Little Richard stirbt mit 87 Jahren: Mister Hurrikan ist tot – Ein Nachruf
“A wop bop a loo bop a lop bam boom!” Es sollte nach Trommeln klingen und war doch ein Zauberspruch, Zauberruf, Zauberschrei. Die wilden Silben warfen die Jugendlichen Amerikas und bald der ganzen Welt auf die Tanzfläche. Hoch mit dem Hintern – alle Jungs mit den geölten Entenschwanzfrisuren, alle Mädels in den bunten Petticoats tanzten 1955 dazu wie die Sprungteufel. Elvis Presley läutete mit dem Song “Tutti Frutti” sein erstes Album für die große Plattenfirma RCA ein, der Schwiegersohn-Rocker Pat Boone brachte eine relativ zahme Version für die weiße Mittelklasse, die bei Nennung des Wortes Rock ’n’ Roll noch zu den Waffen griff. Das Original aber, die wirklich wüste Urversion von “Tutti Frutti”, stammte von einem schwarzen jungen Musiker aus Georgia – von Little Richard.
“Little” Richard Wayne Penniman, der heute im Alter von 87 Jahren starb, wie sein Adoptivsohn Danny Penniman dem Musikmagazin “Rolling Stone” erzählte, war 22 Jahre alt, als er am 14. September 1955 das Studio seiner neuen Plattenfirma Specialty Records in New Orleans betrat. Eine erste Session hatte tags zuvor keinen erkennbaren Hit für den Pianisten abgeworfen, der schon 1951 ins Schallplattengeschäft eingestiegen war. Und da saß er nun in einer Aufnahmepause am Klavier und bellte urplötzlich sein gesungenes Schlagzeugsolo ins Mikrofon: “A wop bop a loo bop”. Dann hämmerte er auf das Klavier ein und schrie den Refrain: “Tutti Frutti – good booty!” Übersetzt: “Alle Früchte – toller Hintern!”
Verlässlich hart, schnell und explosiv
Die sexuelle Anspielung “good booty” wurde flugs zu “aw rooty”, also einem Slangwort für “alles okay” umgetextet. Und in den Strophen ging es dann um zwei Früchtchen namens Sue und Daisy. Die waren zwar schlimme Schlampen, aber Rock ’n’ Roll war ja auch grundböse Musik. All das ergab den ersten Zweieinhalb-Minuten-Soundhurrikan jenes Mannes, der den Titel “King of Rock ’n’ Roll” ebenso verdient hätte wie der weiße Kollege Elvis Presley. Aus den Jukeboxen Amerikas gewitterte sein “Tutti Frutti” ab November 1955, stand in den amerikanischen “schwarzen” Race Charts sechs Wochen lang auf Platz zwei, stieg im Januar 1956 in den “weißen” Popcharts bis auf Platz 17. Unerhört!
Und schon im März folgte der nächste Hit: “Long Tall Sally”, eine textliche Humoreske über eine Affäre von Richards zügellosem Onkel John mit der titelgebenden Bohnenstange Sally, die beide vor der wütenden Tante Mary abtauchen mussten. Wieder blies Pennimans Stimme zum Krieg, wieder gab es ein Klavier am Rande des Tastenzusammenbruchs. Selbst die B-Seite der Single, “Slippin’ and Slidin’”, ist heute ein Klassiker der Fünfzigerjahre. Schlag auf Schlag kamen jetzt die Songs. Während Konkurrent Elvis sich schnell auch im Balladenschmalz wohlfühlte, lieferte Little Richard nonstop rauen Stoff für die über die Tanzböden fliegenden Kinder jener Tage: “Rip It up”, “Ready Teddy”, “The Girl Can’t Help It”, “Lucille”, “Jenny, Jenny”, “Keep-a-Knockin’”, “Good Golly, Miss Molly”. Bis ins Frühjahr 1958 waren Pennimans Songs verlässlich hart, schnell und explosiv.
Der Kirche verschrieb er sich in den Fünfzigerjahren als Priester
In seinen frühen Jahren lebte Little Richard, drittes Kind unter zwölf Geschwistern, in den Slums von Macon, Georgia, nahe der Bahngleise. Die vorbeidonnernden Züge rüttelten an den Hütten der armen Schwarzen, dass die Leute Angst bekamen, sie würden einstürzen. Und so fütterte Little Richard seine Legende später mit der Behauptung, er habe schon damals einen Song schreiben wollen, der sich genauso anhört. Wobei die erste Musikliebe des attraktiven Gelegenheitsjobbers Kirchenmusik gewesen war – Gospel.
Der Kirche verschrieb er sich bereits in den Fünfzigerjahren als Priester. Als der Rock ’n’ Roll seine erste Verschlagerungsphase erfuhr, wurde der wilde Pianospieler 1958 ein Gottesmann. Fortan lebte er hin- und hergerissen zwischen den zwei Welten. Nutzte die Vernarrtheit der Beatles in seine Songs für Comebackversuche, tourte mit den Rolling Stones und Achim Reichel durch Europa, hatte den noch unbekannten Jimi Hendrix in seiner Band. Er war Kettenraucher, starker Trinker und sagte später über die Siebzigerjahre: “Sie hätten mich Little Cocaine nennen sollen.”
Widersprüchliche Aussagen über seine Libido
Eine Hitserie sollte ihm nie mehr gelingen, aber seine Konzerte waren bis in die frühen Zehnerjahre hinein furiose Liveabenteuer. Im Hamburger Stadtpark ließ er 1997 bei den letzten Songs alle Fans auf die Bühne, die ihm dafür Totalverausgabung versprachen. Da tanzten dann junge Hanseaten im dichten Gedränge Rock ’n’ Roll, rempelten den Gitarristen an, traten dem Bassmann auf die Füße. Was der über die Tastatur rasende Pianist grinsend registrierte.
Mit 15 Jahren hatte ihn sein Vater wegen seiner Neigung, Frauenkleider zu tragen, aus dem Haus geworfen. Immer wieder hatte Little Richard Heterobeziehungen, fünf Jahre war er sogar verheiratet. In ressentimentreichen Zeiten gab er widersprüchliche Aussagen über seine Libido, bis er schließlich 1995 dem “Penthouse”-Magazin gestand: “Ich war mein ganzes Leben lang schwul.”
Vielleicht kommt der alte Herr ja jetzt im Gegenzug auf ein Konzert vorbei
„Great Gosh a Mighty” war 1986 noch ein kleinerer Erfolg gewesen, ein Lied für Paul Mazurskys Obdachlosenkomödie “Zoff in Beverly Hills”. Little Richard schenkte dem lieben Gott (Gosh) einen Song nach dem Muster seiner Klassiker, geschmückt mit vielen “Uuuuhs” und “Oooohs”. “Gott war gut zu mir”, befand der Sänger denn auch 2017 bei einem Interview mit dem Rolling Stone. “Jeden Samstag gehe ich in die Kirche, jeden Samstag, das verpasse ich nie.” Vielleicht kommt der alte Herr ja jetzt im Gegenzug auf ein Konzert vorbei. Zu einem gemeinsamen “A wop bop a loo bop a lop bam boom!”
RND