Ziel Deutschland: Flüchtlinge fliehen vor Obdachlosigkeit und Armut in Griechenland
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ENC54G6V6BDORASIER42L3U6BU.jpg)
In Griechenland landen Flüchtlinge oftmals auf der Straße. Vor der Armut fliehen einige von ihnen nach Deutschland (Archivbild).
© Quelle: Yorgos Karahalis/AP/dpa
Athen. Vergangene Woche landeten 197 Flüchtlinge aus Griechenland in Hannover. Seit die Bundesregierung vor einem Jahr die Aufnahme von Kindern und besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen aus Griechenland beschloss, wurden bereits 2151 Menschen nach Deutschland ausgeflogen.
Aber in Wirklichkeit ist die Zahl der Migranten, die aus Griechenland nach Deutschland kommen, sehr viel größer. Nach einem Bericht der „Welt am Sonntag“ (WamS) lassen sich Monat für Monat rund 1000 Menschen, die in Griechenland als Flüchtlinge anerkannt sind, in der Bundesrepublik nieder. Die deutschen Behörden sind ziemlich machtlos.
Die „WamS“ nennt Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), wonach allein im Januar und Februar dieses Jahres etwa 2100 Personen Asylanträge in Deutschland gestellt haben, obwohl sie bereits in Griechenland Asyl oder einen subsidiären Schutzstatus erhalten haben. Subsidiären Schutz kann bekommen, wer zwar nicht als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention gilt, bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland aber in ernster Gefahr wäre.
In Griechenland werden die Flüchtlinge auf die Straße gesetzt
Hintergrund der Weiterwanderung sind die katastrophalen Lebensbedingungen vieler Migranten in Griechenland. Sie sind weitgehend sich selbst überlassen, sobald sie als Flüchtlinge anerkannt sind. Das von der Europäischen Union finanzierte Programm „Filoxenia“, das Unterkünfte für anerkannte Asylanten in 79 eigens angemieteten Hotels und Pensionen vorsah, ist zum Jahresbeginn ausgelaufen. Im Rahmen des Programms hatten vergangenes Jahr bis zu 7000 Flüchtlinge Unterkünfte gefunden.
Tausende Menschen stehen deshalb vor der Obdachlosigkeit, warnt die Nichtregierungsorganisation International Rescue Committee (IRC). „Die Anerkennung als Flüchtling ist häufig nicht das Ende der Sorgen für Schutzsuchende, sondern deren Fortsetzung“, sagt Dimitra Kalogeropoulou, Griechenland-Direktorin beim IRC. „Viele anerkannte Flüchtlinge verlieren mit dem Asylbescheid ihre Unterkunft und die bis dahin gewährten Bargeldhilfen.“
Es gibt zwar das von der EU mitfinanzierte und von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) organisierte Programm „Helios“, das Mietzuschüsse, Sprach- und Integrationskurse vorsieht. Doch die Mietzuschüsse kann man erst beantragen, wenn man eine Wohnung gemietet hat. Und die findet in der Praxis nur, wer einen festen Job hat. Das ist für Flüchtlinge nahezu aussichtslos in einem Land mit 16 Prozent Arbeitslosigkeit.
Reise nach Deutschland ist legal möglich
Viele versuchen deshalb, in andere EU-Staaten zu gelangen. Das ist legal möglich, denn mit der Anerkennung als Flüchtlinge oder subsidiär Schutzbedürftige bekommen sie Papiere, die Reisen innerhalb der EU ermöglichen. Diese Ausweise berechtigen zwar nur zu einem dreimonatigen Aufenthalt und nicht zur Niederlassung. Aber überprüfen lässt sich das kaum, wenn die Menschen erst einmal im Land sind. Mit einer Rückführung müssen sie praktisch nicht rechnen. Als das Bamf kürzlich zwei anerkannte Flüchtlinge nach Griechenland zurückbringen wollte, entschied das Oberverwaltungsgericht Münster gegen die Abschiebung, weil die Lebensbedingungen für die beiden Männer dort menschenunwürdig seien.
Der griechischen Regierung dürfte die Weiterwanderung nicht unwillkommen sein. Viele Beobachter meinen, sie sei sogar gewollt. Griechenland beherbergt etwa 80.000 Migranten. Das Land leidet immer noch unter den Folgen der zehnjährigen Finanzkrise. Die chronisch hohe Arbeitslosigkeit erschwert eine Integration.
Der Binnenmigrationsdruck aus Griechenland dürfte weiter wachsen, wenn die Corona-Reisebeschränkungen in den nächsten Monaten gelockert werden. Überdies beschleunigt Griechenland die Asylverfahren. Im vergangenen Jahr gewährte das Land 34.325 Menschen Asyl oder subsidiären Schutzstatus. Gegenwärtig werden pro Monat etwa 4500 Asylverfahren abgeschlossen. Vier von zehn Antragstellern können mit Anerkennung rechnen.