Alexander Zverev ist nicht mehr zu übersehen
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Montag spielt er gegen Haudrauf Milos Raonic um den Einzug ins Viertelfinale: Alexander Zverev.
© Quelle: AP
London. Seinen gestiegenen Stellenwert in der Grand-Slam-Karawane bekam Alexander Zverev am Sonnabend ein wenig schmerzlich zu spüren. Gern hätte sich der Shootingstar der Tenniswelt ein paar Szenen seines älteren Bruders Mischa auf dem Centre-Court des Tennisturniers in Wimbledon angesehen, im prickelnden Duell mit Roger Federer, doch die lange Tour im Medienzentrum ließ keine Zeit dafür.
Wenn das Spiel für Zverev, den Jüngeren, vorbei ist, dann ist es sein Arbeitstag längst nicht: Der Hamburger ist eine gefragte Figur, die nicht mehr zu übersehen ist in der Branche, erst recht nicht seit seinem ersten Achtelfinaleinzug bei einem Grand Slam. „Es ist ein Meilenstein in meiner noch jungen Karriere“, sagte Zverev nach seinem Drei-Satz-Sieg (6:4, 6:4, 6:2) gegen den Österreicher Sebastian Ofner, „aber es ist nur ein Zwischenziel. Ich will noch mehr erreichen hier.“ Was schwer wird gegen den kanadischen Haudrauf Milos Raonic, den Vorjahresfinalisten.
Tennis ist zuletzt immer älter geworden. Nie war der Prozentsatz der über 30-Jährigen höher als aktuell. Alle erfahrenen Meister sind in Wimbledon noch am Start, wenn das Turnier nach dem traditionellen Ruhetag am Sonntag am Montag richtig auf Touren kommt. Roger Federer, Novak Djokovic, Rafael Nadal, Andy Murray – alle sind mindestens 30 Jahre alt und die herausragenden Vertreter des Trends zum reifen Erfolgsprofi. Zverev – gerade Zwanzig geworden – ist der mit Abstand Jüngste, der in der Runde der letzten 16 sein Glück versucht. Als Federer 2003 erstmals Wimbledon gewann, ging Zverev gerade in die Schule. „Dass Sascha sich so früh so stark und nachhaltig durchsetzt, auch immer mehr bei den Grand Slams, zeigt seine Ausnahmequalität“, sagt der Australier Pat Cash, der 1987 in Wimbledon triumphierte.
Zverev hat in den vergangenen Monaten einen Lernprozess hinter sich gebracht: Er hat seine Emotionen besser unter Kontrolle, er ist gelassener, ruhiger, selbstsicherer geworden. Die Zeit der Patzigkeit ist vorbei, er wirkt angekommen in der Erwachsenenwelt des Wanderzirkus. Nur gelegentlich schimmert auf dem Court seine Heißblütigkeit, der verzehrende Ehrgeiz durch – bei einem schwerwiegenden Fehler muss schon mal der Schläger dran glauben. „Wenn ich meine Gefühle total unterdrücken würde, hätte ich den Eindruck, ich wäre tot im Spiel“, sagt Zverev, der in Wimbledon auch die Delle überwunden hat, die der Erstrunden-Knock-out bei den French Open verursacht hatte. Damals hatte ihn die Szene schon als Mitfavoriten in Paris gehandelt, weil er zuvor beim Rom-Masters seinen ersten Toptitel gewonnen hatte. An Klarheit hatte er es nach jenem Scheitern im Sand nicht fehlen lassen: „Ich habe beschissen gespielt.“
In Wimbledon gehört er nun zur Gruppe der großen Jungs, die mit mächtigem Spiel aus erhabener Höhe für Power sorgen. Doch Zverev lebt nicht allein von Dynamik und Kraft, auch von seiner Technik, vom Auge für die Situation.
Gegen Raonic, den Mann mit dem sanften Gesicht und den trommelnden Aufschlägen, steht der Hamburger vor einem wegweisenden Match. Er kann zum ersten Mal aufzeigen, dass er es mit einem der Wimbledon-Spezialisten aufnehmen kann, mit einem Spieler, dessen hocheffektive Auftritte viele Kollegen in die Verzweiflung treiben. „Es geht darum, die wenigen Möglichkeiten entschlossen auszunutzen“, sagt Zverev. „Man muss Geduld und noch mal Geduld haben.“ Inzwischen ist er aber so weit, dieses Warten ertragen zu können. Es gehört auch zur DNA derjenigen, die Wimbledon gewonnen haben.
Zverev erlaubt es sich nicht, über den Tag hinauszublicken, über den Montag mit allen Achtelfinals. Im Idealfall winkt ihm am Mittwoch ein Rendezvous mit Roger Federer, der ihn gerade in Halle im Finale abservierte. Federer schlug am Sonnabend Bruderherz Mischa 7:6 (7:3), 6:4, 6:4. „Es wäre töricht, darüber nachzudenken“, sagt Zverev. „Ich habe erst mal andere Aufgaben.“
Von Jörg Allmeroth