Reiseforscher: „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man im Sommer nicht reisen kann“
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Urlaub in Deutschland: Ein Mann sitzt in einem Strandkorb an der Promenade von Westerland.
© Quelle: Carsten Rehder/dpa
Herr Lohmann, in Corona-Zeiten von Urlaub zu sprechen, ist gewagt. Dennoch: Haben Sie Ihre nächste Reise schon gebucht – oder sind Sie noch vorsichtig mit Ihren Planungen?
Ich bin vorsichtig und habe deswegen schon gebucht. Was man absehen kann, ist ja: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man im Sommer nicht reisen kann. Sobald es eine Perspektive auf Reisen gibt, wird es eine Buchungswelle geben, die sich natürlich auf die Sommerwochen konzentriert. Deswegen bedeutet Vorsicht in diesem Fall frühzeitiges Buchen.
Wohin geht es bei Ihnen?
In die Alpen, wandern im Hochgebirge von Hütte zu Hütte. Das muss man frühzeitig organisieren. Und wir fahren langsam hin und zurück, ein schöner Teil der Reise.
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Prof. Martin Lohmann ist wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer des Instituts für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa. Der Diplompsychologe beschäftigt sich seit seinem Studium praktisch und wissenschaftlich mit Tourismus und Erholung, unter anderem für die jährliche Untersuchung Reiseanalyse im Auftrag der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen.
© Quelle: picture alliance/dpa
Das heißt, Sie haben erst einmal keine Flugreise geplant?
Nein, ich habe innerhalb Europas, wenn es irgendwie ging, auch vorher schon auf Flugreisen verzichtet. Ich würde mir aber unter der Corona-Perspektive auch keine Sorgen bei Flugreisen machen. Sie bereiten ein bisschen Aufwand, weil Sie sich testen lassen müssen, aber dann sitzt man im Flugzeug mit lauter durchgetesteten oder durchgeimpften Menschen. Das ist sicherlich eine sehr, sehr risikoarme Sache. Das ist in der U-Bahn anders.
Deutschland Reiseziel Nummer eins der Deutschen
Die Pandemie hat viele gute Argumente geliefert, im eigenen Land Urlaub zu machen. War das ein einmaliger Effekt, oder könnte diese Entwicklung nachhaltig sein?
Die Antwort ist ja und nein – denn Deutschland war schon immer das Reiseziel Nummer eins der Deutschen bei den Urlaubsreisen. Diese Position konnte natürlich nicht besser werden. Der Marktanteil wuchs aber von 26 auf 45 Prozent. Gleichzeitig hat jedoch die Zahl der Kurzurlaube abgenommen – weil sie in vielen Monaten einfach nicht möglich waren. Unter dem Strich hat deswegen auch der Tourismus in Deutschland nicht von der Krise profitiert, sondern nur weniger schlecht abgeschnitten. Ich stelle mir vor, dass das in diesem Jahr auch so sein wird und wahrscheinlich auch noch 2022, einfach wegen der Einschränkungen, die uns noch etwas begleiten werden. Wenn uns die Welt wieder offensteht, wird Deutschland zwangsläufig an Marktanteilen verlieren.
Hat sich die Art des Urlaubs geändert, den Menschen in Deutschland buchen? Der Klassiker waren ja immer Strand und Berge ...
Der Klassiker ist geblieben. Wenn man schon in Deutschland bleibt, will man natürlich dorthin, wo es besonders schön oder besonders attraktiv ist. Im Sinne von anders als zu Hause. Berge, Strand und Meer versprechen allein schon aus der Landschaftsformation Abwechslung. Das war auch 2020 so und wird auch 2021 so sein. Gebiete mehr in der Mitte, Eifel und Harz etwa, haben natürlich auch Nachfrage. Aber für längere Urlaubsreisen fährt man schon gern zu den geografischen Highlights.
Instagram ist wie ein Diaabend
Spielt die optische Attraktivität eines Ortes in Zeiten von Instagram eine zunehmende Rolle?
Die „Instagramability“ ist mehr eine Frage, die unsere Aufmerksamkeit lenkt, eher eine Art Werbung. Soziale Medien spielen eine Rolle dabei, wie ein Urlaubsziel in Kontakt zu den Kunden kommt. Nur einige wenige nehmen das als Triebfeder, irgendwohin zu fahren – das ist mehr eine Sache für Leute, die sowieso in der Region sind. Früher gab es statt Instagram Diaabende, das ist im Prinzip dieselbe Sache.
Welche Rolle spielt heutzutage Städteurlaub in Deutschland?
Städtereisen hatten vor der Pandemie von Jahr zu Jahr zugenommen. Dabei waren die größeren Städte – Berlin, München, Hamburg – die mit den meisten Besuchern. Aber sie machten trotzdem nur einen kleinen Teil der Citytrips aus. Der größere verteilte sich auf viele andere, oft kleinere Städte, etwa Kiel, Celle, Koblenz, Freiburg oder Regensburg.
Spielt die Natur zunehmend eine Rolle bei der Buchung?
Es gibt keinen wirklichen Trend, Natur war eher schon immer wichtig. 55,8 Prozent der Befragten der Reiseanalyse 2021 haben angegeben, Natur zu erleben sei ihnen beim Urlaub besonders wichtig. Im Januar 2011 waren es 55,2 Prozent. Es hat sich aber etwas geändert: die Altersstruktur. Vor zehn Jahren war Urlaub in der Natur noch eine Domäne der über 50-Jährigen. Das hat sich verschoben. Wir haben das jetzt gleichwertig zwischen Alt und Jung. Natururlaub ist überall modern geworden. Das ist die Nachfrageseite – und dann gibt es auf der Angebotsseite eine zunehmende Professionalisierung. Die Natur wird mehr ins Zentrum des Marketings gerückt. Die Erkenntnis, dass Natur dem Körper guttut, ist nicht wirklich neu. Man hätte beispielsweise 1960 schon die Leine in Hannover mit dem Paddelboot erkunden können – aber jetzt wird das anders als früher zu einem Angebot zusammengefasst und damit erlebbar gemacht. Der gute alte Waldspaziergang heißt etwa heute Waldbaden.
Viele Urlauber planen derzeit Ostern auf Mallorca. Hat eine solche Reise angesichts der zahlreichen Auflagen vor Ort überhaupt einen Erholungswert?
Ich persönlich finde es jetzt nicht so attraktiv, wenn man an einem Mittelmeerziel abends nicht in der Kneipe sitzen und im Mondschein seinen Rotwein trinken kann. Aber die Landschaft ist ja da, das hat sicherlich einen gewissen Erholungswert. Gäbe es eine Alternative ohne Beschränkungen, würde die wohl eher nachgefragt. Doch die gibt es momentan nun mal nicht.