Zweite Amtszeit für den ältesten Präsidenten der USA?

Joe Biden, ein Truthahn und die Frage nach der Zukunft

US-Präsident Joe Biden bei der Begnadigung von Truthahn Chocolate, daneben Ronald Parker, Vorsitzender der National Turkey Federation.

US-Präsident Joe Biden bei der Begnadigung von Truthahn Chocolate, daneben Ronald Parker, Vorsitzender der National Turkey Federation.

Washington. Eigentlich ist es ein ebenso altes wie albernes Ritual, das sich jährlich im November vor dem Weißen Haus ereignet: Der Präsident der Vereinigten Staaten begnadigt einen Truthahn, der am bevorstehenden Thanksgiving-Fest nicht geschlachtet wird und gemeinsam mit seinem oder ihrem Partner den Lebensabend auf einer Farm oder einem Universitätscampus verbringen darf. Doch es lag nicht nur am herrlichen Herbstwetter, dass die Veranstaltung an diesem Montag eine besondere Beachtung fand.

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Präsident Joe Biden sparte in seiner launigen Rede nicht mit Anspielungen auf die aktuelle politische Lage. Bei den Zwischenwahlen habe es kein „ballot stuffing“ gegeben, betonte er. Wörtlich bedeutet das „Wahlfälschung“, auch wenn die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner beim „stuffing“ derzeit eher an die mit Kräutern, Zwiebeln, Äpfeln und Kastanien vermengten Brotstücke denken dürften, die sie in ihren Truthahn stopfen. „Die einzige rote Welle in diesem Jahr wird es geben, wenn mein Schäferhund Commander die Cranberrysoße auf dem Tisch umstößt“, kalauerte Biden in Anspielung auf den ausgebliebenen Midterm-Erfolg der Republikaner, deren Parteifarbe das Rot ist.

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„Ich weiß, dass ich begnadigt bin“

Unausgesprochen schwebte über der Veranstaltung auch die Frage nach dem weiteren politischen Schicksal des Redners selbst. Biden ist am Sonntag 80 Jahre alt geworden und damit der älteste Präsident in der Geschichte der USA. Würde er 2024 noch einmal antreten, wäre er fast ein Jahrzehnt älter als der bisherige Rekordhalter Ronald Reagan, der bei der Vereidigung nach seiner Wiederwahl 73 Jahre alt war.

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Der Auftritt mit den Truthähnen Chocolate und Chip schien wie gemacht, um Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Präsidenten zu zerstreuen. Demonstrativ dynamisch joggte dieser die letzten Schritte bis zum Podium auf dem Rasen, während oben vom Balkon des Weißen Hauses der Schäferhund Commander bellte. Biden hielt eine kurzweilige Rede und verstolperte sich auch beim anschließenden Geplauder mit dem Truthahnzüchter nicht. „Chocolate, du bist begnadigt“, sagte er zu dem Federvieh und scherzte: „Der denkt sich: Das musst du nicht sagen. Ich weiß, dass ich begnadigt bin.“

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Wer will, kann daraus eine Anspielung auf den Ausgang der Zwischenwahlen herauslesen. Wären die Demokraten wie erwartet brutal abgestürzt, würde jetzt eine lautstarke Debatte über eine erneute Biden-Kandidatur in Washington toben, und potentielle innerparteiliche Kandidaten und Kandidatinnen für einen Generationenwechsel brächten sich in Stellung. Doch die Katastrophe ist ausgeblieben. Biden hat zumindest Zeit gewonnen.

Selten hat man den Präsidenten so gelöst und regelrecht befreit gesehen wie bei dieser Truthahnzeremonie. Biden redete frei, er ulkte, er strahlte. Nach dem offiziellen Auftritt ging er auf das geladene Publikum zu und schüttelte fast eine halbe Stunde lang Hände, plauderte ein paar Worte und posierte für Selfies. Das gehört für amerikanische Politiker und Politikerinnen irgendwie zum Ritual. Aber Biden wirkte dieses Mal geradezu beschwingt. Der mächtigste Mann der Welt schien mit sich im Reinen.

09.11.2022, USA, Palm Beach: Der ehemalige Präsident Donald Trump spricht am Wahltag im Mar-a-Lago zu Unterstützern. Foto: Andrew Harnik/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Was jetzt, Donald?

Das miserable Abschneiden seiner extremen Kandidaten bei den Zwischenwahlen hat den Nimbus von Donald Trump als Königsmacher beschädigt. Bei den Republikanern gibt es erste Absetzbewegungen. Doch ohne Rücksicht auf seine Partei will der Ex-Präsident am Dienstag seine erneute Bewerbung fürs Weiße Haus verkünden.

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Kolumbien statt Kambodscha

Das ändert natürlich weder etwas an seinem biologischen Alter noch an den mageren Popularitätswerten oder den gelegentlichen Aussetzern. Durch eine Arthritis in der Wirbelsäule wirkt Bidens Gang oft steif. Seine durch ein frühes Stottern verstärkten Versprecher scheinen zugenommen zu haben. Bei seiner jüngsten Asien-Reise sprach er irrtümlich von Kolumbien statt von Kambodscha und schien, einmal die ukrainische Stadt Cherson mit dem irakischen Falludscha zu verwechseln.

Bei einer Umfrage des Senders CNN sprachen sich Anfang des Monats zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler dafür aus, dass Biden sich nicht um eine zweite Amtszeit bewerben solle. Doch ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin ist nicht in Sicht. Die blasse Vizepräsidentin Kamala Harris hat in ihrem Amt kaum Spuren hinterlassen. Viele Demokraten bezweifeln, dass sie eine Wahl gewinnen würde. Gleichzeitig könnte eine mögliche Trump-Kandidatur den Ehrgeiz von Biden, noch einmal anzutreten, befeuern: Immerhin ist er der einzige Politiker, der den Rechtspopulisten bislang besiegt hat.

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Am Dienstag brach Biden zu der Atlantikinsel Nantucket auf. Dort wird er traditionsgemäß mit seiner Familie das Thanksgiving-Fest am Donnerstag begehen. Wahrscheinlich zwischen Thanksgiving und Weihnachten wolle er über seine politische Zukunft entscheiden, hat er kürzlich angedeutet. Gut möglich, dass ihm beim festlichen Truthahnessen eine weitere Federviehmetapher einfällt: Sollte er Anfang des nächsten Jahres den Verzicht auf eine zweite Amtszeit verkünden, wäre er in der amerikanischen Politsprache fortan ein „lame duck“ – eine lahme Ente.

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