Couchsurfing in Saudi-Arabien: Wie sich das konservative Land für Touristen öffnet

Stephan Orth ist neun Wochen lang durch Saudi-Arabien gereist und hat dort auf dem Sofa fremder Menschen geschlafen.

Stephan Orth ist neun Wochen lang durch Saudi-Arabien gereist und hat dort auf dem Sofa fremder Menschen geschlafen.

Während andere Urlauber am Mittelmeer am Hotelpool entspannen, reist Stephan Orth von Couch zu Couch. Und das am liebsten in Ländern, die bei klassischen Pauschalreisen nicht auf der Liste stehen. Couchsurfing in Russland hat er gemacht, auch in China und im Iran hat er bei Fremden auf dem Sofa geschlafen. 2019 zog es ihn nach Saudi-Arabien – ein Land, das jahrzehntelang verschlossen war und nicht zuletzt für Menschenrechtsverletzungen bekannt ist. Kurz vor der Corona-Krise stellte es erstmals Visa für Touristen aus.

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Saudi-Arabien öffnet sich für Touristen

Im ersten Lockdown schrieb Orth ein Buch über seine neunwöchige Reise in ein Land zwischen Mittelalter und Zukunft. Im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland berichtet Orth über das konservative und islamisch geprägte Land im Wandel, von geheimen Partys mit Alkohol, von einem Couchsurfing-Rekord und touristischen Highlights in Saudi-Arabien.

Stephan Orth ist neun Wochen lang durch Saudi-Arabien gereist.

Stephan Orth ist neun Wochen lang durch Saudi-Arabien gereist.

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Herr Orth, was hat Sie zum Couchsurfing nach Saudi-Arabien gezogen?

Ich habe eine Vorliebe für Länder mit einem schlechten Ruf. Weil ich von dort, wenn ich in den Alltag der Menschen eintauche, oft mit überraschenden Geschichten zurückkomme. Couchsurfing nutze ich seit mehr als 15 Jahren auf fast jeder Reise. Das ist für mich die interessanteste Art, um in relativ kurzer Zeit besonders viel über eine Region zu erfahren. Als Couchsurfer tauche ich viel tiefer in den Alltag eines Landes ein, erlebe authentische Begegnungen und habe es nicht mit Menschen zu tun, die dafür bezahlt werden, dass sie nett zu mir sind. Es geht beim Couchsurfing nicht um ein touristisches Produkt, sondern um einen Austausch von Zeit und Neugier. Das macht es so interessant.

Was hat Saudi-Arabien als quasi unentdecktes Reiseland für Sie so spannend gemacht?

Das Land ist eines der konservativsten der Erde, durchlebt aber derzeit einen durchaus radikalen Wandel. Ich wollte herausfinden: Was davon ist nur schöne Fassade, was ist echte Reform – und wie gehen die Einheimischen mit den Veränderungen um? Als im Herbst 2019 erstmals Visa für Individualtouristen möglich waren, habe ich sofort den Antrag losgeschickt.

Konnten Sie sich als Tourist in Saudi-Arabien frei bewegen? Und haben sie andere europäische Reisende getroffen?

Ich durfte als Nicht-Muslim nicht nach Mekka, auch Teile von Medina blieben mir versperrt. Ansonsten gab es keine größeren Einschränkungen. Andere europäische Reisende habe ich nur in Al-Ula, wo die berühmten Felsengräber von Hegra stehen, und in Diriyya, der Altstadt von Riad, getroffen. Und einmal bei meinem Gastgeber in Abha im Süden des Landes, bei dem gleichzeitig eine französische Reisende zu Besuch war. Ansonsten hatte ich hauptsächlich mit Einheimischen zu tun oder mit Ausländern, die dort arbeiten.

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Stephan Orth hat in Saudi-Arabien bei fremden Menschen geschlafen.

Stephan Orth hat in Saudi-Arabien bei fremden Menschen geschlafen.

Ist Couchsurfing als Reiseform dort schon bekannt und akzeptiert?

Bislang gibt es nur wenige Mitglieder, weil das Phänomen „Backpacker-Tourismus“ noch etwas total Neues ist. Ich musste deutlich mehr E-Mails schreiben, bis mir jemand eine Unterkunft anbot, als in anderen Ländern. Aber wenn es klappte, war das immer eine ganz besonders freundliche Angelegenheit. Die Leute waren sehr herzlich und haben mir viel von ihrem Land gezeigt. Einen Superlativ kann ich auch vermelden: Ich habe auf dem längsten Couchmöbel meiner Reiselaufbahn übernachtet, das umspannte u-förmig den ganzen Gästeraum und war insgesamt etwa 18 Meter lang.

Sie haben schon Couchsurfing in anderen bei westlichen Urlaubern eher unbekannten Ländern gemacht, zum Beispiel im Iran – war dies eine ähnliche Erfahrung?

Mindestens genauso gastfreundlich, aber doch ganz anders. Im Iran erlebte ich hinter verschlossenen Türen mehr Rebellion, mehr Hass auf die Regierung, mehr verbotene Freiheiten im Geheimen. In Saudi-Arabien habe ich diesen Extremunterschied zwischen öffentlicher und privater Welt nicht so krass wahrgenommen. Häufig spürte ich, dass Menschen Angst haben, auch nur ansatzweise Kritik am Königshaus zu äußern. Selbst wenn keiner zuhört. Jeder weiß, mit welcher Brutalität der Journalist Jamal Khashoggi getötet wurde, jeder weiß, wie viele Jahre Gefängnis Dissidenten drohen.

Bei Gesellschaftsspielen lernt man sich kennen: Stephan Orth und einige seiner Gastgeber in Saudi-Arabien.

Bei Gesellschaftsspielen lernt man sich kennen: Stephan Orth und einige seiner Gastgeber in Saudi-Arabien.

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Welche Vorurteile der westlichen Welt gegenüber Saudi-Arabien haben sich eher bestätigt – oder wurden entkräftet?

Es bestätigte sich, dass es sich trotz mancher Neuerungen weiterhin um ein extrem konservatives Land handelt. Zwar gibt es nun öffentliche Livekonzerte und Führerscheine für Frauen, aber wenn es um mehr Zivilgesellschaft, Redefreiheit oder Demokratie geht, da tut sich nichts – das Königshaus will seine Macht uneingeschränkt behalten.

Schwer nachvollziehbar ist die extreme Geschlechtertrennung, Frauen und Männer leben in unterschiedlichen Welten. Während meiner neunwöchigen Reise hat mir nur ein einziger Gastgeber seine Ehefrau vorgestellt – sie war Amerikanerin, vielleicht war deshalb ausnahmsweise dieses Treffen möglich, das den kulturellen Gewohnheiten widersprach. Natürlich war sie während des gemeinsamen Picknicks komplett verschleiert.

Religion spielt eine große Rolle in dem Land – wie haben Sie das auf Ihrer Reise wahrgenommen? Und wie wurden Sie als Nicht-Muslim dort wahrgenommen?

Die Saudis sehen sich in einer Sonderrolle in der islamischen Welt, weil sich in ihrem Land die heiligsten Stätten Mekka und Medina befinden. Die meisten, die ich traf, beten fünfmal am Tag, und während der Gebetszeiten werden alle Geschäfte und Restaurants geschlossen. Als Christ zählt man zu den drei „Buchreligionen“ und genießt Respekt, weil biblische Figuren wie Moses oder Jesus auch im Islam als Propheten gelten. Trotzdem darf im ganzen Land keine einzige Kirche stehen, und öffentliche Weihnachtsdekoration ist als „Christentumspropaganda“ verboten.

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Haben Sie Brüche unterhalb der Oberfläche erlebt?

Ich traf Menschen, die geheime Partys feiern und gelegentlich Alkohol trinken. Mancher lässt es auf Auslandsreisen richtig krachen und erlebt dort alles, was zu Hause verboten ist. Und mehrere Homosexuelle sprachen überraschend offen mit mir darüber, was alles möglich ist, wenn man nicht auffällt – obwohl sie laut offiziellem Gesetz die Todesstrafe befürchten müssten.

Kam es auch zu ungewöhnlichen, skurrilen Situationen?

Nach einem High-Society-Dinner in einem privaten Luxus-Beduinencamp wurde ich in der Wüste vergessen. Ich war der Einzige, der dort übernachtete, um 9 Uhr am nächsten Tag sollte mich ein Auto abholen. Doch das kam nicht. Auf Google Maps sah ich, dass es nur vier Kilometer bis zur nächsten Hauptstraße waren. Ich ging zu Fuß und reiste dann per Anhalter weiter.

Ein anderes Mal zog mein Gastgeber mir für ein Snapchat-Video die typische Saudi-Tracht über, taufte mich „Scheich Steve“ und bat mich, die deutsche Nationalhymne zu singen. Da er mehr als 50.000 Onlinefollower hatte, wurde ich mit dieser A-Cappella-Einlage leider ein bisschen berühmt.

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Unterwegs in Saudi-Arabien.

Unterwegs in Saudi-Arabien.

Welche Orte in Saudi-Arabien können Sie Touristen empfehlen, die Ihrem Beispiel folgen wollen?

Toll ist Al-Balad, die Altstadt von Dschidda. Zumal in den Großstädten ansonsten leider wenig alte Bausubstanz erhalten ist. Und natürlich lohnt sich ein Besuch in Hegra, einer antiken Totenstadt mit spektakulären Felsgräbern. Sie wurde von den Nabatäern gebaut, deren Hauptstadt Petra im heutigen Jordanien war.

Einen Fünf-Sterne-Urlaub zur Entspannung würde ich in Saudi-Arabien nicht buchen.

Stephan Orth

Für eine Frau wie mich wäre eine solche Reise wie die Ihre vermutlich nicht ganz so einfach gewesen, oder?

Das ist möglich, aber sicher nicht ganz einfach wegen mancher Missverständnisse und wegen eines gesellschaftlichen Klimas, in dem Frauen als den Männern untergeordnet gelten. Allerdings könnten Sie einen viel besseren Einblick in den Alltag der Frauen dort bekommen, als das mir möglich war. Und an Männerrunden könnten Sie ebenfalls häufig teilnehmen, da Sie als Ausländerin nicht den üblichen strengen gesellschaftlichen Regeln unterliegen. Ich traf in Abha im Süden des Landes eine französische Rucksackreisende, die durchaus begeistert war von der Freundlichkeit der Menschen.

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Und wie steht es um Sie: Würden Sie noch mal nach Saudi-Arabien reisen?

Ich musste wegen der Corona-Krise zwei Wochen früher abreisen als geplant – eine Stunde, bevor die internationalen Flughäfen für Monate geschlossen wurden, stieg ich in den Flieger. Deshalb gäbe es schon noch ein paar Orte, die ich noch gerne sehen würde. Und Freunde, die ich gerne noch einmal treffen würde – zum Beispiel für eine längere Wüstentour. Einen Fünf-Sterne-Urlaub zur Entspannung würde ich in Saudi-Arabien nicht buchen, das finde ich in Anbetracht der dortigen Regierung nicht richtig.

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