Wolfgang Schäuble über „Fridays for Future“: „Es ist gut, dass junge Leute Druck machen“
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Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat Zweifel am Tiefgang von Internet-Debatten und Youtube-Videos.
© Quelle: Janine Schmitz/photothek.net
Berlin. Wolfgang Schäuble trinkt den Kaffee schwarz. Keine Milch, keinen Zucker. Es ist ein Vormittag in einer sitzungsfreien Woche des Bundestags, wenige Tage vor der Europawahl. Schäuble war Kanzleramtsminister unter Kanzler Helmut Kohl, Innen- und Finanzminister unter Kanzlerin Angela Merkel. Seit 2017 ist er Bundestagspräsident. Geblieben ist der 76-Jährige so etwas wie der Grandseigneur der CDU. Aus seinem Büro im Reichstag geht der Blick Richtung Kanzleramt.
Herr Schäuble, am Sonntag wird in Europa gewählt. Entscheidet sich da das Schicksal Europas oder kann man auch etwas tiefer stapeln?
Schicksal ist ein großes Wort. Ja, die EU steckt in einer schwierigen Phase. Leider gibt es viele Kräfte, die nicht mehr auf das Zusammenwachsen Europas setzen – obwohl genau das für unsere Zukunft entscheidend ist. Ich hoffe zunächst auf eine höhere Wahlbeteiligung als bei früheren Europawahlen, denn die niedrige Beteiligung galt immer als Argument gegen die Legitimation des Europäischen Parlaments.
Grund für eine höhere Wahlbeteiligung könnte auch sein, dass die Rechtspopulisten ihre Anhänger besonders gut mobilisieren.
Ich halte es für undemokratisch, sich zu wünschen, dass diejenigen, deren Meinung man nicht teilt, nicht zur Wahl gehen. Außerdem gehen in der Regel die Anhänger extremer Parteien sowieso wählen, während die Gemäßigten motiviert werden müssen. Im Zweifel schadet also eine hohe Wahlbeteiligung den Extremen. Auch das zeigt der Brexit: Hätten mehr Leute abgestimmt, wären die Populisten überstimmt worden.
Wie erklären Sie sich die wachsende Faszination für Populismus und die Rückkehr des Nationalen?
Ich sehe es wie Barack Obama. Der hat in seiner Abschiedsrede gewarnt, dass die Demokratie riskiert, wer sie für allzu gesichert hält. Da wird manches so selbstverständlich, dass man darauf achten muss, nicht die nötige Wertschätzung und das Engagement dafür zu verlieren. Dazu kommt der rasante technische Fortschritt, der viele ängstigt. Jedes Unglück in aller Welt rückt nah an uns heran. Deshalb suchen Menschen Halt in etwas, das ihnen vertraut erscheint.
Und das führt zu diesem teils aggressiven Nationalismus?
Nicht zwangsläufig. Aber der Siegeszug des Internets, die sozialen Netzwerke, verändern den Ton und erschweren den Austausch von Meinungen, weil jeder in seiner Filterblase bleibt. Dadurch wird es schwer, zu Entscheidungen zu kommen. Das zeigen die Abstimmungen zum Brexit im britischen Parlament. Es findet sich eine Mehrheit GEGEN jede erdenkliche Lösung, aber keine FÜR eine Lösung. Wenn aber die Demokratie vor lauter Bedenken und Debatten nicht mehr zu Entscheidungen kommt, verliert sie ihre Legitimation – dann kommt der Ruf nach einem starken Mann.
Können Sie als Bundestagspräsident und Vertreter der älteren Generationen in dieser neuen Kommunikationswelt überhaupt noch durchdringen – und etwa der Twitter- und Youtube-Gemeinde vermitteln, dass die Europawahl wichtig ist?
Ich bin nicht der Beste, um in dieser Form das auszudrücken, was ich für wichtig halte. Ich glaube auch nicht, dass sich die Kompliziertheit der Welt in 280 Zeichen erfassen lässt. Es bleibt wichtig, dass man die Dinge in einem gewissen Zusammenhang formulieren kann – und dass man sie auch liest. Mich besorgt, wenn junge Menschen keine Bücher mehr am Stück lesen. Sie lesen Auszüge, sie wissen sehr viel und vielerlei. Aber sie lesen nicht mehr in Gänze. Ich fürchte aber, erst das befähigt zum selbstständigen Denken.
Sehen Sie ab und zu Videos auf Youtube?
Ich bin 76 Jahre alt, ein „Digital Immigrant“ und schlecht integriert.
Der Youtube-Star Rezo hat in einem Video die „Zerstörung der CDU“ beschworen. Er hat 600.000 Abonnenten, das Video ist mehrere Millionen Mal geklickt worden. Besorgt Sie das?
Niki Lauda ist gestorben, das haben bestimmt 150 Millionen Leute in Deutschland geklickt, obwohl wir nur 80 Millionen Einwohner haben.
Zurück zur EU: Die treibt bereits auseinander, in mehreren Ländern regieren Rechtspopulisten mit, in einigen werden Rechtsstaat und Pressefreiheit eingeschränkt.
Wir werden Europa nicht vom hohen Ross herab einen. Die schwierige Aufgabe ist, das Einhalten von gemeinsamen Regeln einzufordern, ohne den anderen zu maßregeln. „Besserwessis“ und „Jammerossis“, solche Vorurteile standen in den 1990er Jahren in Deutschland dem Zusammenwachsen im Weg, diesen Fehler müssen wir auf europäischer Ebene nicht wiederholen. Europa geht nicht ohne Solidarität. Aber die osteuropäischen Staaten sollen ihre Solidarität auf ihre Weise zeigen können und nicht, indem man sie zum Bespiel zwingt, proportional Flüchtlinge aufzunehmen.
Und was heißt das für den Umgang mit Viktor Orban, wenn der in Ungarn den Rechtsstaat nach seinen Vorstellungen abbaut?
Es ist die Frage nach Ursache und Wirkung. Was war zuerst da: die ungarische Ablehnung der EU oder die herablassende Behandlung der Ungarn? Das gilt auch für den Umgang mit Russland. Was heißt es, dass dort heute die Werte des Westens, auf die wir stolz sind und die auch attraktiv sind, so bestritten werden? Man kann sagen, das wurde in Osteuropa oder in Russland nicht verstanden. Man kann aber auch sagen, dass unsere Rolle in der Transformation nicht so glücklich war.
Muss einer der Europa-Spitzenkandidaten der Parteienfamilien EU-Kommissionspräsident werden? Dagegen haben mehrere Regierungen Skepsis angemeldet.
Festgeschrieben ist, dass der Kommissionspräsident von der Runde der Staats- und Regierungschefs unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Wahl zum Europäischen Parlament vorgeschlagen wird und anschließend von der Mehrheit des Parlaments gewählt werden muss. Dass ich als Christdemokrat Manfred Weber als Kandidat der EVP unterstütze, ist klar. Ich schätze ihn auch sehr. Ich mache aber auch keinen Hehl daraus, dass ich zum Beispiel auch Margrethe Vestager sehr schätze, mit der ich in ihrer Zeit als dänische Finanzministerin eng zusammengearbeitet und für deren Ernennung zur EU-Kommissarin ich mich seinerzeit stark gemacht habe. Und auch Frans Timmermans, zurzeit Vizepräsident der Kommission, ist ein herausragender Kandidat. Dass wir so starke Kandidaten haben, ist schon für sich ein gutes Zeichen.
In Österreich wurden die Rechtspopulisten im so genannten Ibiza-Skandal der Bestechlichkeit und Staatsverachtung überführt. Was ist die Lehre daraus für den Umgang der CDU mit der AfD?
Ich war fassungslos angesichts dieses Videos. Aber der österreichische Bundeskanzler hat die richtige Konsequenz gezogen. Die vorgezogene Neuwahl ist der richtige Schritt. Ganz unabhängig von dieser Entwicklung bin ich gegen jede Zusammenarbeit der CDU mit Parteien des rechten und des linken Rands. Das ist die einmütige Position von CDU und CSU.
Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen findet, man müsse vor allem fragen, wer hinter dem Video steckt.
Ich habe die Kompetenz von Herrn Maaßen immer sehr hoch geschätzt. Mir kommt bei dieser Affäre auch vieles komisch vor. Da steckt so viel Planung dahinter – das waren nicht ein paar Lausebengel oder eine Handvoll Hacker. Die Frage ist auch, was in den zwei Jahren seit dem Treffen in der Villa passiert ist und ob es zum Beispiel einen Erpressungsversuch gegeben hat. Aber das ändert nichts daran, dass Herr Strache gesagt hat, was er gesagt hat. Er hat ja auch nicht eine Sekunde versucht, das zu bestreiten.
Schauen wir nach Deutschland: Wird der Wahltag am Sonntag eigentlich zur Wende für die Koalition? Platzt sie womöglich?
Das ist reine Spekulation.
Wünschen Sie sich eine Fortsetzung der Regierung?
Das Grundgesetz sieht vor, dass die Wähler alle vier Jahre entscheiden. Der Wahlkampf 2017 war in Ordnung, die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl war hoch. Nun sollten die Politiker daraus vier Jahre lang vernünftige Politik machen.
Braucht es einen neuen Aufbruch nach der Wahl?
Solche Forderungen sind überzogen. Die fast ritualhaften Spekulationen über Neuwahlen und Personalwechsel führen zu Vertrauensverlust in Medien und staatliche Institutionen.
Junge Leute drängen seit Monaten mit Demonstrationen auf Entscheidungen in der Klimapolitik. Muss sich die Regierung stärker positionieren?
Es ist gut, dass junge Leute Druck machen. Das ist ein mutmachendes Zeichen und es kann für Bewegung sorgen. Wir brauchen Entscheidungen, in der Klimapolitik wie anderswo. Gründliche Debatten sind wichtig, aber irgendwann muss es einen Punkt geben. Deutschland hat sich in den 90er Jahren in Kyoto zu Klimazielen verpflichtet – Angela Merkel hatte damals als Umweltministerin ja eine führende Rolle. Es geht nicht, dass man Vereinbarungen trifft, und sie dann nicht erfüllt. Ich kann verstehen, dass junge Leute das nicht akzeptieren.
Was folgt daraus?
Alle sind sich einig, dass mehr getan werden muss. Dann muss man sich aber von der Haltung verabschieden, dass es niemanden belasten darf. Politische Führung bedeutet, auch Entscheidungen zu treffen, die Menschen in ihren persönlichen Entscheidungen einschränken oder belasten. Allen Wohl und niemand Weh, das ist Fasenacht beim MCC. Sie müssen den Menschen also sagen, dass der Verbrauch von fossilen Brennstoffen teurer wird. Ich bin sehr für marktwirtschaftliche Lösungen. Aber das heißt, das Kosten für die Umwelt eingepreist werden.
Muss man nochmal über die Atomkraft diskutieren?
Weltweit wird das getan. Und wird sollten ein bisschen vorsichtig sein, wenn wir meinen, wir müssten es anders machen als alle anderen. Aber ich weiß schon: Die Entscheidung, nach der Atomkatastrophe von Fukushima aus der Atomkraft auszusteigen, war zwingend in Deutschland.
Das Ende der Ära Merkel steht bevor. Wie lange dauert sie noch?
Bis 2021. Bis dahin ist sie gewählt, so hat sie es auch angekündigt. Sie ist von ihrem Grundsatz abgewichen, Kanzlerschaft und Parteivorsitz zusammenzuhalten. 2021 werden wir wissen, ob es geklappt hat. Und die Popularität von Angela Merkel steigt beständig und eine große Mehrheit der Bevölkerung will, dass sie Kanzlerin bleibt. Auch die CDU ist ganz zufrieden.
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Von Steven Geyer und Daniela Vates/RND