Wie bedeutend werden virtuelle Reisen in Zukunft?
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Per VR-Brille, App oder am PC – Reisen geht auch ohne wegzufahren.
© Quelle: Syda Productions/ Shutterstock.com
An Reisen nach Paris, London, Amsterdam und in andere Metropolen ist aktuell aufgrund der strengen Corona-Regeln kaum zu denken. Nur wenige Urlaubsorte wie Mallorca sowie einige Fernreiseziele haben für Touristen geöffnet und gelten nicht als Risikogebiete. Es muss aber nicht unbedingt eine Reise ins Ausland sein, um das Fernweh zu stillen: Zimmerreisen sind eine Möglichkeit, eine andere sind virtuelle Reisen. So können wir vom eigenen Sofa aus die Welt erkunden.
VR-Experte Armin Brysch ist Professor für Dienstleistungsorientierte BWL und Tourismusmanagement an der Hochschule in Kempten. Er befasst sich seit mehr als 30 Jahren mit Entwicklungsstrukturen und Trends im Tourismus. Im Gespräch mit dem RND berichtet er, wie Augmented Reality (erweiterte Realität) und Virtual-Reality-Brillen (virtuelle Realität) bereits jetzt für Reisen und im Tourismus eingesetzt werden und wie es in der Zukunft sein könnte.
Herr Brysch, wie bedeutend werden virtuelle Reisen in Zukunft?
Sie werden wichtiger Baustein in der Tourismus- und Freizeitbranche. Ich glaube an eine Zukunft der virtuellen Reisen, wobei wir differenzieren müssen: Was verstehen wir unter virtuellen Reisen? Virtuell kann sein, dass wir Attraktionen in 2-D und 3-D auf dem Computer oder auf dem Smartphone bzw. virtuelle Touren in 360 Grad sehen. Virtuelle Erlebnisse können auch sein, wenn mit Augmented Reality zusätzliche Einblendungen auf dem Smartphone oder Tablet sichtbar werden. Und schließlich können virtuelle Reisen mit der Virtual-Reality-Brille passieren. In all diesen Bereichen wird es Innovationen geben, die das Reisen und das Reiseerlebnis beeinflussen.
Glauben Sie, dass nach der Pandemie mehr Menschen auch virtuell reisen wollen?
Ich bin sicher, dass kurz- und mittelfristig das authentische Erlebnis vor Ort mit allen Sinnen nicht durch virtuelle Reisen kompensiert werden kann. Insofern werden natürlich weiterhin die klassischen physischen Reisen im Vordergrund stehen. Aber die Technologie wird die Verbraucher immer mehr unterstützen, begleiten und deren Erlebnisse verändern. Wir erleben bereits jetzt, dass im Reisevertrieb die VR-Brille eingesetzt wird, um Lust auf die Destination zu machen oder verschiedene Produktvarianten vorzustellen. Zum Beispiel bei einer Kreuzfahrt. Wenn ein Gast eine Innenkabine buchen möchte, dann aber in VR eine Außenkabine oder die Balkonkabine gesehen hat, überlegt er sich vielleicht, ob diese nicht doch eine bessere Alternative darstellt. Somit stellt VR vor dem eigentlichen Kauf in der Beratung einen echten Mehrwert her. Zudem bin ich davon überzeugt, dass es zukünftig Nischen geben wird, wo virtuelle Reisen auch tatsächliche Reisen ersetzen können.
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In welchen Nischen könnten virtuelle Reisen tatsächliche Reisen ersetzen?
Stellen Sie sich vor, Sie sind Kunstliebhaberin und möchten eine Botticelli-Sonderausstellung besuchen, die aber weit entfernt stattfindet. Für diesen einen Tag müssten Sie fliegen, ein Hotel suchen, vor dem Museum lange Schlange stehen et cetera. All das ist mit Aufwand, Mühen und zusätzlichen Kosten verbunden. Jetzt hätten Sie die Alternative, mit der VR-Brille und sofort verfügbarem Tagesticket, das nur zehn Euro kostet, die Ausstellung mit der Brille hautnah von der heimischen Couch zu erleben. Dabei tauchen Sie ein in die Kunstszene, sehen die Bildern ganz nah, erkennen feinste Details im Gemälde Geburt der Venus und können vielleicht sogar eine Zeitreise machen, direkt ins Atelier von Botticelli. VR hätte das Potenzial, den realen Besuch einer Sonderausstellung zu ersetzen. Insofern kann es sein, dass es bei aufwendigen, komplexen und/oder beschwerlichen Reiseformen zu Substitution kommt.
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VR-Experte Armin Brysch ist Professor für Dienstleistungsorientierte BWL und Tourismusmanagement an der Hochschule in Kempten.
© Quelle: privat
Welche Vorteile könnten Reisende durch den Einsatz von Virtual Reality haben?
Neben dem Eintauchen in Phantasiewelten, Zeitreisen oder unerschlossene Welten kann Virtual Reality auch für barrierefreie Zugänge und Reisen genutzt werden. Ich habe aktuell in einem Forschungsprojekt untersucht, wie eine Höhle, die relativ steil und eng ist, für ältere Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung durch eine VR-Brille zugänglich gemacht werden kann. So kann ein Teil der Familie oder Reisegruppe tatsächlich vor Ort sein und diesen live erleben, während Reisende mit eingeschränkten Mobilität das Höhlenerlebnis parallel dazu virtuell wahrnehmen. Sie erleben vor Ort inklusive Erlebnisse, werden nicht mehr ausgeschlossen und können eine spannende virtuelle Reise teilen. Alle können sich danach gemeinsam über die Erlebnisse austauschen. Das ist ein große Chance für diese Zielgruppe, die viele Destinationen noch nicht auf dem Schirm haben.
Gibt es denn Orte, wo dieses Erlebnis für Urlauber möglich ist?
Auf den Webseiten Steamvr.com oder Oculus.com gibt es kostenlosen und kostenpflichtigen Content, wo auch virtuelles Reisen möglich ist. So gibt es beispielsweise eine Einsteigertour „Blautopf VR – Abenteuer Höhlenwelt“ für die VR-Brille Oculus Go. Dort ist es möglich, in eine Höhle abzutauchen und das verzweigte Höhlensystem zu entdecken. Ich persönlich schaue mir sehr gerne Kunst und Museen virtuell an. Ob das das Museum Barberini in Potsdam ist, das Städel in Frankfurt oder international die Tate Galleries – viele haben tolle 360-Grad-Touren, 3-D-Content oder eigene VR-Apps zum Herunterladen. Gerade jetzt, wo es wegen der Corona-Pandemie noch schwer ist, vor Ort in Kunstmuseen zu gehen, können virtuelle Besuche und Reisen Kunstgenuss bieten.
Außerdem denken Kulturinstitutionen und Destinationen darüber nach, zusätzlichen virtuelle Content anzubieten. Viele Welterbestätten haben zum Beispiel bei einem sehr hohen Besucherandrang (bis 2019) die Herausforderung, fragile Bereiche zu schützen, weil diese sonst durch Überlastung in Mitleidenschaft gezogen werden. Dort können vor Ort für einzelne Tempelräume, sensible Bauten oder Kernbereiche von Naturschutzgebieten gezielt Ersatzerlebnisse für Reisende angeboten werden, die gegebenenfalls nicht zugänglich sind. Oder stellen Sie sich vor, dass sie historische Stätten, die nicht ausgegraben sind oder durch Krieg zerstört wurden, virtuell wieder rekonstruieren und so den Menschen diese Schätze zeigen.
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Haben ältere Anwendungen wie Google Street-View und Co. in Zukunft dann überhaupt noch eine Berechtigung?
Ich beschäftige mich intensiv mit digitalem Marketing, dort nimmt die Customer Journey oder Kundenreise – vor der Reise, während der Reise und nach der Reise – eine zentrale Rolle ein. AR beziehungsweise Augmented Reality und die zusätzlichen Informationen eigenen sich gut während der Reise. Dabei werden in das Smartphone Daten, Abbildungen oder Zeichen zu einem Shop oder einer Attraktion in Echtzeit übertragen, beispielsweise zu Öffnungszeiten oder Zeitzeugen. Das ist eine Erleichterung und Bereicherung der tatsächlichen Reise. VR wurde bisher vor allem vor der Reise eingesetzt, um Lust zu machen, Dinge zu erklären oder sich vorab zurechtzufinden. Anstelle von Street-View empfehle ich daher eher Google Earth VR. Insofern hat jede Technik ihre Berechtigung und Mischformen werden zunehmend Erlebnisse im Tourismus ergänzen, bereichern und auch verbessern.
Wie gut sind VR-Brillen mittlerweile überhaupt – kommen sie der Realität tatsächlich nahe?
Auf jeden Fall. Die neuste Generation der Brillen hat eine extrem hohe Auflösung, sie entspricht fast 4K. Die neuste Generation der VR Brillen hat auch eine sehr hohe Bildfrequenz, diese liegt bei 72 oder 90 Herz. Das heißt, der Nutzer hat flüssige Bewegungen und kann komplett in die virtuelle Realität eintauchen. Man spricht dabei von der sogenannten Immersion. Das heißt, man taucht in diese computergenerierten Welt ein und vergisst, dass sie computergeneriert ist, weil sie so realistisch wirkt. Das Gehirn schaltet dabei innerhalb von zwei bis drei Sekunden um und verliert jegliche Referenzpunkte in der Realität. Der Nutzer verschmilzt sozusagen mit der virtuellen Umgebung.
Wie viele Menschen in Deutschland nutzen derzeit VR-Brillen?
Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass in Deutschland etwa 14 Prozent der Menschen hin und wieder auf privater Basis eine VR-Brille nutzen. Entweder eine eigene Brille oder eine in Geschäften, Freizeitparks oder Museen. Aber ein Drittel sagt, es kann sich vorstellen, es in der Zukunft auszuprobieren. Die Nutzungsbereitschaft ist also noch sehr viel höher als die faktische Verbreitung.
Welche VR-Brillen können Sie empfehlen?
Als Einstieg kann man sich ein Kunststoffgestell für etwa 30 bis 40 Euro kaufen, wo man sein Smartphone einlegt, um damit das VR-Erlebnis auszuprobieren. Es gibt viele Plattformen, die kostenlosen VR-Content und 360-Grad-Touren anbieten. Schöner ist es natürlich mit einer hochauflösenden Brille, beispielsweise von Herstellern wie Sony, HTC oder Oculus ab 400 Euro. Die hochwertigen Brillen bieten eine gute Bedienungsfreundlichkeit, eine gute Auflösung und einen guten Sound, sodass noch intensivere Erlebnisse möglich werden.