Nachhaltiger, sicherer, günstiger: So will sich der Deutschland-Tourismus verändern
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Vor allem in Städten – hier Hamburg – wünscht sich der DTV mehr Förderung des Tourismus durch die neue Bundesregierung.
© Quelle: imago images / Westend61
Mehr Fokus auf den Städte- und Kulturtourismus, mehr Nachhaltigkeit und verlässliche Parameter für sicheres Reisen in Corona-Zeiten: Der Deutsche Tourismusverband (DTV) hat Themen erarbeitet, denen sich die neue Bundesregierung nach Wahl annehmen soll: Zudem, so DTV-Präsident Reinhard Meyer, müsste der Staat die Überbrückungshilfen für die stark von der Corona-Pandemie gebeutelte Reisebranche ausweiten.
„Outdoor boomt, alles, was mit Camping und Reisemobilen zu tun ist, was am Wasser ist“, sagte Meyer am Donnerstag. „Beim Städtetourismus und dem Kulturtourismus ist das aber noch nicht so. In den Städten hatten wir von Januar bis Juni 34,7 Prozent weniger Übernachtungen als im Vorjahreszeitraum.“ Deshalb sei die Mission klar: Touristinnen und Touristen sollen durch attraktive Angebote zurück in die Städte gelockt werden – denn in den vergangenen zehn Jahren boomten vor allem Städtetrips.
Städte sollen Reisende locken – aber nicht zu viele davon
„Den Trend zum Urlaub in der Natur gab es schon vor Corona, er wurde aber verstärkt“, sagt Meyer. „Wir können nur neugierig machen und locken.“ Vor allem in Großstädten sei die Situation fatal, der Tourismus sei in Frankfurt, München, Hamburg und Berlin um teilweise 60 Prozent zurückgegangen. „Die wirtschaftliche Situation in den Städten ist schwierig“, so Meyer.
Wichtig sei es nun, Konzepte zu erarbeiten, die Touristinnen und Touristen zwar in die Städte bringen, aber gleichzeitig keine Zustände wie in Amsterdam, Venedig oder Barcelona provozieren. Dort wehren sich Anwohnerinnen und Anwohner massiv gegen Massentourismus, „man kommt da leicht in schwierige Debatten wie: Wie viele Urlauber verträgt eine Stadt? Wie lenkt man das? Wie geht man damit um?“, sagt Meyer.
DTV fordert von neuer Regierung: Keine Lockdowndiskussionen mehr
Konkrete Ideen gebe es noch nicht, man wolle aber im kommenden Jahr nach zwei Jahren Pause wieder ein Städte- und Kulturforum anbieten, um die Situation zu bewerten und an einem Gesamtkonzept zu arbeiten. „Aktuell geht es für viele in der Branche nur darum, die wirtschaftliche Situation zu sichern – und um die Frage, wer nach der Krise überhaupt noch da ist.“
Was die Branche von der neuen Regierung erwartet, ist im ersten Schritt vor allem Sicherheit. „Wir dürfen keine Lockdowndiskussionen mehr führen. Mit 3 G kommen wir gut über die Runden.“ Zudem appelliert Meyer an Tourismusbetriebe, aktiv für Corona-Impfungen zu werben, „um den Tourismus in Deutschland sicherer zu machen“. Urlauberinnen und Urlauber legten nach der Pandemie zudem bei potenziellen Reisezielen auf weitere Dinge wert, etwa was Hygienekonzepte angehe.
Deutschland-Tourismus profitiert von Reiserestriktionen im Ausland
Der Tourismus in Deutschland hatte rund zehn Jahre lang einen enormen Aufschwung erlebt – doch dann kam Corona. Zwar profitieren Anbieter nach wie vor davon, dass viele Deutsche in der Pandemie bevorzugt im eigenen Land urlauben, dennoch ist die Branche durch zwei Lockdowns und generelle Skepsis dem Reisen in der Pandemie gegenüber gebeutelt.
Während zuvor vieles einfach so lief, sei es nun umso wichtiger, mit Konzepten, Investitionen und Innovationen aus der Krise zu kommen, so Meyer. Nicht nur die Tourismusbranche selbst müsse daran arbeiten, der DTV hofft auf Unterstützung der neuen Bundesregierung – immerhin arbeiten in Deutschland fast drei Millionen Menschen im Tourismus. Kernpunkte im Forderungskatalog, den der DTV aufgelegt hat, sind eine Strategie und die Verstärkung der politischen Koordinierung in Deutschland und in der EU, Rahmenbedingungen zu schaffen, die für den Erhalt der Tourismusvielfalt sorgen, den Tourismus stärker zu fördern und Qualität und Nachhaltigkeit im Deutschland-Tourismus zu unterstützen. Zentral ist hierbei das angestrebte Wiederaufbau- und Modernisierungsprogramm „Tourismus 2025“.
DTV kritisiert Tourismusbeauftragten: „Keine vernünftige Koordinierung“
Ein wichtiger Punkt sei die Fachkräftesicherung – alleine in der Gastrobranche sind in der Pandemie 15 Prozent der Beschäftigten in andere Bereiche abgewandert. Meyer wünscht sich zudem ein koordinierendes Gremium, bevorzugt angedockt am Wirtschaftsministerium. „Diese Koordinierung hat in den letzten Jahren nicht vernünftig stattgefunden. Wenn man den Tourismus ernst nimmt, hat man eine Person, die nur für diese Branche zuständig ist“, moniert Meyer. Damit spricht er auf den Tourismusbeauftragten der Bundesregierung, Thomas Bareiß, an. Es habe wenig Austausch mit dem CDU-Mann gegeben – was auch daran liege, dass dieser noch viele weitere Aufgaben in anderen Themenbereichen hat.
Megaresort auf Rügen: „Da muss man schon fragen, ob das noch zeitgemäß ist“
Zunächst, so Meyer, müssten bestehende Strukturen gesichert werden, damit im zweiten Schritt wieder Innovationen möglich seien. Nachhaltigkeit und Digitalisierung sollen eine zentrale Rolle spielen. Zudem müsse man alte Konzepte überdenken. Kritisch bewertet Meyer etwa den Bau des „Baltic Island Eco Resort“ auf Rügen. 2300 Betten sollen dort in einem naturnahen Raum entstehen, es gilt als eines der größten touristischen Projekte Europas.
„Als das vor 20 Jahren geplant wurden, fanden es alle toll. Heute sehen wir, was solche Großprojekte an Problemen mit sich bringen kann.“ Reisewünsche würden individueller, die Menschen suchten die Nähe zur Natur. „Da muss man schon fragen, ob das noch zeitgemäß ist oder ob es nicht anderer Unterkünfte bedarf.“ Corona sei nicht einfach vorbei, „die Pandemie verändert das Kundenverhalten nachhaltig.“
Deutschland-Tourismus erreicht durch Corona neue Zielgruppen
Den Miniaufschwung, den Deutschland in Sachen Inlandstourismus gerade erlebt, will Meyer nutzen. „Viele sind dabei, Deutschland neu zu entdecken. Die Leute sind zum ersten Mal in der Sächsischen Schweiz, im Harz, sie sehen erstmals, welche schöne Orte und Angebote es in Deutschland überhaupt gibt:“ Destinationen hätten nun die Chance, neue Zielgruppen zu erreichen, die vorher ins Ausland gefahren sind.“ Das Fernweh und künftige Auslandsreisen ließen sich nicht verhindern, „aber wir müssen eine Alternative bieten und attraktiv bleiben.“
Urlaubende langfristig für Deutschland-Reisen zu interessieren, hängt nach Meinung des DTV auch viel mit dem Preis-Leitungs-Verhältnis und Qualität zusammen. Während die Deutsche Zentrale für Tourismus festgehalten hat, dass Deutschland beim Preis-Leistungs-Verhältnis besser als Frankreich oder Großbritannien dasteht, sehen das längst nicht alle Deutschen so.
„Deutschland hat viele Regionen, die touristisch passen. Aber das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt nicht an jeder Stelle – mehr Qualität heißt nicht höhere Preise“, so Meyer. Reisende würden schnell abwandern, wenn sie sähen, dass sie andernorts das gleiche Angebot günstiger haben können. Ein Punkt, daran zu drehen, wären Gästekarten in Kurorten. Es sei nicht vermittelbar, warum Touristinnen und Touristen in ihrem Urlaubsziel Kurtaxe zahlen müssten und zusätzlich noch einmal, wenn sie im Nachbarbezirk an den Strand gingen.