Steigende Zahlen und Regelchaos: Droht jetzt doch der Urlaubskollaps?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DT2OWSNMWNFHVBRIVIJ265MWYQ.jpg)
Ein Flugzeug beim Landeanflug auf Thessaloniki in Griechenland. Ist der noch geplante Sommerurlaub in Gefahr?
© Quelle: picture alliance / NurPhoto
Lange sah es gut aus in Europa: Die Impfquoten stiegen, während die Infektionszahlen sanken. Immer mehr Länder fielen von der Risikogebieteliste des Robert Koch-Institutes. Daher wurden die Reiseregeln in Europa gelockert: „Nach langen Monaten des Lockdowns dürfen wir uns auf mehr Normalität freuen, das gilt auch für das Reisen“, hatte Außenminister Heiko Maas Mitte Juni gesagt, als er die Aufhebung der generellen Reisewarnung für Risikogebiete ankündigte.
Seit dem 1. Juli ist der Urlaub im Ausland für Deutsche damit wieder einfacher möglich – allerdings bleibt das Zurück zur Reisenormalität aus der Zeit vor Corona ein Traum.
Viele Regeln für Reisende im Sommer
Für den Urlaub im Ausland müssen Reisende etliches beachten: Sie müssen einen Impfnachweis dabeihaben. Oder den Nachweis über eine überstandene Covid-19-Erkrankung. Oder ein negatives Corona-Testergebnis. Und wenn sie aus einem Risiko-, Hochinzidenz- oder Virusvariantengebiet zurück nach Deutschland reisen, müssen sie sich vorher digital anmelden. Und dann detaillierte Quarantänevorschriften beachten, sowohl im Inland als auch im Ausland.
Es reicht auch nicht, sich ein einziges Mal vor der Abreise zu informieren. Dafür gibt es zwei Gründe:
Erstens: Obwohl die EU einheitliche Regeln innerhalb der Mitgliedsstaaten gefordert hat, legen die einzelnen Mitgliedsstaaten Ein- und Ausreise für ungeimpfte, genesene und geimpfte Reisende nach einem unterschiedlichen Schema fest – ebenso wie sich die Vorschriften an Ort und Stelle unterscheiden.
Zweitens: Die Pandemielage kann sich schnell ändern, das haben viele Reisende jüngst erlebt am Beispiel Mallorca beziehungsweise Spanien. Die Delta-Variante breitet sich in Europa aus. Die Infektionszahlen an den beliebtesten Reisezielen steigen, während die Impfquoten vielerorts stagnieren. Stand zwischenzeitlich kein europäisches Land mehr auf der Hochinzidenzgebiete-Liste, so sind es inzwischen wieder sechs. Darunter klassische Urlaubsziele wie Spanien, Zypern, Portugal und die Niederlande.
Auch an weiteren beliebten Sommerzielen im Süden schnellen die Zahlen nach oben: Die Sieben-Tage-Inzidenz in Kroatien liegt zwar insgesamt bei recht niedrigen 26,4, allerdings steigen die Zahlen in den touristischen Küstengebieten teils stark. Die Inzidenz in der Gespanschaft Zadar beträgt bereits 102. Und Griechenland hat inzwischen wieder einen Wert von 179,1. Vor wenigen Monaten noch hatte das Land mit covidfreien Inseln um Urlauberinnen und Urlauber geworben, nun droht die Hochstufung als Hochinzidenzgebiet. Als solche benennt die deutsche Bundesregierung Länder, die eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 200 haben.
Dieser Status verunsichert jedoch auch viele Reisende, die sich nun fragen: Sollte ich in einem solchen Land noch Urlaub machen – unabhängig von den praktischen Konsequenzen wie einer Quarantäne für Ungeimpfte nach der Rückkehr? Fest steht: Je schlechter die Lage am Urlaubsziel, desto höher das Risiko, das Virus mit nach Deutschland zu bringen. Mobilitätsforscher Sebastian Müller zufolge sind Reisen in Gebiete mit ähnlichen Inzidenzwerten unbedenklich – dabei passiere nichts. Aber, so der Forscher der Technischen Universität Berlin gegenüber der „Zeit“: „Unsere Modelle zeigen: Wenn man in Gebiete reist, in denen die Inzidenz hoch ist, dann bringt man diese hohe Inzidenz mit zurück.“
Genau das scheint aktuell zu passieren, wie der aktuelle wöchentliche Lagebericht des Robert Koch-Institutes (RKI) zeigt. Demnach stieg die Zahl der Menschen, die sich bei einem Urlaub im Ausland infiziert haben, in den Meldewochen vom 21. Juni bis zum 18. Juli deutlich. Bei 2402 Personen wurde in diesem Zeitraum eine wahrscheinliche Ansteckung im Ausland gemeldet.
Diese Zahl mag gering erscheinen angesichts der Hunderttausenden Reisenden, die aktuell unterwegs sind. Es sind aber etwa 10 Prozent aller übermittelten Fälle, deren Zahl in dem Zeitraum bei 23.649 liegt. Das ist deutlich mehr als noch vor einigen Wochen: Für den Zeitraum vom 31. Mai bis zum 6. Juni hatte das RKI den Anteil der Fälle aus dem Ausland an allen gemeldeten Neuinfektionen noch mit einem Prozent angegeben. „Dies zeigt eine zunehmende Rolle reiseassoziierter Fälle am derzeitigen Infektionsgeschehen“, heißt es in dem RKI-Bericht.
Die meisten Reisenden infizieren sich in Spanien
Das Infektionsland Nummer eins im Ausland ist Spanien – und zwar mit deutlichem Abstand. Zwischen dem 21. Juni und 18. Juli steckten sich laut RKI insgesamt 821 Personen in dem beliebten Urlaubsland mit dem Coronavirus an. Während es sich in der Woche vom 21. bis zum 27. Juni nur um 47 Personen handelte, waren es vergangene Woche bereits 389. In Spanien schnellen die Corona-Infektionszahlen seit Wochen in die Höhe. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt dort aktuell bei 385,4 (Stand 27. Juli).
Auf dem zweiten Platz der sogenannten Expositionsländer im Ausland folgt Russland – dort steckten sich in dem Zeitraum insgesamt 171 Reisende aus Deutschland an. Im Gegensatz zu Spanien flacht die Kurve dort allerdings ab. Während sich in der Woche Ende Juni 51 Personen bei einer Reise nach Russland infizierten, waren es vergangene Woche nur noch 33. In Russland liegt die Sieben-Tage-Inzidenz zurzeit bei 115,6. Seit vergangener Wochen gehen die Corona-Infektionszahlen dort wieder zurück.
Auch in den Niederlanden stecken sich viele Reisende aus Deutschland an. Die Tendenz: steigend. Insgesamt verzeichnete das RKI 124 Fälle. Während sich Ende Juni nur zwei deutsche Reisende dort angesteckt hatten, waren es vergangene Woche bereits 80. Das Nachbarland steht damit auf Platz drei der sogenannten Expositionsländer.
Die Infektionen im Ausland werden aller Wahrscheinlichkeit nach noch zunehmen – denn die große Reisewelle rollt, aktuell befinden sich alle Bundesländer gleichzeitig in den Sommerferien. Die Folge sind Diskussionen über strengere Reiseregeln. Gesundheitsminister Jens Spahn will eine generelle Testpflicht für ungeimpfte Reiserückkehrerinnen und -rückkehrer einführen. Sie sollen künftig auch bei der Einreise aus Nichtrisikogebieten generell einen negativen Corona-Test vorlegen müssen.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig geht noch weiter: Sie fordert zwei Corona-Tests und Quarantäne auch für die Heimkehrer aus Risikogebieten. „Schon bei der Rückkehr aus einem Risikogebiet sollten zwei Tests und eine Quarantäne bis zum zweiten Test verpflichtend sein“, sagte sie dem „Handelsblatt“. Ein Test bei der Rückkehr sei nicht aussagekräftig genug.
Virologe Stürmer fordert Testpflicht für Geimpfte aus Hochinzidenzgebieten
Auch dem Virologen Martin Stürmer gehen die Pläne von Jens Spahn für eine Ausweitung der Testpflichten für ungeimpfte Reiserückkehrer nicht weit genug: „Wir brauchen auch für Geimpfte und Genesene, die aus Hochinzidenzgebieten nach Deutschland kommen, eine Testpflicht vor oder bei Einreise“, sagt der Facharzt für Mikrobiologie und Laborleiter am IMD-Labor für interdisziplinäre Medizin und Diagnostik in Frankfurt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Zwar schütze die Corona-Impfung – „aber eben nicht zu 100 Prozent“. Und damit bestehe auch für Geimpfte und Genesene die Möglichkeit, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.
Das Blatt in Europa habe sich gewendet: „Im Vergleich zum Sommer 2020 sind in dieser Saison die Zahlen in vielen Ländern, auch in Deutschland, relativ früh wieder angestiegen. Die Delta-Variante verbreitet sich viel effektiver.“ Wenn man geimpfte und genesene Reisende aus Hochinzidenzgebieten nicht teste, drohe ein „Kontrollverlust“.