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Emotionaler Appell von Marlene Lufen: „Sorge, dass der Lockdown das Falscheste war“

TV-Moderatorin Marlene Lufen.

TV-Moderatorin Marlene Lufen.

Moderatorin Marlene Lufen (50, Sat.1-Frühstücksfernsehen) äußert sich in einem emotionalen, 14 Minuten langen Video auf Instagram zum Corona-Lockdown und der Situation bestimmter Gruppen während der Pandemie. Sie spricht über psychisch kranke Menschen, Opfer von häuslicher Gewalt und dabei speziell Kinder. „Wir sollten die Nebenwirkungen genau berechnen und kennen, wenn wir entscheiden, ob die Verlängerung des Lockdown tatsächlich die beste Wahl im Kampf um unsere Gesundheit ist“, appelliert Lufen an ihre Follower.

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„Ich habe diese große Sorge und die macht mich so fertig, dass ich schon seit langer Zeit nicht mehr gut schlafe. Ich habe das Gefühl, dass wir in zwei, drei Jahren zurückgucken auf diese Zeit und dass wir denken, wir haben es falsch gemacht. Dass dieser Lockdown das Falscheste war, was wir hätten machen können. Zumindest über so einen langen Zeitraum“, sagt Lufen zu Beginn des Videos, das seit Sonntag bereits mehr als neun Millionen Mal (Stand: 3. Februar 21) aufgerufen wurde.

Marlene Lufen beruft sich auf Zahlen – zum Teil verknappte Darstellung

Denn auch in einer Pandemie hätten Menschen Depressionen, hätten Menschen eine Suchterkrankung, Herz-Kreislauf-Probleme, müssten Therapien bekommen, erlebten Gewalt in der Familie und hätten andere Probleme, die ebenfalls zum Tod führen. „Und das alles wird im Moment zu wenig in Betracht gezogen“, so die 50-Jährige. Was sie besonders frustriert: Die Zahlen der Infizierten und Toten würden nicht ins Verhältnis gestellt mit den Problemen, die mit dem Lockdown einhergingen.

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Sie habe in den vergangenen Tagen mit vielen Einrichtungen gesprochen, die sich um Betroffene etwa von psychischen Erkrankungen, häuslicher Gewalt oder Gewalt gegen Kinder kümmern, die Reaktion sei immer die selbe gewesen: „Für unsere Patienten ist die Situation eine Katastrophe“, habe man ihr erzählt. Dann nennt Lufen einige Zahlen, die das belegen sollen, doch offenbar nicht in allen Fällen vollständig stimmen oder nur verknappt von ihr dargestellt werden. Ein Überblick mit Einordnung:

  • 23 Prozent mehr Fälle von Gewalt an Kindern habe es in der Gewaltambulanz der Charité in Berlin im ersten Halbjahr 2020 gegeben, so Lufen. Das ist eine sehr verknappte Darstellung: In einer Pressemitteilung des Senatsverwaltung für Justiz, die auch Zahlen für die Gewaltambulanz veröffentlicht, heißt es, dass während die Fälle von Kindesmisshandlungen 2020 im ersten Halbjahr tatsächlich um 23 Prozent gestiegen seien im Vergleich zu 2019, die Sexualdelikte dafür um 32 Prozent zurückgegangen seien. Insgesamt seien die gemeldeten Fallzahlen während des ersten Lockdowns ab März zurückgegangen und nach den Lockerungen wieder gestiegen, was Saskia S. Etzold von der Gewaltschutzambulanz in der Mitteilung unter anderem so erklärt: „Während des Lockdowns fiel (...) die soziale Kontrolle der Kinder (zum Beispiel durch Tagesmütter, Kitas, Schulen etc.) weg, durch die in der Regel die Fälle von Kindesmisshandlung bemerkt werden, dieses änderte sich mit den Lockerungen Ende Mai/Anfang Juni ebenfalls, sodass wir auch hier einen klaren Anstieg der Fallzahlen verzeichneten.“
  • 461.000 Kinder hätten im Jahr 2020 die „Nummer gegen Kummer“ gewählt, die Onlineberatung habe einen Zuwachs von 31 Prozent zum Vorjahr gehabt, gibt Lufen weiter an. Das bestätigt die „Nummer gegen Kummer“ dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) so: Tatsächlich haben 2020 demnach mehr als 461.000 Kinder und Jugendliche die Telefon- und Onlineberatung der „Nummer gegen Kummer“ und 33.380 Eltern das Elterntelefon in Anspruch genommen – auch wenn sich nicht aus jedem Kontakt eine Beratung ergeben habe. Das Anrufaufkommen am Kinder- und Jugendtelefon sowie auch die Anzahl der Beratungen aber bewegten sich laut „Nummer gegen Kummer“ im vergangenen Jahr ungefähr auf dem hohen Vorjahresniveau. So wurden 2020 97.046 Beratungen geführt, das waren 2 Prozent weniger als 2019 (99.229 Beratungen). Eine deutliche Steigerung zum Vorjahr hingegen wurde demnach in der Onlineberatung für Kinder und Jugendliche festgestellt: Hier wurden 2020 insgesamt 13.698 Beratungen geführt – 31 Prozent mehr als im Vorjahr (10.428 Beratungen).
  • Die „Jugend-Notmail“ und die „Online-Jugend- und Elternberatung“ habe Steigerungen seit März 2020 um zeitweise 50 Prozent verzeichnet. Das stimmt nur bedingt: So teilt die „Jugend-Notmail“ auf ihrer Website in einer Pressemitteilung vom 1. Februar mit, dass im vergangen Jahr zwischen Ratsuchenden und Beratenden mehr als 15.000 Nachrichten bei der Onlineberatung „Jugend-Notmail“ ausgetauscht worden seien. Das sei eine Steigerung um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Außerdem seien in 2020 mehr als 2750 Einzelberatungen durchgeführt worden, heißt es weiter. „Das sind rund 20 Prozent mehr als im Vorjahr“, so die Onlineberatung.
  • Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ habe seit April 2020 einen Anstieg an Beratungen von 15 bis 20 Prozent verzeichnet, führt Lufen außerdem an. In einer Pressemitteilung des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ wird Leiterin Petra Söchting ebenfalls mit dieser Aussage zitiert: Die Anzahl der Beratungen ist demnach seit April tatsächlich um rund 20 Prozent gestiegen.
  • 74 Prozent der an Depressionen Erkrankten hätten in einer Befragung angegeben, durch den Lockdown extrem belastet zu sein, meint Lufen. Das stimmt: In einer Pressemitteilung der Deutschen Depressionshilfe heißt es, dass Menschen mit Depression deutlich stärker von den Folgen der Corona-Maßnahmen betroffen seien als die Allgemeinbevölkerung: Depressiv Erkrankte hatten demnach aber nicht mehr Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken als die Allgemeinbevölkerung (43 Prozent versus 42 Prozent). Der Lockdown wurde jedoch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung als belastender erlebt (74 Prozent versus 59 Prozent).

„Seit zehn Monaten sitzt meine Mama alleine zu Hause“

Marlene Lufen erzählt auch von ihrer Mutter: „Seit zehn Monaten sitzt meine Mama alleine zu Hause und denkt, dass es so sein muss und dass es auch das einzig Richtige ist“, so Lufen. „Und ich bemerke eine ganz dramatische Situation. Ich weiß wirklich nicht, ob es das Richtige ist für allein lebende, alte Menschen.“

Sie spricht auch von Menschen, die aufgrund des Lockdowns ihre Existenzen verlieren, „alle, die psychische, seelische Not erleiden. Wir müssen überlegen, ob der Lockdown wirklich das Richtige ist. Mein Eindruck ist, dass das, was drumherum passiert, durch den Lockdown, so schlimm ist, dass ich nicht weiß, ob wir damit nicht anders umgehen sollten.“ Etwa, indem statt eines Lockdowns noch mehr Geld in den gezielten Schutz von Pflegeheimen investiert werde.

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Marlene Lufen beendet ihr Video mit den Worten: „Jedes Mal, wenn in den Nachrichten oder sonstwo jemand sagt, ‚Wir müssen noch mal die Zähne zusammenbeißen, dann ist es auch durchgestanden mit der Pandemie‘, hat irgendein Kind zu Hause von seinem Vater die Faust im Gesicht, wird irgendeine Frau geschlagen, überlegt irgendein Jugendlicher in psychischer Not, ob er sich vielleicht von der Brücke stürzt. Und das müssen wir wissen, wenn wir einfordern: ‚Einfach mal die Zähne zusammenbeißen‘.“

Kritik an Lufens Aussagen

Neben viel Unterstützung bekommt Lufen für dieses millionenfach angesehene Video auch Gegenwind: Unter anderem macht Moritz Wächter, Mitglied beim Bündnis 90/Die Grünen und Mitarbeiter von Alexandra Geese, Mitarbeiter des Europäischen Parlaments, auf Twitter darauf aufmerksam, dass er Lufens Video für „gefährlich“ hält.

Er schreibt unter anderem: „Marlene Lufen hätte sich anschauen können, was andere Länder getan haben. Wie Schweden versagt hat. Wie Großbritannien versagt hat. Wie alle Länder auf die Nase geflogen sind, die zu langsam zu wenige Maßnahmen ergriffen haben. Hat sie aber nicht.“ Eine andere Userin kritisiert auf Twitter die Instrumentalisierung psychologischer Erkrankungen.

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Viele stellen sich hinter die Maßnahmen der Bundesregierung und gegen die Einordnung Lufens. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnte zuletzt eine Lockerung des Lockdowns ab. Sie bat in der ARD-Sendung „Farbe bekennen“ am vergangenen Dienstag alle Menschen, „noch eine Weile durchzuhalten“ . Zwar gebe es jetzt bundesweit eine Inzidenz von unter 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. „Das ist eine gute Leistung, da waren wir lange nicht. Aber damit haben wir noch nicht wieder die Kontrolle über das Virus durch die Gesundheitsämter.“

RND/seb/hsc/mit dpa

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