „Man kann auch nichts erreichen, wenn man immer nur das Negative sieht.“ Es sei mit den Impfungen Licht am Ende des Tunnels sichtbar, auch wenn es noch einige Monate dauern werde. „Wir werden dieses Virus besiegen. Und deshalb bin ich ganz sicher, dass wir das schaffen werden.“

Die Kritik der Opposition

Der Vorsitzende der AfD-Fraktion, Alexander Gauland, geht als Vertreter der größten Oppositions­fraktion als Erster nach Merkel ans Rednerpult. Er kritisiert die Corona-Politik von Bund und Ländern scharf und findet: „Es hätte doch einem von Ihnen auffallen müssen, was Sie mit dem Oster­lockdown anrichten.“

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Links­fraktions­chefin Amira Mohamed Ali beklagt, dass Betroffene „meterlange Formulare“ für Über­brückungs­hilfen ausfüllen müssten, um einen Rettungsanker zu erhalten. „Werfen Sie ihn endlich“, ruft sie der Kanzlerin zu. Merkel habe es nicht geschafft, Hoffnung und Perspektive zu geben.

Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Katrin Göring-Eckardt, bietet der Bundesregierung ein gemeinschaftliches Vorgehen für einen „Wellenbrecher“, „die Notbremse“, an. Natürlich sei es ein Riesenfehler gewesen, dass die Minister­präsidenten­konferenz am 3. März den Lockdown ohne Schutzvorkehrungen gelockert habe. Jetzt müsse zusammen­gehalten und gemeinsam für Gesundheits­schutz und Freiheit in Deutschland gekämpft werden: „Mit Mut statt mit Wut.“

FDP-Fraktions­chef Christian Lindner verlangt mehr parlamentarische Demokratie. Merkel solle künftig vor jeder Minister­präsidenten­konferenz eine Regierungs­erklärung im Bundestag halten und sich einer anschließenden Debatte mit den Abgeordneten stellen.

Brinkhaus spricht von Staub und Wut

Unions­fraktions­chef Ralph Brinkhaus spricht wie immer frei und redet sich in Rage. Über die Bürokratie, über die Bremsen durch das föderale System. Die inneren Verwaltungs­abläufe funktionierten nicht schnell genug. „Das liegt nicht an den Menschen, die in der Verwaltung arbeiten“, ruft er. Es liege an dem Rahmen, den die Politik ihnen setze. Dann schimpft er: „Auf diesem Staatswesen liegt der Staub von 200 Jahren.“ Es brauche nicht nur eine Reform, es brauche eine Revolution.

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Ralph Brinkhaus (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, spricht im Bundestag nach der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Ralph Brinkhaus (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, spricht im Bundestag nach der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Und dann kommt er zum „schleichenden Gift“ in Deutschland, in der Bevölkerung, in den Medien, in der Politik. „Das Gift der Wut.“ Dies könne langfristig schlimmere Auswirkungen haben als die Pandemie, befürchtet er. Fehler würden hämisch und mit dem Vorwurf eines vorsätzlichen Versagens kritisiert. „Wo sind wir denn?“ Werde diese Fehlerkultur fortgesetzt, werde niemand mehr Fehler zugeben.

Man möchte einhaken und sagen: Doch, Merkel. Sie hat am Vortag die Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung dafür gebeten, dass Bund und Länder mit einem kurzen schärferen Lockdown über Ostern einen unausgegorenen Beschluss gefasst hatten. Der SPD-Fraktions­vorsitzende Rolf Mützenich zollt Merkel dafür Respekt. Es sagt, es gebe viel Häme und Besserwisserei. Entschuldigen würden sich die wenigsten.

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