Wissings „Chefsache“: Was der Verkehrsminister mit der Bahn vorhat
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Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP, r.) mit Bahnchef Richard Lutz.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Es ist Juni 2022, als Bundesverkehrsminister Volker Wissing die Deutsche Bahn „zur Chefsache“ erklärt. Damit will der FDP-Politiker das Signal setzen, dass die Bahn ganz oben auf der Agenda steht.
Und das ist auch bitter nötig: 2022 war das Rekordjahr der Zugverspätungen. Sogenanntes Bahn-Bashing ist auf Twitter zum Volkssport geworden, der Ärger der Fahrgäste ist groß. Bei Wissing offenbar auch: Durchwursteln dürfe keine Option mehr sein, warnte der Liberale den Bahnvorstand im vergangenen Jahr.
Forderung: Gemeinwirtschaft statt Betriebswirtschaft
Was hat Wissing nun vor, um die Lage zu verbessern? Ein Teil seines Plans ist neben des Baus eines Hochleistungsnetzes die Umstrukturierung des Konzerns. Die Bahn ist eine bundeseigene Aktiengesellschaft, das soll sie auch bleiben. Große Einschnitte wird es trotzdem geben: So sollen Bahntochterunternehmen DB Netz und DB Station und Service zu einer „gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte“ zusammengelegt werden: Erstere ist zuständig für die Infrastruktur, letztere für die Bahnhöfe.
Damit will das Bundesverkehrsministerium den Betrieb vom Netz lösen. Aktuell liegt die Instandhaltung des Schienennetzes genau wie der Zugverkehr in der Verantwortung von „DB Netz“. Die Bahntochter finanziert die Modernisierung und den Ausbau unter anderem mit Trassenentgelten, die die Eisenbahnunternehmen für die Nutzung der Gleise zahlen.
Weil die AG wirtschaftlich arbeiten und Gewinne an den Mutterkonzern abführen muss, bleibt die Netzmodernisierung aus Sicht von Kritikerinnen und Kritikern aber aktuell auf der Strecke. Die jahrelange Unterfinanzierung seitens des Bundes half auch nicht. „Der Kosten-Nutzen-Faktor war über Jahre wichtiger als die Sicherung des Bahnnetzes für das Gemeinwohl“, sagt der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Karl-Peter Naumann, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Als Beispiel nennt der Verkehrsexperte Zugverbindungen nach Sylt. „Die zum Teil eingleisige Strecke vom Festland zur Insel Sylt ist im Sommer stark überlastet, während sie im Winter weit davon entfernt ist.“ Laut Naumann ist das Problem, dass die Bahn die Strecke betriebswirtschaftlich über das ganze Jahr betrachten müsse. Er drängt darauf, dass das Netz künftig gemeinwirtschaftlich statt betriebswirtschaftlich betrachtet werde.
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Leistungsstarke Schiene für alle
Die Ampel will mit ihren Plänen unter anderem erreichen, dass die Infrastruktureinheit ihre Einnahmen nicht mehr an den Mutterkonzern abgeben muss. Außerdem soll der Wettbewerb der Regierungskoalition zufolge belebt werden, indem die Trassenpreise infolge der Umstrukturierung womöglich sinken.
Der Güterbahnenverband, der auf eine starke Infrastruktur drängt, begrüßt das. Das Ziel müsse eine leistungsstarke Schiene für alle und nicht die Gewinnmaximierung beim Betrieb sein, sagt Vorstandsvorsitzender Ludolf Kerkeling dem RND. Sein Verband vertritt private Schienengüterunternehmen. „Gemeinwohlorientierung heißt aus unserer Sicht, dass die Infrastruktur so leistungsfähig gemacht wird, dass das politische Ziel der Verlagerung von Verkehren auf die umweltfreundliche Schiene erreicht werden kann.“
Fahrgastverband drängt Bund zum Durchgreifen
Bereits zum 1. Januar 2024 soll die Sparte, die aktuell unter dem Namen Infrago geplant wird, an den Start gehen. Unter Eisenbahnern wird Wissings straffer Zeitplan allerdings bereits infrage gestellt. Und das sind nicht die einzigen Schwierigkeiten.
Eine offene Frage ist etwa, welche Rechtsform die Sparte haben soll. Sie soll zwar „zu 100 Prozent im Eigentum der Deutschen Bahn“ verbleiben. Ob sie als GmbH oder Aktiengesellschaft eingetragen wird, ist momentan unklar. Das ist nicht trivial, immerhin will Wissing die „Steuerungsmöglichkeiten des Bundes als Eigentümer“ stärken. Das bedeutet: Er will mehr Macht über das Netz bekommen. Bei einer GmbH könnte der Bund stärker direkteren Einfluss üben als auf eine Aktiengesellschaft.
Der Fahrgastverband Pro Bahn sieht den Bund in der Verantwortung, mehr Druck auszuüben. Er dürfe sich nicht hinter der Bahn verstecken, sagt Naumann. „Der Bund kann Kontrolle über die Finanzen ausüben, auch wenn die Infrastruktur weiter im Eigentum der Bahn verbleibt. Da muss man den Bahnchef auch zum Rapport einladen.“
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Dresden: S-Bahn-Waggon zeigt seit Monaten falsches Fahrtziel an – Verwirrung bei Fahrgästen
Ein Waggon der Dresdner S‑Bahn zeigt bereits seit mehreren Monaten immer das Fahrtziel Halle an. Dabei ist die Stadt gar nicht Teil des Dresdner S‑Bahn-Netzes. Viele Fahrgäste sind verwirrt, während die Bahn weiter an einer Lösung arbeitet.
Größte Bahngewerkschaft ist skeptisch
Dass die größte Bahngewerkschaft, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), der Umstrukturierung skeptisch gegenüber steht, macht die Umbildung des Konzerns nicht leichter. Während der Koalitionsverhandlungen warnte sie bereits nervös vor einer „Zerschlagung“ des Konzerns. Und kürzlich gab sie mehrere Gutachten in Auftrag, wonach die Ampelpläne nicht zu den vom Ministerium verfolgten Ziele führen würden. So würden die Pläne auch keine wesentliche Verbesserung bei den Steuerungsmöglichkeiten des Bundes geben, heißt es in der Zusammenfassung der EVG, die dem RND vorliegt.
Das liegt laut Gutachten daran, dass der Bund keine endgültige Trennung von Infrastruktur und Verkehrsbereichen oder gar eine Privatisierung der Verkehrsbereiche anstrebt. Auch werde sich die wirtschaftliche Lage in der Infrastruktursparte nicht verändern, weil die Deutsche Bahn AG weiterhin Eigentümer der Infrastruktur sei.
Die Gewerkschafter dürften den Druck auf die SPD erhöhen, sie stehen den Sozialdemokraten traditionell nahe. Das Mammutprojekt muss aus Sicht der FDP erfolgreich sein. Wird sie nur eine Luftnummer, geht das vor allem auf Wissings Kappe. Als der Minister die Bahn zur Chefsache machte, zollte man ihm in Eisenbahnerkreisen Respekt dafür, aber man unkte auch, ob es ihm nicht auf die Füße fallen werde.