Italien lockert Corona-Regeln und setzt auf Tourismus im Sommer
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Ein Polizist patrouilliert vor den Tischen im Außenbereich eines Restaurants, an denen Gäste sitzen. In Italien öffnen Restaurants und Bars in vielen Regionen wieder ihre Außengastronomie und Kulturstätten empfangen wieder Besucher.
© Quelle: Cecilia Fabiano/LaPresse via ZUM
Rom. Das Kino Beltrade in Mailand war am Montag das erste, das seine Türen nach Monaten der Schließung wieder öffnete – schon um 6 Uhr in der Früh. Und siehe da: Trotz der noch fast nachtschlafenden Stunde stellten sich etwa 100 Mailänderinnen und Mailänder an, die den Film „Caro Diario“ („Liebes Tagebuch“) von Nanni Moretti sehen wollten. Aufgrund der Platzbeschränkungen erhielten nur 84 von ihnen ein Eintrittsticket.
Rund 50 der 60 Millionen Einwohner Italiens befinden sich seit gestern wieder in einer „gelben“ Zone, der zweittiefsten Gefahrenstufe des italienischen Ampelsystems mit den Farben Weiß, Gelb, Orange und Rot. Die meisten von ihnen befanden sich zuvor in der orangen Zone, der nach wie vor die Regionen Basilicata, Kalabrien, Apulien, Sizilien und das Aostatal zugeteilt sind. Die einzige rote Region ist derzeit Sardinien – das noch vor wenigen Wochen die einzige weiße Region gewesen war. Die weitgehende Öffnung, gepaart mit der übertriebenen Sorglosigkeit der Bevölkerung, war der Insel nicht gut bekommen.
Corona-Anstieg auf Sardinien dient als Warnung
Der prompte Anstieg der Fallzahlen auf Sardinien hat der Regierung von Mario Draghi als Warnung gedient: Die gestern in Kraft getretenen Lockerungen sind äußerst vorsichtig und im Alltag der Bürgerinnen und Bürger kaum wahrnehmbar. Die teilweise Öffnung der Kinos ist noch die am weitesten gehende von allen. In den gelben Zonen dürfen nun die Restaurants auch abends Gäste bedienen (vorher nur am Mittag), aber lediglich im Freien. Und man darf auch wieder von einer gelben Region in eine andere fahren.
De facto konnte man das aufgrund zahlreicher Ausnahmeregelungen und spärlicher Kontrollen schon vorher. Sogar Fahrten in rote Zonen waren möglich – es reichte, wenn man dort ein Ferienhaus besitzt. In den orangen Zonen, die nun gelb wurden, waren auch die Geschäfte längst geöffnet gewesen; auch Friseurbesuche waren erlaubt. In den Einkaufsmeilen herrschte insbesondere an den Wochenenden reger Betrieb. Die Neueinteilung in die gelben Zonen wird also nichts ändern.
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Gäste sitzen in Mailand an den Tischen im Außenbereich eines Restaurants.
© Quelle: Claudio Furlan/LaPresse via ZUMA
Vor allem aber bleibt die nächtliche Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr in Kraft, sie gilt in Italien seit Monaten. Auch die Maskenpflicht im Freien sowie die Distanzregelungen bleiben in Kraft – genauso wie der Ausnahmezustand, den die Regierung bis Juli verlängert hat und der es der Exekutive erlauben würde, umgehend auf eventuell wieder ansteigende Fallzahlen zu reagieren. „Wir gehen ein kalkuliertes Risiko ein“, sagte Draghi, als er die Lockerungen ankündigte. Tatsächlich sind die Fallzahlen in Italien seit fünf Wochen rückläufig, allerdings langsam und immer noch auf hohem Niveau. Etwa eine halbe Million Italiener sind derzeit offiziell mit dem Coronavirus infiziert, täglich werden um die 15.000 Neuinfektionen registriert.
Mit 17 Millionen verabreichten Dosen relativ weit gediehen ist die Impfkampagne; hinzu kommen vier Millionen Genesene, die ebenfalls immunisiert sind. 81 Prozent der über 80-Jährigen haben zumindest ihre erste Impfdosis erhalten; bei den 70- bis 80-Jährigen beträgt der Anteil 45 Prozent.
Einige Virologen sind besorgt
Trotz der nur zurückhaltenden Lockerungen sind viele Virologen und Ärzte skeptisch. Sie fürchten den psychologischen Effekt, den die neuen Freiheiten mit sich bringen könnten: Vor allem junge Menschen könnten sich in trügerischer Sicherheit wähnen und die geltenden Vorsichtsmaßnahmen, namentlich das Tragen der Gesichtsmaske, vergessen. „Wir werden für diese Lockerungen einen Preis bezahlen: Die Fallzahlen werden zwangsläufig wieder ansteigen“, prophezeit der Virologe Fabrizio Pregliasco. Wenig zu seiner Beruhigung trug gestern bei, dass der Präsident von Venetien, Luca Zaia, die ersten zwei Fälle der „indischen Variante“ in seiner Region meldete.
Die Regierung hält indessen an ihrer Linie fest – und hat für Mitte Mai die nächsten Lockerungen in Aussicht gestellt. Die Bewegungsfreiheit soll weiter vergrößert werden; vorgesehen ist dazu ein nationaler Impfpass, dank dem unabhängig von der jeweiligen Farbeinteilung das Verlassen der eigenen Region ermöglicht werden soll. Den Pass kann bekommen, wer entweder geimpft oder von einer Corona-Infektion genesen ist. Dann gilt er jeweils für sechs Monate. Einen 48-Stunden-Pass erhält man, wenn man ein negatives Testresultat vorweisen kann. Damit will die Regierung insbesondere den Regionen entgegenkommen, die stark auf den Tourismus angewiesen sind und sich im Mai eventuell noch in einer orangen oder roten Zone befinden.
Italien will Sonderweg von Südtirol unterbinden
Mit dem nationalen Impfpass soll der Binnentourismus gefördert werden. Die autonome Provinz Südtirol prescht diesbezüglich bereits vor und will den Impfpass umgehend einführen. Außerdem will die Landesregierung in Bozen es den Restaurants erlauben, auch die Innenbereiche der Gastrobetriebe wieder zu öffnen.
Die Regierung in Rom will sich den erneuten Sonderweg der Südtiroler freilich nicht bieten lassen: Die für Regionen zuständige Ministerin Mariastella Gelmini hat angekündigt, gegen den Erlass eine Klage vor den Verwaltungsgerichten einzulegen. Mit Blick auf die Sommersaison setzt die Regierung von Mario Draghi vor allem auf den geplanten europäischen Impfpass. Wann dieser kommen wird, ist freilich noch ungewiss – und vorerst bleibt für alle ausländischen Gäste die Pflicht, sich nach der Einreise in Italien für fünf Tage in Quarantäne zu begeben.