„Wir können uns nicht zurückziehen“
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Sigmar Gabriel und Kommandeur TAAC North, Brigadegeneral Wolf-Juergen Stahl im Camp Marmal in Masar-e Scharif.
© Quelle: imago/photothek
Masar-i-Scharif. Eine Lichterkette rahmt den Innenhof des Feldlagers. In seiner Mitte ragt eine Lamettabehangene Tanne trotzig in die Höhe. Ein Trompeter in Tarnfleck spielt Weihnachtslieder auf dem einzigen Weihnachtsmarkt Afghanistans, und Sigmar Gabriel räsoniert mit einem Becher Glühwein in der Hand über Deutschlands neue Rolle in der Welt. „Wir können uns nicht zurückziehen“, mahnt Gabriel und dankt den etwa 300 versammelten Soldaten. Viele nicken.
Doch der geschäftsführende Außenminister ist an diesem Mittwoch nicht nach Afghanistan gereist, um den Soldaten die Weihnachtsgrüße der Bundesregierung zu übermitteln. Das tat bereits Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, als sie zu Wochenbeginn im Feldlager Marmal vorbeischaute und mit Soldaten Weihnachtslieder sang. Die zeitliche Nähe beider Ministerbesuche entspringe lediglich einem organisatorischen Zufall, heißt es. Gabriels Reise sei schon lange in Planung gewesen, der Zeitpunkt jetzt passend. Die Soldaten jedenfalls sind dankbar für die Aufmerksamkeit. „Und für die Abwechslung“, sagt einer und nippt an seinem Becher Kakao.
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Sigmar Gabriel trifft sich mit deutschen Soldatinnen und Soldaten auf dem Weihnachtsmarkt im Camp Marmal in Masar-e Scharif.
© Quelle: imago/photothek
Im kommenden Jahr stehen in Afghanistan Parlamentswahlen an, im Jahr darauf dann Präsidentschaftswahlen. Doch es gibt Probleme: Der Chef der Wahlkommission ist zurückgetreten, es hapert bei der Wählerregistrierung. Gabriel sichert den Afghanen die Unterstützung Deutschlands bei der Stabilisierung und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zu, knüpft dies jedoch an Bedingungen.
„Wir bitten darum, in den Reformbemühungen nicht nachzulassen“, sagt Gabriel nach einem Gespräch mit Afghanistans Präsidenten Aschraf Ghani. Der Minister mahnt mehr Einsatz im Kampf gegen Korruption, Kriminalität und Gewalt an. Er fordert mehr Anstrengungen für Recht und Frieden in dem von vier Jahrzehnten Krieg zerschundenen Land.
Die internationale Staatengemeinschaft mahnt Gabriel zu mehr Respekt gegenüber Afghanistan. Wie der Mann aus Goslar da am im Kabuler Präsidentenpalast am Fuße der Freitreppe steht, Hände gefaltet, strenger Blick, könnte man fast vergessen, dass Gabriels politische Zukunft mindestens ungewiss ist. Fünfeinhalbtausend Kilometer trennen ihn da von Berlin, den Nöten seiner Sozialdemokraten und die Querelen der Regierungsbildung. Vielleicht auch mehr.
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Sigmar Gabriel und der Präsident von Afghanistan Aschraf Ghani.
© Quelle: imago/photothek
Zum Klang einer Trompete kommt auf dem Soldatenweihnachtsmarkt einen Moment lang besinnliche Stimmung auf. Bis sie vom Dröhnen eines Kampfflugzeugs zerrissen wird.
Die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert sich. Provinzführer konkurrieren untereinander und auch mit der Zentralregierung in Kabul gewaltsam um Macht. Die Taliban kehren in befriedet geglaubte Gebiete zurück. Zudem nistet sich jetzt der lokale Ableger des „Islamischen Staates“ in einigen Landesteilen ein. Die Zahl getöteter Zivilisten bleibt unvermindert hoch. Und zunehmend geraten deutsche Streitkräfte und Regierungsvertreter ins Fadenkreuz der Aufständischen.
Im November 2016 attackierte ein Selbstmordattentäter mit seinem Auto das Gelände des Generalkonsulats in Masar-i-Scharif; sechs Menschen starben, 130 wurden verletzt. Im Mai dieses Jahres explodierte auf dem Gelände der deutschen Botschaft in Kabul ein mit Sprengstoff beladener Tanklastwagen. Hundert Passanten starben, es gab zahllose Verletzte. Die Schäden an Generalkonsulat und Botschaft sind bis heute nicht behoben. Beide Einrichtungen sind nicht arbeitsfähig. Deutsche Diplomatie scheint in Afghanistan in Trümmern zu liegen.
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Sigmar Gabriel am Flughafen in Kabul.
© Quelle: imago/photothek
Diesen Eindruck will Gabriel widerlegen. „Wir wollen eine voll arbeitsfähige Botschaft zurück in Kabul haben und damit zeigen, dass wir fest zur Stadt und zum ganzen Land stehen“, sagt er dem Präsidenten zu. Doch das dürfte dauern. In Masar-i-Scharif lässt sich Gabriel auf dem Feldlager die Baustelle zeigen, auf der ein neues Generalkonsulat errichtet wird. Ein staubiger Containerrohbau. Gabriel berührt eine der tragenden Stelen, sein Blick verrät Skepsis.
Zwar ist der Kampfeinsatz der internationalen Gemeinschaft seit dem Ende der Nato-geführten Isaf-Mission im Jahr 2014 offiziell beendet. Seither ist die Ausbildung und Beratung afghanischer Sicherheitskräfte die Hauptaufgabe der ausländischen Soldaten. Doch ohne Schützenhilfe geht das nicht. Ein Berater muss von etwa zehn Schutzkräften begleitet werden, wenn er afghanische Soldaten schult.
Die Bundeswehr ist derzeit mit 980 Soldaten im „Resolute Support“-Einsatz – zu wenig, um dem Auftrag zu entsprechen, finden die Soldaten. Findet auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Bei ihrem Besuch zu Wochenbeginn stellte von der Leyen eine Aufstockung der Truppe in Aussicht. Gabriel mag seine Sicht darauf nicht äußern. „Das muss der Bundestag entscheiden“, sagte er nur. Die Soldaten bitten trotzdem um Selfies.
Von Marina Kormbaki, RND