Xis Traum von der Supermacht

Unter Hammer und Sichel tagen die rund 2300 Delegierten der KP in Peking. Parteichef Xi Jinping hält eine 65-minütige Rede.

Unter Hammer und Sichel tagen die rund 2300 Delegierten der KP in Peking. Parteichef Xi Jinping hält eine 65-minütige Rede.

Peking. Der Begriff Kommunismus bringt Zhu zum Lachen. Seit mehr als 30 Jahren schuftet er auf Baustellen, schleppt Betonplatten, baut Straßen, Schienentrassen und Brücken. Zhu zeigt auf seine rechte Schulter. Sie hängt schief. Vor vier Jahren war er vom Gerüst gefallen, hatte sich die Rippen gebrochen. Die Knochen wuchsen schief zusammen. Krankengeld? Gab es nicht. Sobald er wieder auf den Füßen war, musste er wieder zurück auf den Bau.

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Derzeit gehört der 56-Jährige zu einem Bautrupp, der das Pekinger In-Viertel Sanlitun aufhübscht, zwei Straßenzüge mit Luxusgeschäften, Bars und Restaurants im wohlhabenden Ostteil der chinesischen Hauptstadt. Frauen in hochhackigen Lackschuhen flanieren auf den auch von Zhu zuvor gefertigten Gehwegen. „Wenn bunte Blumen vor dem Parteitag Kommunismus bedeuten, ja, dann haben wir ihn“, sagt Zhu. „Mir persönlich hat er aber nichts gebracht.“

Für den 19. Parteikongress der Kommunistischen Partei (KP), der am Mittwoch begann, hat sich Peking herausgeputzt. In der gesamten Innenstadt wurden großzügig Stauden gepflanzt, Kübel mit lilafarbenen und roten Blumen aufgestellt. Insgesamt 2287 Abgesandte aus allen Landesteilen sind nach Peking gekommen, um die Führung sowie die politischen Schwerpunkte der nächsten fünf Jahre zu bestimmen. Zugleich verschärfen die Behörden seit Wochen die Zensur. Mit dem verschlüsselten Textnachrichtendienst Whatsapp etwa konnte man zunächst keine Fotos mehr versenden und nicht mehr telefonieren. Seit Ende September sind auch keine Textnachrichten mehr möglich. Viele Internetseiten und soziale Medien, darunter Facebook, Google-Dienste und ausländische Medien wie die Internetseite der „New York Times“, sind in China ebenfalls gesperrt. Reporter ohne Grenzen zählt Chinas Präsident Xi Jinping zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit.

Mehr Superreiche als in New York im Arbeiter- und Bauernstaat

Seit nunmehr 68 Jahren regiert die KP das bevölkerungsreichste Land der Welt, das global die zweitgrößten Volkswirtschaft ist. Der einwöchige Parteitag legt die Politik der nächsten fünf Jahre fest. Offiziell definiert sich die Volksrepublik auch weiterhin als Arbeiter- und Bauernstaat. Zugleich zählt Peking die meisten Milliardäre der Welt mit mehr Superreichen als London oder New York.

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Während vor einem Luxuseinkaufszentrum in Sanlitun Ferraris, Bentleys und Teslas parken, werden auf einer großen digitalen Leinwand salutierende Soldaten der Volksbefreiungsarmee gezeigt, die den Errungenschaften der KP huldigen. Unter der Leinwand wiederum sitzt eine bettelnde Frau in zerschlissenen Klamotten mit ihrem behinderten Sohn und hofft, dass einer der aufgetakelten Passanten ein paar Yuan-Scheine für sie übrig hat. Kommunistische Parolen, Armut und glitzernder Raubtierkapitalismus – wie passt all das zusammen?

Delegierte, Zentralkommitèe, Politbüro: So funktioniert die KP in China.

Delegierte, Zentralkommitèe, Politbüro: So funktioniert die KP in China.

Ein Antwort hat Wang Yiwei. Der 45-Jährige ist Direktor des Zentrums für Europäische Studien an der renommierten Pekinger Renmin-Universität. Er hat sich intensiv mit der Entwicklung politischer Systeme in Europa, Nordamerika und der halben Welt beschäftigt. Trotz der vielen Daimlers, Audis und BMWs auf Pekings Straßen auf der einen und den vielen weitgehend mittellosen Wanderarbeitern auf der anderen Seite – er ist zutiefst überzeugt, dass sich sein Land weiter auf dem sozialistischen Pfad befindet. China habe den Kommunismus nur noch nicht erreicht. Das Ziel werde aber weiter verfolgt. Die vielen Luxuskarossen auf Pekings Straßen? Darin sieht er kein Problem. „Schließlich muss erst einmal ein gewisser Wohlstand geschaffen werden, um überhaupt umverteilen zu können.“

Armut hat abgenommen – wenn auch nur moderat

Tatsächlich hat in China die Armut abgenommen. Die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze lebten, lag in China 1981 noch bei über 800 Millionen. Derzeit müssen rund 43 Millionen mit weniger als 1,20 Dollar am Tag auskommen und gelten als absolut arm. Bis 2021, dem 100. Geburtstag der KP, soll es niemanden mehr geben, der in China noch hungert, lautet das Ziel.

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Zugleich steigen die Löhne weiter kräftig, die Mittelklasse wächst, die Vermögen ebenso – Letzteres um das sechsfache in den vergangenen sieben Jahren. Chinas KP hat Schlüsseltechnologien definiert, die mit Milliarden gezielt gefördert werden: Raumfahrt, Elektromobilität, Flugzeugindustrie, Digitaltechnologie. Planwirtschaft wie aus dem Bilderbuch – nur dass diese Industrien in Chinas anders als einst in den realsozialistischen Ländern des Ostblocks technisch auf dem modernsten Stand sind und weltweit konkurrenzfähig.

Xis große Rede: „Unser Problem ist, dass unsere Entwicklung unausgewogenen und unangemessenen ist.“

Zum Auftakt des Parteikongresses in Peking rief Präsident Xi am Mittwoch zu verstärkten Anstrengungen auf, um Wohlstand zu schaffen und dem „Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära“ zum Erfolg zu verhelfen. Die Streitkräfte sollen modernisiert und zu einem Militär von „Weltklasse“ ausgebaut werden. „Der Wiederaufstieg der Nation ist der größte Traum des chinesischen Volkes“, sagte der Parteichef vor goldenem Hammer und Sichel neben roten Fahnen in der Großen Halle des Volkes. Während Xi die Fortschritte im Land hervorhob, wies er auch auf „Unzulänglichkeiten in unserer Arbeit“ und „akute Probleme“ hin. „Unser Problem ist, dass unsere Entwicklung unausgewogenen und unangemessenen ist.“ Er bekräftigte frühere Beschlüsse, dass der Markt eine „entscheidende Rolle“ spielen solle, hob aber im gleichen Satz hervor, dass der Staat „seine Rolle besser spielen muss“.

Unter den Augen von Staatsgründer Mao Tsetung warten Sicherheitskräfte

Unter den Augen von Staatsgründer Mao Tsetung warten Sicherheitskräfte

Die zahlreichen internationalen Unternehmen, die in den vergangenen 30 Jahren massiv in China investiert und dank des Geschäfts mit der Volksrepublik riesige Profite erwirtschaftet haben, leiden unter dem wieder zunehmenden Einfluss der KP. So schreibt sie vor, dass Parteisekretäre in Privatunternehmen künftig wieder stärker das Sagen haben. Auch ausländische Unternehmen, die in China tätig sind, müssen Parteizellen einrichten. „Xi will den Zugriff auf ökonomische Stellschrauben behalten, weil sie ein Machtfaktor sind“, sagt Akio Takahara, Politologe und China-Experte an der University of Tokyo.

„Wir erfüllen euch euren Traum, den chinesischen Traum.“

Spätestens 2049, zum 100. Gründungsjubiläum der Volksrepublik, so heißt es in dem Werk über Xis Ziele, soll es China zur politischen, militärischen und wirtschaftlichen Supermacht geschafft haben. Dafür würde Vater Staat schon sorgen, getreu dem Motto, das Xi schon vor fünf Jahren kurz nach Amtsantritt ausgerufen hatte: „Wir erfüllen euch euren Traum, den chinesischen Traum.“

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Um die moderne pluralistische chinesische Gesellschaft auch in der Partei widerzuspiegeln, hatte die Führung vor gut zehn Jahren die Partei geöffnet, für Akademiker, Privatunternehmer, Millionäre und Großgrundbesitzer. Diese machen nun weit mehr als die Hälfte aus. Der Anteil der Bauern und Arbeiter ging beständig zurück und liegt offiziellen Zahlen zufolge nun bei nur noch ein Drittel.

Die Merics-Studie stellt denn auch fest, dass die meisten Parteikader nicht aus Überzeugung, sondern aus Karrieregründen der Partei beigetreten sind. Zu den Parteisitzungen würden sie nur unregelmäßig erscheinen. Gegenüber ideologischen Vorgaben der Parteizentrale zeigten sie sich oft gleichgültig. Viel wichtiger seien für sie die Beziehungsnetze, „die sich in Chinas Verwaltung und Wirtschaft für Parteimitglieder erschließen“.

Kritiker werden unterdrückt

Der Hongkonger Politologe Willy Lam sieht in dem kommunistischen Anstrich der Staatsführung um Präsident Xi vor allem ein Instrument zum Machterhalt. Lam bezeichnet Chinas KP als eine autoritäre Organisation im leninistischen Stile, die ihre Bürger in Schach hält und Kritiker unterdrückt. Wer sich ihr widersetzt, dem drohe die Verhaftung.

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Tatsächlich hat der 64-jährige Xi seit seinem Amtsantritt auf dem Parteitag vor fünf Jahren die Macht so entschlossen und rücksichtslos auf seine Person konzentriert wie kaum einer seiner Vorgänger. Seine Rivalen hat er allesamt unter dem Vorwurf der Korruption in Haft setzen lassen, Widerspruch duldet er nicht. Der Parteitag soll auch dazu dienen, die Macht weiter zu konzentrieren. In seiner vielfach von Beifall unterbrochenen Rede schwor Xi Jinping am Mittwoch die Partei auf eine Linie ein. Sowohl China als auch die Welt steckten „in tiefgreifenden und komplizierten Veränderungen“. Alle Genossen müssen entschieden gegen alles angehen, was die Partei „untergräbt“. Manche Beobachter vergleichen Xis Machtfülle bereits mit der von Mao Tsetung.

Rund 2300 Delegierte der KP in Peking tagen noch bis Mittwoch nächster Woche.

Rund 2300 Delegierte der KP in Peking tagen noch bis Mittwoch nächster Woche.

Nach der Schreckensherrschaft unter Mao, Chinas starkem Mann zwischen 1949 und 1976, hatten seiner Nachfolger die kollektive Herrschaft festgelegt. Jeder sollte sich bei seinen Entscheidungen mit anderen Parteigrößen absprechen müssen, so der Gedanke. Doch jetzt wird China wieder autokratischer.

Formell wird Xi auf dem 19. Parteitag nur für weitere fünf Jahre im Amt als Generalsekretär bestätigt. Neu besetzt werden jedoch sowohl das Politbüro mit seinem mächtigen, zur Zeit siebenköpfigen Ständigen Ausschuss, als auch mehr als die Hälfte des 200-köpfigen Zentralkomitees. Das war bisher noch durchsetzt mit dem Personal, das unter der Führung von Xis Vorgänger Hu Jintao auf seine Posten gekommen war. Aus dieser Ecke hatte der Präsident zuletzt noch am meisten Widerspruch erfahren. Nun will Xi die meisten Posten mit seinen Gefolgsleuten besetzen. Außerdem wird er womöglich den Ständigen Ausschuss auf fünf Mitglieder reduzieren – und damit die Konzentration der Macht noch deutlicher machen.

Bereitet Xi eine dritte Amtszeit vor?

Zudem war es bislang üblich, dass ein Parteichef spätestens nach fünf Jahren im Amt damit beginnen würde, einen Nachfolger aufzubauen. Doch auch das hat Xi bislang unterlassen. Ein potenzieller Nachfolger nach dem anderen ist seinen Säuberungskampagnen zum Opfer gefallen, zuletzt der 55-jährige Hoffnungsträger Sun Zhengcai, Chef der Stadt Chongqing, einer Wirtschaftsmetropole mit hohem Wachstum. Mitte Juli stürmten Agenten der Disziplinarkommission der Partei seine Villa und verhafteten ihn – auch ihm wird Korruption vorgeworfen.

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Beobachter rätseln, ob Xi sich gar länger als die erlaubten zwei Amtszeiten an der Macht halten könnte und auch formell mit dieser Regelung aufräumt. Bis nächsten Mittwoch werden die Delegierten das ideologische Erbe von Xi Jinping in der Parteiverfassung festschreiben. Der Parteichef sprach selbst vom „Gedankengut über den Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära“, das auf bisherige Leitlinien seiner Vorgänger aufbaue. Die Frage ist jetzt, ob auch sein Name daneben in die Statuten aufgenommen wird. Dann würde Xi Jinping auf die gleiche historische Stufe wie der Staatsgründer Mao und der wirtschaftliche Reformarchitekt Deng Xiaoping gehoben. Auch dafür wird in dieser Woche der Grundstein gelegt.

Von Felix Lee / RND

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